Die neugewählte österreichische Regierung hat beschlossen, ein Kopftuchverbot in der Schule bis zum vierzehnten Lebensjahr einzuführen. Der Verfasser begrüßt diese Regelung. Die Gründe hierfür sind pragmatischer Natur und hängen vermutlich auch mit seiner Tätigkeit im Personalwesen zusammen.
Nun aber zuerst zu den Kritikern des neuen Gesetzes. Der Pastoraltheologe Paul Zulehner empfindet dieses Gesetz "als Kränkung und Aushöhlung der Religionsfreiheit". Seiner Ansicht nach sei diese Regelung eine für die Integration abträgliche und kontraproduktive Demütigung, welche Menschen ausgrenze. Er fordert "Dialog, Respekt und Toleranz". Diese Worte klingen nun gerade für einen Vertreter der säkular-humanistischen Szene etwas befremdlich. Immerhin wird weder vom Staat noch von der katholischen Kirche ein Dialog mit den Konfessionsfreien geführt und es war bisher auch unerheblich, ob sich die Konfessionsfreien gedemütigt fühlen, wenn im Klassenzimmer der gekreuzigte Christus hängt und dies obwohl bei einer mehrheitlich konfessionsfreien Klassenzusammensetzung ein Bild von Christopher Hitchens deutlich angebrachter wäre. Aber Spaß beiseite. Während der Humanistische Verband Österreichs eine religionsneutrale Schule ohne religiöse Symbole fordert und für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler und Schülerinnen eintritt, produziert die unsaubere Trennung von Staat und Religion auch im Schulwesen Probleme und Konflikte, welche bei den meisten aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts Kopfschütteln hervorrufen.
Bei der taz hingegen wird argumentiert, dass dieses Verbot nicht die Unterdrückung außerhalb unterbinden könne. Dies ist zwar richtig, es gibt aber auch kein Gesetz, welches mit einem Schlag – quasi als eierlegende Wollmilchsau – diese Unterdrückungen unterbinden wird. Vielmehr geht es darum Maßnahmen zu setzen, welche genau diese Unterdrückung langfristig verhindern können. Es lohnt sich durchaus zu untersuchen, wer und aufgrund welcher Motive für das Kopftuchtragen junger Frauen eintritt. In erster Linie sind dies die ultrakonservativen Islamverbände und in weiterer Folge die von ihnen beeinflussten Gläubigen. Die Gründe hierfür liegen einerseits im Marketing, das heißt man zeigt damit Präsenz im öffentlichen Raum und kann damit auch den entsprechenden Druck auf die liberalen und weniger konservativen Muslime ausüben. Mit dem Kopftuch werden diese Mädchen ferner für den innerislamischen Heiratsmarkt markiert, reserviert und damit stigmatisiert.
Das Ziel dieser Verbände liegt in der Konservierung der gegenwärtigen Verhältnisse der islamischen Parallelgesellschaft. Das Kopftuch wird mit dieser pädagogischen Praxis zur zweiten Haut, die Mädchen werden dieses daher auch großteils im Erwachsenenalter nicht mehr ablegen und massive Probleme haben, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen möchten. Die meisten dieser Frauen werden damit verurteilt sein – ganz dem traditionell islamischen Frauenbild entsprechend – zu Hause bei den Kindern bleiben und ihrem Mann zu dienen, von dem sie zeitlebens finanziell abhängig bleiben. Entweder bekommen diese Frauen überhaupt keinen Job oder sie werden genötigt sein, in der Schattenwirtschaft einen Verdienst zu finden. Bildung, Wohlstand und wirtschaftliche Unabhängigkeit sind weder ein guter Nährboden für patriarchalische Ideologien noch für die klassischen Religionen.
Und hier liegt auch einer der entscheidenden Fehler der etwas theorielastigen Kritiker. Zulehner verweist im Standard-Artikel auf seine Repräsentativstudie über Muslimas und Muslime im Migrationsstress (2014), derzufolge "die Muslimas der zweiten Generation bereits dieselben Verteilungen bei den vielfältigen Geschlechterrollen (haben) wie die alteingesessenen Mädchen – und auch den gleichen niedrigen Kinderwunsch". Dies sei laut Zulehner ein Zeichen für eine positive gesellschaftliche Entwicklung. Soweit die optimistische Theorie. Nun zur weniger optimistischen Realität: Solange diese Frauen nicht auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und in finanzieller Abhängigkeit ihrer nicht ganz so gendersensiblen Ehemänner leben, bleiben ihre Wünsche hinsichtlich der Kinderzahl für die Realität von untergeordneter Bedeutung. Auch die Vorbildwirkung einer kopftuchtragenden Mutter auf die Kinder ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der Staat hat daher die Pflicht Regelungen zu erlassen, welche genau diesen Teufelskreislauf unterbrechen.
Nichts gegen einen universitären Zugang und Studienergebnisse. Es wäre aber eventuell hilfreich, wenn Professoren den Radius ihrer Spaziergänge erweitern und neben dem Universitätsviertel auch die sogenannten Brennpunktbezirke und Regionalgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservices aufsuchen würden. Viele dieser Sozialfälle sind nämlich Musliminnen der zweiten und auch der dritten Generation. Jetzt könnte der geneigte Leser vielleicht meinen, dass diese individuellen Konsequenzen für den Großteil der Gesellschaft ein zu vernachlässigendes Problem sind. Dem ist aber keineswegs so. Aufgrund der erwerbsmäßigen Passivität der hier diskutierten Zielgruppe, ist der Steuerzahler nun genötigt nicht nur die Ausbildungskosten, sondern auch sämtliche Sozialleistungen von AMS und Sozialamt zu berappen. Hinzu kommen die fehlenden Beiträge für Kranken- und Pensionskasse, welche nun natürlich ebenso von der abgabepflichtig arbeitenden Bevölkerung kompensiert werden müssen. Sämtliche Maßnahmen, welche eine Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern, sind daher von öffentlichem Interesse. Genau dieser Aspekt muss auch bei den angestrebten juristischen Überprüfungen des Gesetzes eine Rolle spielen, weil es hier sämtliche Aspekte dahingehend abzuwägen gilt, ob eine derartige Bestimmung rechtlich als Diskriminierung (intentionaler Eingriff in die Grundrechte) oder als eine den allgemeinen und individuellen Interessen dienende Maßnahme anzusehen ist.
Stellt dieses Gesetz eine Einschränkung der Religionsfreiheit dar? Dies kann guten Gewissens verneint werden. Die Schule hat die Aufgabe, die jungen Menschen auf das Leben vorzubereiten. Den Mädchen sollte bereits in der Schule die klare Trennung von Berufs- und Privatleben vermittelt werden. Und auch im Berufsleben ist es in den meisten Unternehmen gleichgültig, welcher Religion oder sonstiger weltanschaulicher Überzeugung man anhängt, solange dies keine negativen Konsequenzen für den betrieblichen Ablauf darstellt. Diese strikte Unterscheidung gilt für sämtliche politischen und religiösen Überzeugungen und ist daher auch in keiner Weise diskriminierend. Einer meiner früheren Mitarbeiterinnen habe ich das Problem folgendermaßen veranschaulicht: "Sie können von mir aus gerne aktives Mitglied im lokalen Hexenklub sein. Nur sobald Sie im Büro auf dem Besen herumreiten, haben wir ein Problem."
Das Kopftuchverbot ist daher – auch wenn dies nicht ein Allheilmittel ist – aus personalpolitischer und volkswirtschaftlichen Perspektive in der nun angedachten Form zu begrüßen. Der unangenehme Beigeschmack ist dennoch die exklusive Regelung, welche es den Islamverbänden und ihren Verbündeten leicht macht, wieder in die Opferrolle zu schlüpfen und das bekannte Lied der Islamophobie zu singen. Eine Schulpolitik, welche grundsätzlich keine religiösen Symbole in der "Dienstzeit" gestattet und wo alle Kinder einen gemeinsamen Ethikunterricht besuchen, wäre glaubwürdiger als diese Einzelmaßnahme gewesen, der immer der diskriminierende Geruch der Kreuzzugsmentalität anhaften wird. Aber dazu hätte man eben auch den säkularen Verbänden mit "Dialog, Respekt und Toleranz" begegnen müssen. Aber vielleicht schaffen wir es gemeinsam, dass die moderne Schule eine zukunftsorientierte Bildungsstätte wird und nicht länger ein Museum für antike Folterwerkzeuge beziehungsweise ein lebendes Dokumentationsarchiv archaischer Frauenbilder darstellt.
7 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Sehr gut argumentiert.
Eine der kitzligsten Fragen ist aus meiner Sicht, was ist überhaupt "Religionsfreiheit". Die negative ist klar: "Ich will frei sein von Religion". Schwieriger wird es, wenn sich jemand positiv zu Religion bekennt. Natürlich darf die Person das. Warum auch nicht? Doch wie weit geht das Bekenntnis? Was umfasst es?
Das Kernproblem aller Religionen ist, dass sie - weil zunehmend unglaubwürdiger - Kinder so früh es geht vereinnahmen wollen. Ist etwas einstudierte Praxis, wird es weniger konsequent hinterfragt, sondern fraglos übernommen und später den eigenen Kindern - so früh es geht - beigebracht. Leider sind diese Inhalte fragwürdig: VerHERRlichung des Patriarchats, Geschlechterapartheit, körperliche Markierung der Angehörigen, Gottesrecht über Menschenrecht, Tribalismus über Individualität, Zwang über Freiheit...
Daher sollten Kinder mindestens bis zum 14. Lebensjahr vor allen oben genannten Punkten geschützt werden. Bildungsstätten haben den Auftrag, eventuelle Indoktrination im Elternhaus durch Sachaufklärung zu entschärfen. Nur so werden junge Menschen fit für ein immer komplexer werdendes Leben in freier Entscheidung.
Dazu kommt, dass insgeheim viele Musliminnen und Muslime gerne frei leben möchten, doch der soziale Druck hindert sie daran. Wenn diesen Menschen Gesetze helfen, dann sind es gute Gesetze. Ich hoffe, dass wir eines Tages so weit sind, auch Genitalverstümmelungen als das zu verbieten, was sie sind: Genitalverstümmelungen...
A.S. am Permanenter Link
Herr Kammermeier, Sie haben meine volle Unterstützung.
Ein Haus, aus dem man nicht heraus darf, ist ein Gefängnis.
Ein Staat, aus dem man nicht heraus darf, ist ein Gefängnis.
Eine Kultur, aus der man nicht heraus darf, ist ein Gefängnis.
Eine Religion, aus der man nicht heraus darf, ist ein Gefängnis.
Als freiheitlicher Staat, als freiheitliche Gesellschaft sehe ich uns alle in der Pflicht, den in Religionen eingesperrten Menschen Wege in die Freiheit zu eröffnen.
Als einen solchen sehe ich das Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren.
Alfred Farkas am Permanenter Link
Nach Abwägung des Für und Wider (solcherart Regelungen sind mit Vor- und Nachteilen behaftet - es gibt meines Erachtens keine perfekte Lösung für das zugrunde liegende Gesellschaftsproblem) war und ist meine Wenigkeit
Allein die Naivität etablierter, vor moralistischer Dauererregung zitternder Politiker, die Selbstherrlichkeit blauäugiger (die Moral für sich gepachtet habender?) Journalisten steht der Einsicht entgegen, daß ein entsprechendes Kopftuchverbot nach Abwägung aller Argumente hinsichtlich des Pro und Kontra durchaus zu rechtfertigen ist, ja geradezu geboten erscheint!
Was man nichtdestotrotz der türkis Partei des Sebastian Kurz in diesem Kontext ankreiden muß? Daß sie auf einem Auge blind ist! Daß manche gleicher als gleich zu sein scheinen ... So ist es ein Unding, daß an staatlichen Schulen, in öffentlichen Amtsstuben Kruzifixe hängen! Wie verbohrt (religiös verdummt), wie verdorben (korrupt) muß einer sein, um es nicht wahrhaben zu wollen, um es nicht zu erkennen? Wer - nach meiner Meinung völlig zu Recht - ein nämliches Koptuchverbot fordert, muß - erst recht - ein Kruzifixverbot in staatlichen Institutionen einfordern!
Wenn auch das Plädoyer für ein spezielles Kopftuchverbot (siehe unten) in dem unten wiedergegebenen, alles in allem schwachen Beitrag höchst durchwachsen ausgefallen ist (nicht jeder Punkt ist ein Rechtfertigungsgrund; mancher Standpunkt erweist dem Ansinnen gar einen Bärendienst), so erscheint mir das von der gegenwärtigen Bundesregierung Österreichs initiierte Verbot trotzdem grundsätzlich richtig. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Professoralität ist eines der Übel der (deutschen) Politik, des (deutschsprachigen) Journalismus; wiewohl Weltfremdheit sowohl gesellschaftlichen Funktionseliten als auch der Schickeria eigen ist.
A. F.
PS: "Nun aber zuerst zu den Kritikern des neuen Gesetzes. Der Pastoraltheologe Paul Zulehner empfindet dieses Gesetz 'als Kränkung und Aushöhlung der Religionsfreiheit'." Auch wenn die Vertreter und Anhänger namentlich der monotheistischen Religionen einander über Jahrhunderte bekriegten, sich gegenseitig den Schädel einschlugen (beispielsweise Christen gegen Muslime, Muslime gegen Christen), paktieren heute die Obskuranten dieses Globus jeweils mit dem einstigen Widersacher. Sehen sie alle doch ihre Felle davonschwimmen! Der gemeinsame Gegner heißt Mündigkeit, das gemeinsame Feindbild ist die Aufklärung; ihr aller Feind: die Moderne. So macht man - jedenfalls fürs Erste - gemeinsame Sache. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
A.S. am Permanenter Link
Sehr gut beschrieben, Herr Farkas!
A.S. am Permanenter Link
Menschen werden nicht Gott-gläubig geboren, sie werden in Kindertagen Gott-gläubig gemacht.
Menschen gezielt etwas glauben zu machen, ist allerschwerste psychologische Manipulation mit oft lebenslangen Folgen: Dem Glauben an einen bestimmten Gott.
Mit dem Glauben an einen bestimmten Gott geht der Gehorsam gegenüber den Priestern (Gottes-Experten, Gottes Stellvertretern auf Erden, usw.) dieses Gottes einher.
Die Macht der Priester steht und fällt mit dem Glauben an einen bestimmten Gott. Wenn kein Mensch mehr an den Gott XY glaubt, ist alle Macht, ist alles Ansehen der XY-Priester zum Teufel.
Religionsfreiheit ist für mich, als Atheisten, das Recht, mich nicht von irgend welchen Priestern psychologisch manipulieren lassen zu müssen.
Religionsfreiheit ist gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, einer Sammlung gottgläubiger Priester-Gehorcher, das Recht der Priester, ungehindert die Menschen in Deutschland psychologisch manipulieren zu dürfen.
Hier steckt das Problem: Wir können als freiheitliche Gesellschaft nicht zulassen, dass Priester Kinder psychologisch so manipulieren, dass diese galuben, Andersgläubige umbringen zu müssen, weil dies "Gottes Wille" sei.
Gott ist eine Erfindung der Priester, "Gottes Wille" ist der Wille der Priester, "Gottes Gebote" sind die Gebote der Priester.
Natürlich darf ein Mesch abergläubig sein wie er will, solange er dadurch nicht die Menschrechte anderer verletzt oder sich selbst gefährdet.
"Gläubig machen" aber ist ein schwerwiegender psycho-manipulativer Vorgang und gehört meines Erachtens als Straftat ins Strafgesetzbuch.
Solange wir das "Gläubig-Machen" nicht als psychologische Manipulation verstehen und mit Strafen bewehren, werden wir weder Sekten noch den "politischen Islam" gesellschaftlich in den Griff bekommen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo A.S. glasklar erkannt und verständlich formuliert. Genau so sehe ich mich und die beschriebenen Tatsachen auch.
David Z am Permanenter Link
"Bei der taz hingegen wird argumentiert, dass dieses Verbot nicht die Unterdrückung außerhalb unterbinden könne."
Bescheuertes Argument. Das Verbot von Diebstahl wird Diebstahl niemals unterbinden können. Folglich gehört das Verbot von Diebstahl aufgehoben?