Frankreich: Debatte um Kinderkopftuch-Verbot

Während sich in Deutschland die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes für ein Verbot des "Kinderkopftuchs" in Kitas und Schulen engagiert, präsentieren seit kurzem unter dem Hashtag #HandsOffMyHijab junge Muslimas ihr Kopftuch in den sozialen Medien.Anlass für die Postings ist ein Gesetzentwurf, der in Frankreich das Kinderkopftuch, also die Vollverschleierung von minderjährigen Mädchen, im öffentlichen Raum unter Strafe stellen soll.

Der Senat des Parlaments hat eine entsprechende Vorlage am 30. März angenommen. Vorangegangen war eine hitzige Debatte, in deren Verlauf zahlreiche Änderungsanträge angenommen wurden. Im Senat haben konservative und rechte Kräfte die Mehrheit. Ob das Gesetz in Kraft treten wird, ist jedoch fraglich. Zuvor muss es von der Nationalversammlung bestätigt werden, die mehrheitlich mit liberalen PolitikerInnen besetzt ist.

Frankreich versteht sich als laizistisch, praktiziert also eine strenge Trennung von Staat und Kirche. Von den 67 Millionen Einwohnern sind schätzungsweise 3,5 bis 6 Millionen Muslime und Musliminnen. Bereits 1994 erlaubte das Land in Schulen nur noch unauffällige religiöse Symbole, 2004 folgte ein Verbot aller religiöser Symbole in Schulen. Im Jahr 2010 erließ die konservative Regierung unter Nicolas Sarkozy ein Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit. Frankreich ist das erste westliche Land, das eine derartige Regelung einführte.

Ziel der jetzt diskutierten Verbote soll die Eindämmung des politischen Islams sein. Premierminister Jean Castex betont, dass sich das Gesetz nicht gegen Religion richte. Inwieweit die bisherige Entwicklung seine Lesart stützt, darüber kann man geteilter Meinung sein. Zunächst unter dem Namen "Loi contre le séparatisme" ("Gesetz gegen Separatismus") diskutiert, wurde das Gesetz zwischenzeitlich umbenannt in "Projet de loi confrontant le respect des principles de la République" ("Gesetzentwurf zu Achtung der Grundsätze der Republik").

UserInnen auf Twitter, TikTok und anderen Netzwerken befürchten nun eine Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen muslimischen Glaubens. Bereits im Vorfeld der Abstimmung hatte Senator Jean-Luc Mélenchon von der linken Partei "La France Insoumise" den Gesetzesentwurf als "überflüssig und gefährlich" bezeichnet, da er die islamische Bevölkerung zur "Zielscheibe" mache und die Einheit Frankreichs in Gefahr bringe. Bei der Anhörung am 30. März forderte seine Fraktion hatte die vollständige Zurückweisung des Gesetzes.

Der Schulterschluss zwischen einigen muslimischen AkteurInnen und solchen, die sich als links verstehen, verdient eine genauere Betrachtung. Beobachter machen seit geraumer Zeit die Entwicklung einer "Islam-Linken" in Frankreich aus. Darunter versteht der Politikwissenschaftler und Extremismusexperte Armin Pfahl-Traughber "eine linke Position des politischen Selbstverständnisses, welche eine Bündnisbereitschaft gegenüber Islamisten prägt und beziehungsweise oder ein Mobilisierungspotential in Muslimen sieht". Auch in Deutschland stellt Pfahl-Traughber erste Tendenzen in diese Richtung fest. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, eine differenzierte Betrachtung ist hier wünschenswert.

Dies gilt auch für die Bewertung von Stellungnahmen gegen das Kinderkopftuch, etwa von säkularer und feministischer Seite. Derweil macht sich Terre des Femmes in Deutschland für ein Kopftuchverbot für für minderjährige Mädchen stark. Die AktivistInnen grenzen sich dabei ausdrücklich von der Vereinnahmung ihrer Ziele durch RechtspopulistInnen ab; vergangenes Jahr hatte die AfD einen Antrag über die verfassungsrechtliche Prüfung und die Beratung eines Verbots des Tragens von Kinderkopftüchern in Kindertagesstätten und Schulen in den Bundestag eingebracht (der hpd berichtete). Im November empfahl der Ausschuss für Inneres und Heimat dem Parlament, diesen abzulehnen.

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Aufgrund eines Hinweises einer aufmerksamen Leserin wurde der Artikel am 21.04.2021 korrigiert.