Pari – Liebe verbrennt Fesseln

Vier Tage nach den Wahlen in Iran zeigte die Berlinale den Film "Pari" als Weltpremiere. Die Suche einer Mutter aus dem Iran nach ihrem in Athen verschollenen Sohn führt sie durch gefährliche Orte am Rande dieser ihr fremden Gesellschaft bis hin zu sich selbst.

Der Film ist eine Liebeserklärung eines Sohnes an seine Mutter. Eine Einladung, das Leben zu leben und den mutigen Schritt durch das Feuer zu wagen.

Der Film beginnt im Flugzeug, hoch in der Luft ist ihr konzentriertes, erwartungsvolles Gesicht zu sehen. Pari fliegt mit ihrem Mann Forroukh nach Athen. Sie sind auf der Suche nach Babac, ihrem Sohn. Mutig bahnen sich die beiden ihren Weg durch die fremde Stadt, zunächst noch gefesselt in ihrer Sprachlosigkeit und ihrem patriarchalen System. Und er endet auf hoher See, auf einem Schiff. Pari steht an Deck, ihre Haare wehen im Wind. Sie versucht, die Haare zusammenzuhalten mit ihrer blutverschmierten, bandagierten Hand.

The center of the fire

No more wine for me!
I'm past delighting in the thick red
and the clear white.
I'm thirsty for my own blood
as it moves into a field of action.
Draw the keenest blade you have
and strike, until the head circles
about the body.
Make a mountain of skulls like that.
Split me apart.
Don't stop at the mouth!
Don't listen to anything I say.
I must enter the center of the fire.

(Rumi, 1207 – 1273)

Wir werden Babac, den vermissten Sohn von Pari, niemals sehen, doch seine Spuren bestimmen das Geschehen. Sie führen die konservative, religiöse und liebende Mutter Pari über ein Gedicht von Rumi (immer wieder zu hören aus dem Off mit der Stimme der Mutter), über Babacs Bekenntnis zur Anarchie, über Solidarität und Mut an Orten des Widerstandes bis hin zu einer Pari, die sie selbst ist – frei, verletzlich und stark. Sie arbeitet sich mit aller Kraft, Schritt für Schritt, heraus aus der Rolle der Mutter und Ehefrau. Dabei legt sie nach und nach alle schützenden Schichten ab, die sie auf ihrem Weg behindern.

Das Publikum sieht ein Kaleidoskop an Frauenrollen, teils scheinbar diametral entgegengesetzt, jedoch immer verbunden in ihrem geschlechtsspezifischen Konstrukt der Gesellschaft(en).

Es gibt viel Raum für Entwicklung, auch das macht diesen Film so spannend und berührend. Selbst Forroukh, ihr viel älterer Ehemann, gefangen in seiner starren Haltung, erlebt eine Entwicklung, stellt sich in Frage, öffnet sich in seiner Liebe zu Pari – kurz vor einer großen endgültigen Reise, die er alleine antreten wird.

Was haben Anarchie und Sufismus gemeinsam, wie konnten sie zusammen den uns unbekannten Babac so inspirieren? Eine wichtige Spur für Pari ist das Blatt, herausgerissen aus einem Buch im Zimmer ihres Sohnes. Auf der einen Seite steht das Gedicht, auf der anderen Seite das A mit dem Kreis, Symbol der Anarchie.

Beide Ideen vereint eine tiefe Leidenschaft und der Wille zur Freiheit und zum sinnvollen Leben. Der Sinn des Lebens wird dabei auch im Miteinander verortet, in der Gleichberechtigung der Menschen in der Gemeinschaft, "unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, sozialer Herkunft, sexueller Orientierung und so weiter …" .

Aber nein, hier mag der Wunsch die Mutter des Gedankens gewesen sein, denn bei aller Liebe zum Leben und zur Liebe ist der Sufismus doch nur ein mystischer Zweig einer der drei großen monotheistischen Religionen. Das prädestiniert ihn bedauerlicherweise nicht zur Wiege eines der grundsätzlichen Menschenrechte. Dieses lässt sich dann doch eher in den Ideen der Anarchie von zum Beispiel Emma Goldmann finden.

Handelt es sich also um etwas sich Ergänzendes? Spiritualität und selbst organisiertes gutes Leben für alle und mit allen?

Was passiert, wenn unsere Sehnsucht nach einer Liebe uns unser gewohntes Leben nicht mehr leben lässt? Was, wenn der geliebte Mensch, nach dem wir uns so sehnen, unauffindbar ist? Kann die Suche einer Mutter nach ihrem Sohn zu einer Suche nach sich selbst werden?

Dies waren die Fragen, die Siamak Etemadi, der seit 1995 in Athen lebt, bewegten, diesen intensiven und spannenden Film zu machen: "Pari ist eine Geschichte über Liebe und Sehnsucht, Trennung und Suche. So, wie die persischen Gedichte der Sufis es beschreiben, hoffe ich, dass auch dies eine Geschichte von Wiedergeburt und Neubeginn ist. Pari ist der Name meiner Mutter."

Manch einer möchte Pari begleiten auf ihrem Schiff – aber sie wird ihren Weg alleine finden, ohne Zuschauer*innen.

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