Man zeigt sich heute gerne betroffen, etwa von Rassismus und Gewalt. Ein schwarzes Quadrat ist auf Instagram schnell mal geteilt, und Justin Trudeau glänzt mit 21 Schweigesekunden. Mit so was sieht man immer gut aus. Allerdings hat die Schau-Betroffenheit ihre Tücken.
Neulich war es mal wieder so weit. Auf Instagram war plötzlich alles voller schwarzer Quadrate, und wenn man die ganzen schwarzen Quadrate sah, die all die befreundeten User geteilt hatten, dann sollte es einem vermutlich durch und durch gehen, wie schlecht doch die Welt ist, und dass Rassismus existiert. Das hatte man natürlich nie zuvor geahnt, doch nun waren ja all die schwarzen Quadrate da, hineingebrochen ins bunteste Instagramleben, und man stand vor der Frage, ob man möglichst fix selber auch ein schwarzes Quadrat teilen mochte und ob man, wenn man es nicht tat, nicht beinahe schon ein Rassist war.
An diesem Blackouttuesday ein paar schwarze Pixel ins Netz zu pappen, das sollte so viel heißen wie: Ich zeige mich betroffen. Zwar mag ich ein mittelalter weißer Sack sein und nie im Leben Rassismus erlebt haben, aber doch habe ich irgendwie mitbekommen, dass der gerade ganz groß in den Medien ist, daher zeige ich jetzt klare Kante, und wenn Donald Trump demnächst mal wieder meinen Instagram-Account checkt, wird ihm das sicher zu denken geben.
Betroffenheit ist ein scharfes Schwert, wer sich mit ihr gürtet, findet Beachtung, und er zählt mit zur Heerschar der Guten. Man rechnete es dem Journalisten Claus Kleber hoch an, als er am 11. September mit den Tränen kämpfte, und Marietta Slomka, die Königin des betroffenen Blicks in alle Wohnzimmer, lasert uns rein, wie ungeheuer schrecklich doch alles ist.
Betroffenheit zur Schau zu tragen, gehört längst auch bei Verantwortungsträgern zum guten Ton. Sobald mal wieder ein Schulmassaker zu vermelden ist, stehen US-Politiker vor den Kameras und schicken Gedanken und Gebete durch die Gegend, die allesamt nichts kosten, es ist auch für sie die denkbar beste PR: Sie machen garantiert nichts falsch und haben ein paar Fernsehsekunden bekommen für nichts. Große Bewunderung erregte in dieser Woche der jugendlich wirkende Premier von Kanada, Justin Trudeau, der sich vom dunklen Fürsten der USA so wohltuend abhebt und das auch sehr gut weiß: Er tritt vor sein Haus, wird nach den aktuellen Entwicklungen in den USA befragt – und lässt dann eine Pause, nachgezählte 21 Sekunden. Fällt dem Mann nichts ein? Ist er sprachlos vor Betroffenheit?
Das ist wohl der Eindruck, der erweckt werden soll, und weltweit ist er dafür abgefeiert worden. Nach den 21 Sekunden hat er dann noch eine druckreife, ganz offensichtlich gut vorbereitete Botschaft gegen den Rassismus ausgesandt, den es auch in Kanada zu bekämpfen gelte. Wofür nun aber die Pause? Sollte das eine verkürzte Gedenkminute sein? Sollten Unruhen und Rassismus im Nachbarland den armen Kerl speechless gemacht haben? Was macht Trudeau dann erst, wenn er von den Härten der Klimakrise erfährt und von den Tausenden, die täglich sterben, weil der Reichtum unseres Planeten so ungerecht verteilt wird?
Ein Verstummen erwarte ich von Politikern eigentlich nicht, und es wäre schön, wenn sie an der Betroffenheitsshow so wenig wie möglich teilnehmen würden. Mit der Betroffenheit ist es nämlich eine seltsame Sache. Die wirklich Betroffenen haben für sie gar keine Zeit. Und die Nichtbetroffenen, was sagen sie eigentlich damit aus, dass sie schwarze Quadrate auf Instagram raushängen?
Als der Anschlag von Charlie Hebdo passierte, tauschten die Leute auf Facebook alle ihre Profilbilder aus. Gegen französische Flaggen. Am selben Tag massakrierte Boko Haram in Nigeria eine ganze Ortschaft. Hunderte Tote. Das fanden die Leute aber nicht so schlimm. Niemand tauschte sein Profilfoto gegen eine nigerianische Flagge. Was also sagen mir so tolle solidarische Aktionen in den sozialen Medien?
Es gibt Rassismus, es gibt Gewalt, gibt Unterdrückung. Überall und jeden Tag auf der Welt. Jeden Tag könnte man schwarze Quadrate teilen, dauerhaft könnte man sein Profilfoto austauschen gegen einen ganz besonders traurig guckenden Smiley. Was wäre damit gewonnen? Und wieso zeige ich mich nur von den Sachen schockiert, die halt zufällig gerade groß in den Medien sind?
Viel interessanter und ertragreicher wäre es doch wohl, dem eigenen Profilfoto tief in die Augen zu schauen und zu fragen: Was trägst du selbst bei, auch ungewollt, zur Ungerechtigkeit auf der Welt – und lässt sich das ändern? Ansonsten teile man gern ein Lächeln, denn das Dunkle ist schon groß und stark genug.
8 Kommentare
Kommentare
Markus Schiele am Permanenter Link
Vielen Dank für diese klaren Worte. So schön hätte ich das nicht formulieren können ...
Lupino am Permanenter Link
Ich fürchte ein bisschen, der Autor unterschätzt den psychologischen Effekt, den es haben kann, wenn man als direkt Engagierter sieht, dass sich weltweit hundertausende Menschen mit der eigenen Sache identifizieren.
Eckhardt Fritsche am Permanenter Link
So ähnlich hätte ich es auch formulieren wollen. Absolut Ihrer Meinung.
Thomas R. am Permanenter Link
Herr Ungerer beleuchtet doch hauptsächlich den Unterschied zwischen Schein und Sein, der natürlich nur individuell ermittelt werden kann.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Marietta Slomka, die Königin des betroffenen Blicks..."
Und Dackelblick. Gehört unbedingt dazu (beherrscht Hubertus Heil gut).
Und 17 + 4 s Klappe halten; gar nicht so einfach.
UltimaRatio am Permanenter Link
Sehr schöner Artikel.
Danke!
=)
Thomas R. am Permanenter Link
Als könnte Herr Ungerer meine Gedanken lesen...
Emil am Permanenter Link
Die Betroffenheit anderer mit selbst PR Effekt zu kritisieren ist ein echtes Minenfeld - Sie haben aber sehr gute Worte dafür gefunden. Vielen Dank!