Bericht zur Podiumsdiskussion

"Organisierte Suizidhilfe in Deutschland – Praxis, Probleme, Perspektiven"

BERLIN. (hpd/hvd) Ausgebucht war die Podiumsdiskussion am 3. Juni 2015 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften schon Wochen vorher. Insofern war es kein Wunder, dass alle Plätze im Einsteinsaal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften besetzt waren, als Erwin Kress, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, die Debatte mit klaren Worten und Forderungen eröffnete. Zur Podiumsdiskussion eingeladen hatten neben dem Humanistischen Verband (HVD) die Humanistische Union (HU) und die Giordano Bruno Stiftung (GBS).

Dabei wies Kress erneut darauf hin, dass das Recht, das eigene Lebensende selbst und würdevoll zu bestimmen, ein Menschenrecht sei. Er betonte die Ablehnung aller Bestrebungen, (organisierte) Suizidhilfe generell zu verbieten – wie es vor allem von Kirchen und konservativen Politikern in den aktuellen Bundestagsdebatten gefordert wird. Ausdrücklich begrüßte er dabei im Publikum mit dem Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold einen der wenigen Mediziner in Deutschland, die seit Jahren durch praktische Hilfe und öffentliche Aufklärung dazu beitragen, die ärztliche Suizidhilfe in Deutschland als eine legale und menschlich wie medizinisch hilfreiche Methode ärztlichen Handelns am Lebensende bekannt zu machen.

Auf dem Podium diskutierten anschließend die Bundestagsabgeordneten Petra Sitte (Die Linke) und Karl Lauterbach (SPD) sowie Vertreter von zwei Sterbehilfe-Vereinen – Roger Kusch (Sterbehilfe Deutschland) und Ludwig Minelli (Dignitas Deutschland) – sowie die Psychologin Gita Neumann, Leiterin der Bundeszentralstelle Patientenverfügung, ihre Perspektiven und Standpunkte.

Ausgehend von der aktuellen Situation, dass der Suizid in Deutschland straffrei ist und deshalb auch die Beihilfe zum Suizid nicht verboten ist, geht es in den laufenden Diskussion im Deutschen Bundestag darum, inwieweit die Suizidbeihilfe reguliert oder eingeschränkt werden soll. Dazu liegen mittlerweile einige Entwürfe vor, in denen unterschiedliche, meist fraktionsübergreifende Gruppen von Abgeordneten skizzieren, wie sie sich die Gesetzeslage zur Suizidbeihilfe künftig vorstellen – die Palette reicht von einem weitgehenden (strafrechtlichen) Verbot bis zur weitgehenden Beibehaltung der aktuellen Rechtslage. Petra Sitte als eine Mitautorin eines Positionspapieres unter der Überschrift "Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht" setzte sich in der Debatte sehr engagiert dafür ein, juristische und gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, in denen selbstbestimmte und eigenverantwortliche Entscheidungen am Lebensende möglich sind: "Im Frieden mit sich und seinem Leben zu gehen, ist doch für alle eine absolut wunderbare Vorstellung. Das sei allen Menschen gegönnt. Daher halte ich Verbote zum Ende, zur Beendigung des Lebens, nicht für zulässig." Sie sprach sich auch dafür aus, dass kompetente Ärzte, Angehörige und uneigennützig tätige Vereine dabei durchaus Hilfe geben können.

Karl Lauterbach, Mitautor eines anderen Entwurfes für den Bundestag, setzte sich explizit für eine Veränderung der aktuellen Gesetzeslage ein, um vor allem Ärzten Rechtssicherheit zu verschaffen. Denn bislang verbietet das Standesrecht einzelner Landesärztekammern Medizinern jedwede Beihilfe zum Suizid. Solche Regulierungen durch die Kammern will Lauterbach auf Dauer verhindern, sodass Patienten die Gelegenheit bekommen, mit Ärzten das Thema zu besprechen und gegebenenfalls dann qualifizierte ärztliche Unterstützung zu bekommen. Er machte deutlich, dass er die praktische letzte Hilfe ausschließlich in Händen von Ärzten wissen will, Vereine aber weiterhin eine beratende und unterstützende Funktion wahrnehmen sollen. Er sprach sich eindeutig gegen ein Verbot oder eine Diskriminierung von Sterbehilfe-Vereinen aus, beharrte allerdings trotz vielfältiger Einwände im Laufe der Diskussion auf einer gesetzlich festgeschriebenen Ausschließlichkeit der Suizidhilfe durch Ärzte.

Hingegen argumentierte Gita Neumann dafür, die strafrechtlich liberale Situation in Deutschland nicht zu verändern, sondern vielmehr für kompetente Beratung und Betreuung zu sorgen – beispielsweise durch die Förderung geronto-psychologischer Betreuung und den Aufbau von Beratungsstellen für Suizidwillige.

Einen Einblick in die Tätigkeit des Vereins Sterbehilfe Deutschland vermittelte der Vorsitzende Roger Kusch. Er erläuterte, wie umfangreich die Beratung der Mitglieder sei, bevor es "grünes Licht" für eine Sterbehilfe gebe und verdeutlichte die ethischen Grundsätze, an denen sich Entscheidungen und Handeln des Vereins orientieren. Wichtig war ihm, auch aufgrund von Nachfragen, die Transparenz von Sterbehilfe Deutschland – vor allem in finanzieller Hinsicht praktizierte. Bei rund 700 Mitgliedern des Vereins bestätigte er bisher 193 Fälle durchgeführter Suizidbeihilfe und verwies gleichzeitig darauf, dass es 83 Personen gibt, die "grünes Licht" hätten, davon aber bislang keinen Gebrauch gemacht hätten – für Kusch ein deutliches Zeichen für die moralische Integrität des Vereins. Kusch zeigte sich in der Debatte sehr enttäuscht, dass viele Politiker organisierte Sterbehilfe unter Strafe stellen wollen und kündigte an, nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes im Bundestag eine Beschwerde vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.

Der Vorsitzende von Dignitas Deutschland, Ludwig A. Minelli, argumentierte sehr engagiert gegen eine Stigmatisierung des Suizids durch Politik und Medien und verwies auf die enorme Zahl von gescheiterten Suizidversuchen und deren Folgen. Aus seiner Sicht verhindere in Deutschland eine Interessengemeinschaft von Ärzteorganisationen, Medizinindustrie, Pharmaunternehmen und Kirchen – letztere vor allem als mächtige Träger von vielen Krankenhäusern und Pflegeheimen – eine Legalisierung und Vereinfachung von Sterbebegleitung, um die Milliarden-Einnahmen durch die Nachfolgebehandlung gescheiterter Suizide zu sichern.

Zusammenfassend kann für diesen Abend festgehalten werden, dass teils deutlich unterschiedliche Vorstellungen darüber vorgebracht wurden, wie eine allgemein akzeptable Regelung zu diesen ethisch und moralisch brisanten Fragen aussehen könnte. Sicher ist also, dass uns die öffentliche Debatte zu diesen Fragen der Selbstbestimmung am Lebensende in den nächsten Monaten noch intensiv beschäftigen wird.

Weiterführende Informationen
Links zu Video-Mitschnitten von der Podiumdiskussion auf YouTube finden Sie auf der Seite der Bundeszentralstelle Patientenverfügung.


Erstveröffentlichung: humanismus.de