Diskriminierung der Hochschulgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung an der Universität in Mainz

Ein AStA auf Abwegen

Hamed Abdel-Samad stellt den "Islam grundsätzlich in eine extremistische Ecke", betreibt "pauschale Verunglimpfung einer Religionsgemeinschaft" und fällt mit antisemitischen Aussagen auf? Peter Singer "rechtfertigt die Ermordung von Säuglingen, sofern die Eltern dies wünschen"? Und immer mit dabei: Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) als Organisation, die grundsätzlich auf Provokation aus ist? So sieht es jedenfalls der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Es folgt die Darstellung einer Auseinandersetzung zwischen der Hochschulgruppe (HSG) der gbs "Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung"  und dem AStA, die einen befremdlichen Eindruck über den Zustand der Debattenkultur an einer deutschen Universität im 21. Jahrhundert offenbart und ihren vorläufigen Höhepunkt mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gefunden hat.

Erste Kontakte inklusive Kontaktschuld

Doch der Reihe nach. Um sich des gesamten Ausmaßes gewahr zu werden, bedarf es einer kurzen chronologischen Darstellung. Die HSG beantragte erstmals 2017 die Verteilung von Flyern und Plakaten für Veranstaltungen mit Michael Schmidt-Salomon ("Die Grenzen der Toleranz. Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen") und Volker Sommer ("Homosexualität im Lichte der Evolution"). Zu einer solchen Förderung ist der Mainzer AStA als exekutives Organ der Studierendenschaft befugt, wofür ihm eine beträchtliche Menge an finanziellen Mitteln aus den Semesterbeiträgen zur Verfügung steht.

Die Anträge der HSG wurden jedoch abgelehnt. Die Entscheidung begründete der AStA schon von Anfang an primär mit der Verbundenheit der Hochschulgruppe zur Giordano-Bruno-Stiftung. Diese habe mit der Verleihung ihres Ethikpreises an den international bekannten Philosophen und Tierrechtler Peter Singer im Jahr 2011 eine Person ausgezeichnet, die durch behindertenfeindliche Ansichten und Äußerungen auffalle.

In einer anschließenden hitzigen Debatte auf der Vollversammlung der Studierenden waren die Verantwortlichen im AStA nicht bereit, von ihrem Bild der gbs abzurücken. Im Gegenteil: Versuche der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Thesen von Peter Singer führten dazu, dass die Unterstellungen der Behindertenfeindlichkeit nicht nur Peter Singer, sondern auch direkt an die Mitglieder der HSG gerichtet wurden.

Der AStA beschloss einige Zeit später, dass die HSG von allen kommenden Hochschulgruppenmessen, auf denen die Hochschulgruppen üblicherweise Gelegenheit haben, sich insbesondere neuen Studierenden vorzustellen, ausgeschlossen wird. Für eine Neuzulassung solle sich die HSG von Peter Singer und der gbs distanzieren und sich für ihre "behindertenfeindlichen Aussagen" entschuldigen. Gerade der Vorwurf der Behindertenfeindlichkeit wurde der HSG und ihren Mitgliedern im Laufe der darauffolgenden Jahre mehrfach unterstellt. So hielt das AStA-Protokoll ausdrücklich fest: "Die Hochschulgruppe wird wegen ihrer Einstellung zu Behinderten stark kritisiert." Trotz wiederholter Nachfrage, um welche Aussagen es sich handeln solle, folgte seitens des AStA nie eine Erläuterung – und zwar bis heute nicht.

Anfang 2018 versuchte die HSG in einem Plenum des AStA erneut Stellung zu nehmen und beantragte, künftig nicht mehr von den HSG-Messen ausgeschlossen zu werden. Doch zu einer Debatte sollte es nicht kommen. Den Mitgliedern der HSG wurden lediglich drei Fragen gestellt, die nur mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden durften: Ob sich die HSG zum einen von Peter Singer und zum anderen von der gbs öffentlich distanziere und ob man sich für die eigenen öffentlichen Aussagen entschuldigt habe. Die Nachfrage, um welche Äußerungen es sich hierbei handeln solle, wurde mit der Ermahnung quittiert, die Fragen nur mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten. Infolge einer Abstimmung – ohne Möglichkeit der Gegenrede oder Stellungnahme – wurde den Mitgliedern der HSG das Rederecht entzogen und sie wurden vom Rest des Plenums ausgeschlossen.

Um doch noch Stellung zu beziehen, wurde der AStA schriftlich kontaktiert. Dabei wurden die Kritikpunkte des AStA aufgegriffen und insbesondere die Position der gbs dargestellt, wonach selbstverständlich "JEDER Mensch von Geburt an ein unbedingtes Lebensrecht besitzt – und dabei ist es gleichgültig, ob dieser Mensch in irgendeiner Form behindert ist oder nicht!". In einer Entgegnung des AStA hierzu hieß es jedoch: "Politisch ist die Einschätzung daher klar: Singers Thesen widersprechen den Grundsätzen des Allgemeinen Studierendenausschusses eklatant." Ohne die geforderte Distanzierung sei "eine Zusammenarbeit gleich welcher Art zwischen dem Allgemeinen Studierendenausschuss und der GBS-Hochschulgruppe abzulehnen". Wie ernst diese politische Einschätzung gemeint war, machte der damalige Vorsitzende des AStA in einer Facebook-Bewertung der HSG klar, indem er schrieb: "tolerates openly antisemitic officers in their ranks".

Wo ein Wille, da ein Weg – zum Verwaltungsgericht

Lange Zeit passierte daraufhin nichts mehr. Bis Anfang 2020 unter einer teilweise neuen Besetzung der HSG ein erneuter, endgültiger Anlauf unternommen werden sollte, dem AStA sachlich und konstruktiv zu begegnen und um erneut eine Förderung für eine Veranstaltung der HSG zu beantragen. Doch auch dieses Mal verhärteten sich die Fronten und es kamen weitere, nicht weniger absurde Anschuldigungen gegen die gbs zutage.

In ausführlichen Stellungnahmen und mitunter stundenlangen Diskussionen erläuterte die HSG den Leitgedanken des evolutionären Humanismus, ihr Bekenntnis zur offenen Diskussionskultur und zur Menschenwürde. In den darauffolgenden Plena befand der AStA, dass man Personen und Ideen nicht voneinander trennen könne. Neben Singer rückte Hamed Abdel-Samad sowie eine Veranstaltung mit dem Religionskritiker und Beirat der gbs an der Universität im Jahr 2018 in den Vordergrund der Kritik. Hamed Abdel-Samad sei ein "islamophober Rassist", der den "Islam grundsätzlich in eine extremistische Ecke" stelle und "pauschale Verunglimpfung einer Religionsgemeinschaft" betreibe. Der Titel seines Buches "Integration – Ein Protokoll des Scheiterns" "entspreche neurechtem Sprachgebrauch. Es sei eine gesellschaftliche Kernaufgabe, die menschenverachtende Denkweise zurückzudrängen".

Den Personen der HSG wurde "antimuslimischer Rassismus" vorgeworfen und ihnen geraten, ihr "Verhalten zu reflektieren" und mehrfach angeregt, "einen Workshop zu critical whiteness und in Bezug auf andere Diskriminierungsformen" zu besuchen. Die Nähe der gbs zum Zentralrat der Ex-Muslime sei ein "tokenism". Der Vorwurf eines Mitglieds des AStA, Abdel-Samad tätige antisemitische Äußerungen war schließlich ein negativer Höhepunkt der vielen Diskussionen.

Veranstaltung der Mainzer Hochschulgruppe
Infotisch nach einem Vortrag bei der Mainzer Hochschulgruppe während der Buskampagne "Schlussmachen.jetzt" 2019. (Foto: © Gisa Bodenstein)

Der HSG wurde schlussendlich ihre Registrierung als studentische Initiative entzogen, der kategorische Ausschluss der Teilnahme an Hochschulgruppenmessen blieb bestehen und die Förderung der beantragten Veranstaltung wurde versagt.

Gegen diese Entscheidung legte die HSG einen Widerspruch ein. Mit dem wie erwartet ablehnenden Widerspruchsbescheid des AStA blieb dieser bei seinen Beschlüssen. Danach blieb der HSG nur noch der Weg zum Verwaltungsgericht offen. Die Klage wurde auch mit Unterstützung des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) am 21. September eingereicht.

Auf dem rechtlichen Auge blind

Auf Nachfrage, nach welchen Kriterien eine Hochschulgruppe von der Hochschulgruppenmesse ausgeschlossen werden könne, wurde der HSG am 19. September 2017 schriftlich mitgeteilt, dass die HSG nach Ansicht des AStA gegen Paragraf 108 Absatz 4 Satz 2 Nummer 5 des Hochschulgesetzes (HochSchG) ("auf der Grundlage der verfassungsgemäßen Ordnung [...] die Bereitschaft ihrer Mitglieder zur aktiven Toleranz sowie zum Eintreten für die Grund- und Menschenrechte zu fördern") und Nummer 7 ("auf die Beseitigung bestehender Benachteiligungen [...] von Menschen mit Behinderungen hinzuwirken") verstoße.

Den Entzug der Registrierung stützt der AStA auf Paragraf 8 Absatz 6 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a der Hochschulgruppenordnung. Laut diesem kann einer studentischen Initiative die Registrierung entzogen werden, wenn sich ein Mitglied oder eine mit ihr assoziierte Dachorganisation in einer Art und Weise äußert, die durch Verstoß gegen die Grundsätze des Eintretens für aktive Toleranz, der Förderung tatsächlicher Gleichberechtigung von Behinderten, geeignet ist, den AStA in Misskredit zu bringen.

Die Anschuldigungen des AStA an Peter Singer und Hamed Abdel-Samad sind schon deshalb problematisch und im Ergebnis rechtsfehlerhaft, weil sie sachlich unzutreffend sind. Peter Singer wurde, zusammen mit Paola Cavalieri, für seine Leistungen als Tierrechtler ausgezeichnet, insbesondere für die Initiierung des Great Ape Projects, das sich für Grundrechte von Menschenaffen einsetzt. Abgesehen davon, dass einer einmaligen Preisverleihung an eine entsprechende Person nicht entnommen werden kann, dass man sich alle Aussagen, welche diese je getroffen hat, zu eigen macht, haben sich die gbs und die HSG darüber hinaus von vielfach kritisierten Ansichten Singers ausdrücklich distanziert. Zudem liegt es nicht im satzungsmäßigen Rahmen eines AStA, die Vertretbarkeit philosophischer beziehungsweise utilitaristischer Ideen zu bewerten oder sich nach dem Prinzip der "Kontaktschuld" über viele Ecken von Personen zu distanzieren, denen auf unvollständiger bis fehlerhafter Tatsachenbasis unvertretbare Ansichten unterstellt werden.

Auch hinsichtlich der Äußerungen zu Hamed Abdel-Samad haben diese keine faktische Grundlage. Umso mehr, da sie diffamierende Ausmaße angenommen haben. Hamed Abdel-Samad unterstützt die reformatorisch-humanistischen Ansätze des österreichischen Theologen Mouhanad Khorchide und gehört in der von Cem Özdemir gegründeten Initiative Säkularer Islam zu den Erstunterzeichnern. Der Religionskritiker ist angesehener Teilnehmer im öffentlichen Diskurs – daran vermag auch der Widerstand teils extremistischer Personen und Gruppen nichts zu ändern. Dass ausgerechnet der AStA meint, eine Förderung der HSG würde ihn wegen der Person Abdel-Samad in Misskredit bringen, ist bezeichnend für dessen Einstellung zur offenen Streitkultur. Ganz anders sah es im Jahr 2015 die jüdische Gemeinde in Düsseldorf, die Hamed Abdel-Samad die Josef-Neuberger-Medaille verlieh, mit der traditionell Personen der nichtjüdischen Öffentlichkeit ausgezeichnet werden, die sich um die jüdische Gemeinschaft besonders verdient gemacht haben. Eine Tatsache, die den Vorwurf des Antisemitismus als blanke Ignoranz entlarvt.

Als letztes Argument führte der AStA in seinem Widerspruchsbescheid an, dieser sei nicht berechtigt, die HSG zu fördern, da sich diese weltanschaulich betätige. Der AStA stützte seine Rechtsauffassung hierbei auf den Wortlaut des Paragrafen 108 Absatz 4 Satz 2 HochSchG, worin die satzungsmäßigen Aufgaben der Studierendenschaft geregelt sind. Hierzu gehört unter anderem, "die Meinungsbildung in der Gruppe der Studierenden zu ermöglichen" und "auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung die politische Bildung, das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft ihrer Mitglieder zur aktiven Toleranz sowie zum Eintreten für die Grund- und Menschenrechte zu fördern".

Dass der AStA das Wirken der HSG und der gbs unter diesen Grundsätzen nicht zu subsumieren vermag, scheint befremdlich. Der AStA zieht es augenscheinlich vor, sich unter Berufung auf diese Werte über mehrere Ecken von unliebsamen Personen zu distanzieren. Dabei nimmt er in Kauf, dass Veranstaltungen zu Menschenrechten, über die Grenzen der Toleranz, Aufklärung, Evolution und weitere nicht beworben werden können und dadurch weniger Studierende erreichen. Der AStA verkennt hierbei, dass er sich durch sein Verhalten im Widerspruch zu den eigenen Werten verhält. Dieses ist bezeichnend für einen typisch ideologischen Tunnelblick, der eine grenzenlose "Kontaktschuld" annimmt, in der Personen von Ideen untrennbar sind.

Darüber hinaus ist eine solche Diskriminierung weder mit dem Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 GG vereinbar noch mit der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Artikel 4 Absatz 1 GG, da somit eine Benachteiligung gerade mit einem grundrechtlich geschützten Verhalten begründet wird.

Kleine Politik im Sandkasten?

Doch wie ist nun all dies zu bewerten? In gewisser Weise pflegt der AStA ein eher unbedeutsames Dasein. Die Wahlbeteiligung liegt jährlich kaum höher als zehn Prozent und viele der Studierenden interessieren sich, abseits von Großveranstaltungen an der Universität, kaum bis gar nicht für die Tätigkeiten des AStA oder des Studierendenparlaments. Doch man sollte ihre Bedeutung für die Diskussionskultur auf dem Campus nicht unterschätzen. Mit dem AStA der Universität in Mainz liegt jedenfalls eine politische Kraft vor, die ihre eigenen juristischen Befugnisse und Grenzen nicht zu kennen scheint, aber nicht davor zurückschreckt, der Meinungsvielfalt eben jene Grenzen nach eigenem Ermessen aufzuzeigen.

Die Universität ist ein Raum der hinsichtlich einer freien und offenen Debattenkultur für Studierende nicht verloren gehen darf. Auch wenn humanistische Organisationen wie die gbs den Studierenden (derzeit) kaum ein Begriff sind, haben Veranstaltungen mit Personen wie Michael Schmidt-Salomon und Hamed Abdel-Samad sowie den entsprechenden Themen großen Andrang und reges Interesse innerhalb der Studierendenschaft hervorgerufen. Die Hörsäle der Universität waren eine Bühne für jene Gespräche, die unsere Gesellschaft dringend führend muss – und auch in der Zukunft führen müssen wird. Auch hierfür sollte ein AStA eigentlich eine wichtige Kraft sein und seiner Verantwortung als Organ der studentischen Selbstverwaltung gerecht werden, indem er den Wert von Meinungsvielfalt innerhalb der Studierendenschaft hochachtet und frei von ideologischen und einseitigen politischen Interessen handelt.

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