Biodiversität und Klimawandel

Ein Tresor für die wichtigsten Nutzpflanzensamen der Welt

Auf der norwegischen Insel Spitzbergen befindet sich einer der größten Schätze der Menschheit: Ein riesiger Saatgut-Tresor, in dem Samen von Nutzpflanzen aus allen Teilen der Erde eingelagert werden. Ziel des Projekts ist es, die immer weiter schwindende genetische Vielfalt von Nutzpflanzen für künftige Generationen zu erhalten. Auch und gerade in Hinblick auf den Klimawandel. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg führte hierzu ein Interview mit Stefan Schmitz, dem Leiter des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt.

hpd: Herr Dr. Schmitz, Sie leiten den Global Crop Diversity Trust, den Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt. Ihr größtes und bekanntestes Projekt dürfte der Saatgut-Tresor auf Spitzbergen sein, der "Svalbard Global Seed Vault". Was genau ist das eigentlich?

Stefan Schmitz: Das ist, wie der Name sagt, ein globaler Saatgut-Tresor. Dieser Saatgutspeicher ist so etwas wie eine nicht-öffentliche Zentralbibliothek. Mit dem Unterschied, dass hier keine Bücher oder historischen Dokumente aufbewahrt werden, sondern Samenkörner der wichtigsten Nutzpflanzensorten dieser Welt. Ansonsten sind aber die Parallelitäten zu zentralen Bibliotheken für Schriftgut sehr eindrucksvoll.

Nehmen Sie zum Beispiel die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig und Frankfurt am Main. Deren Aufgabe ist es seit über 100 Jahren, alles zu sammeln, zu verzeichnen und zu bewahren, was in Deutschland über Deutschland, in deutscher Sprache publiziert wurde – wirklich alles vom Comic über Tageszeitung und Roman bis zum Theaterdrehbuch. Ich erinnere mich, als ich vor mehreren Jahrzehnten meine Doktorarbeit fertig stellte, musste ich vier Exemplare drucken lassen. Je eines für den Doktorvater und Zweitgutachter, eines für die Bibliothek der Freien Universität Berlin, an der ich promoviert wurde, und schließlich ein Exemplar für die Nationalbibliothek. Sicher ist sicher, sozusagen eine Sicherungskopie im Hintergrund. Und so muss man sich den Saatgutspeicher vorstellen, als Bibliothek, als Sicherungskopie für die wichtigsten Nutzpflanzensamen dieser Welt.

Dr. Stefan Schmitz
Dr. Stefan Schmitz, Geschäftsführer des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt. © Christoph Meinschäfer

Wozu braucht man so einen Saatgutspeicher?

Die Pflanzen, die wir heute verwenden überall auf der Welt, das sind gezüchtete Varianten, das Ergebnis jahrtausendelanger Züchtungsarbeiten. Seit der Mensch sich vor Jahrtausenden von Jahren niedergelassen hat, vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern wurde, züchtet er aus dem, was es in der Natur gibt an Samenkörnern, immer neue Sorten. Und er tut dies seit Jahrtausenden, eben um die Qualität dessen, was auf dem Feld wächst, zu verbessern. Im Laufe der Jahrtausende hat sich eine Fülle von Sorten herausgebildet, die an unterschiedliche Wachstumsbedingungen angepasst sind: Klima, Boden, Tageslänge, Krankheiten, Schädlinge oder eben gesellschaftliche Bedürfnisse und unterschiedliche Geschmäcker.

Wenn wir heute noch eine Landwirtschaft hätten wie vor 100 oder 150 Jahren, bräuchten wir keine Saatgutbanken, denn dann hätten wir die ganze Vielfalt der Nutzpflanzen auf dem Feld, irgendwo auf der Welt. Aber durch die Globalisierung der Landwirtschaft, durch die Vereinheitlichung, dadurch, dass man zunehmend dem gerecht zu werden versucht, was der Konsument im Supermarkt nachfragt, hat sich die Vielfalt auf dem Feld in den letzten Jahrzehnten dramatisch reduziert. Was Sie heute an Vielfalt in Supermarktregalen sehen, ist letztlich eine Scheinvielfalt. Heute werden 75 Prozent aller weltweiten Nahrungsmittel aus nur zwölf Pflanzen und fünf Tierarten gewonnen.

Was ist daran so schlimm?

Das bedeutet, dass Veränderungen des Klimas, neue Pflanzenkrankheiten oder andere Umweltbedingungen weitreichende Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit haben können. Darum tun wir sehr gut daran, alles das, was es noch an Vielfalt gibt in den verschiedensten Ecken dieser Welt, im Hochland von Äthiopien, im Hochland der Anden, in entfernten Ecken Indonesiens und der Philippinen, das alles festzuhalten, zu bewahren, um es für künftige biologische Grundlagenforschung, für künftige Züchtungen und für zukünftige Sicherheitsmaßnahmen gegen den Klimawandel festzuhalten. Also wenn man so will: Wir schaffen mit diesen Saatgutbanken so etwas wie die Arche Noah des 21. Jahrhunderts. So viel drauf auf dieses Schiff wie möglich, um es für nachfolgende Generationen zu sichern, denn im Endeffekt wissen wir heute noch nicht, welche genetischen Eigenschaften wir im Zweifel brauchen werden. Darum ist das eine Lebensversicherung, die der Stärkung unserer eigenen Widerstandskraft als Menschheit dient. Das ist unsere Aufgabe.

Sicherung der Nutzpflanzenvielfalt
Die Sicherung der Nutzpflanzenvielfalt ist Aufgabe des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt. © Global Crop Diversity Trust

Ist das Projekt allein in Hinblick auf die drohenden Folgen des Klimawandels konzipiert oder gibt es auch andere Einsatzgebiete?

Es gibt natürlich auch immer wieder punktuelle Katastrophen. Ein erschreckender Augenöffner waren die Ereignisse im syrischen Bürgerkrieg. In Syrien, in Aleppo, gab es über Jahrzehnte eines der großen wichtigen internationalen Agrarforschungsinstitute, das spezialisiert war auf die Landwirtschaft in den trockenen Gebieten dieser Erde. Und wie bei allen großen internationalen Agrarforschungsinstituten gehörte auch zu diesem Institut eine entsprechende Saatgutbank, aus der sich die eigene Forschung bedienen konnte.

Der Leiter dieses Instituts hat beim Aufkommen der kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 2015 sehr schnell die Notwendigkeit erkannt, dieses Saatgut in Sicherheit zu bringen. Darum hat er Duplikate nach Svalbard geschickt. Und es geschah das, was er und andere befürchtet hatten, es geschah wirklich der GAU, dass wichtige Samenbestände in Aleppo zerstört wurden oder nicht mehr zugänglich waren. Das war dann das erste Mal, dass auch Sicherungskopien, die auf Svalbard im Saatgut-Tresor gelagert waren, wieder zurückgefordert wurden. Und zwar von Zweigstellen dieses Forschungsinstituts in Aleppo, Zweigstellen im Libanon und in Marokko, so dass mit diesem Material bis heute und auch in Zukunft weiterhin für die Landwirtschaft in trockenen Räumen der Erde geforscht werden kann.

Ähnliche Fälle hatten wir auch beispielsweise auf Indonesien, wo es durch Erdbeben und Feuer dazu gekommen war, dass eine wichtige Samenbank und damit wichtiges, unwiederbringliches genetisches Material zerstört wurde. Und für all diese punktuellen traurigen Ereignisse ist es natürlich wichtig, diese Sicherungskopien zu haben.

Die eigentliche und noch viel größere Bedrohung und Herausforderung ist aber der alltägliche kleine Tod, den die Vielfalt auf den Feldern dieser Welt stirbt. Weil ein landwirtschaftlicher Familienbetrieb, der vielleicht bis jetzt noch eine bestimmte Sorte im äthiopischen Hochland angebaut hat, den Betrieb an den Sohn weitergibt und der einfach daran nicht mehr interessiert ist, weil er vielleicht eher auf Weizen setzt oder was auch immer. Und so geht halt schleichend überall auf der Welt diese Vielfalt auf den Äckern verloren. Deshalb ist es wichtig, diese Vielfalt zu erhalten, weil wir sie für Züchtungszwecke benötigen.

Wie kann ich mir Ihren globalen Saatgut-Tresor denn nun ganz konkret vorstellen?

Der "Global Seed Vault" befindet sich auf der Insel Spitzbergen, das ist die größte und bekannteste Insel einer ganzen Inselgruppe mit Namen Svalbard. Svalbard liegt im Nordpolarmeer, gehört zu Norwegen und befindet sich so etwa auf halbem Weg zwischen Festland-Norwegen und dem Nordpol. Auf Svalbard leben etwa 2.500 Menschen, die allermeisten von ihnen im Hauptort Longyearbyen. Nördlicher gibt's dann nur noch vereinzelte Forschungsstationen oder Jagd- und Fischereiposten, die aber nur in Teilen des Jahres bewohnt sind. Das ist also wirklich die nördlichste dauerhafte Siedlungsstätte auf der Welt.

Der Seed Vault liegt da also mitten in der unendlich erscheinenden Weite der arktischen Tundra, kilometerweit entfernt von der nächsten menschlichen Behausung. Am nächsten liegt noch der kleine Flughafen der Insel. Was sich auch als sehr praktisch erweist, wenn es darum geht, Saatgut aus allen Teilen der Welt einzusammeln und hierhin zu bringen. Aber ansonsten kilometerweit keine einzige menschliche Behausung. Zu erreichen ist der Saatgut-Tresor nur über eine unscheinbare gewundene Landstraße.

Da empfängt sie dann ein in den Berghang gebauter dreieckiger Eingang aus Beton. Recht unscheinbar, aber eigentlich auch sehr ansprechend in moderner, nordischer, nüchterner, aber attraktiver Architektur gestaltet. Dieser Eingang ist mit sehr massiven Stahltüren fest verschlossen. Kein Mensch weit und breit. Gespenstische Ruhe, gespenstische Einsamkeit. Einige Überwachungskameras sind der einzige Hinweis darauf, dass Menschen hinter diesen Türen etwas sehr Schützenswertes bewahren. Und das Überwachungspersonal sitzt gar nicht dort, sondern das wird per Fernüberwachung gemacht. Die sitzen im Hauptort der Insel Longyearbyen in warmen Büroräumen vor den Bildschirmen und schauen danach, dass alles seine Richtigkeit hat.

Der Charme eines Ikea-Lagers
Das Innere des weltweiten Saatgut-Tresors hat den Charme eines Ikea-Lagers – sein Inhalt ist jedoch wertvoller und hält länger. © Global Crop Diversity Trust

Wie sieht es hinter den Türen des Tresors aus?

Wenn sich die schweren Stahltüren öffnen – und das tun sie nur sehr selten – dann machen sie den Weg frei zu einem etwa 100 Meter langen Tunnel tief in den Berg hinein, bis sich ein größeres Gewölbe öffnet. Dort herrschen so etwa minus vier Grad. Das ist dort die innere Umgebungstemperatur. Und in diesem Gewölbe befinden sich wiederum drei fest verschlossene Türen zu den eigentlichen Tresoren, den Kühlkammern, in denen die Luft auf minus 18 Grad heruntergekühlt wird. Das ist die Temperatur, die viele von uns vom Drei-Sterne-Gefrierfach ihres Kühlschranks oder von der Kühltruhe her kennen. Also eine Temperatur, wo wir alle aus eigener Erfahrung wissen, da überlebt dann auch die Tiefkühlkost eine längere Zeit. Und diese biologische Eigenschaft, bei niedrigen Temperaturen lange zu überleben, die wird hier auch genutzt.

In diesen Kühlkammern stehen hohe Regale wie in einem modernen Logistikzentrum oder in einem Selbstbedienungsmöbelhaus. Diese Regale sind gefüllt mit fest verschlossenen, versiegelten Kisten aus Metall. Und in diesen Kisten befinden sich die eigentlichen Samenproben, jede einzelne Probe fest vakuumiert, verschlossen in Aluminiumbeuteln. Und jede Aluminiumverpackung enthält die Probe einer ganz bestimmten Sorte, die an einem ganz bestimmten Ort dieser Welt gezüchtet wurde, und zwar pro Beutel je 500 Samenkörner. Und von diesen Aluminiumtütchen mit jeweils 500 einzelnen Körnern gibt es derzeit etwa eine Million, also rund 500 Millionen einzelne Samenkörner, die im Seed Vault aktuell gelagert sind. Damit ist die Kapazität, die der Tresor hat, zu knapp einem Drittel ausgeschöpft. Also es sind insgesamt drei Kammern für jeweils 1,5 Millionen solcher Proben. Die erste Kammer nähert sich jetzt so langsam dem Zustand, wo sie wirklich voll ist, und dann werden die Türen zu den zwei nächsten geöffnet und dann kann weiter gesammelt werden.

Wie läuft denn die Sammlung des Saatguts ganz konkret ab und wer finanziert das Ganze?

Die großen Saatgutbanken dieser Welt wissen natürlich, dass es diese Möglichkeit gibt, auf Svalbard die eigenen Bestände dauerhaft in Kopie zu sichern. Dazu werden sie auch ermuntert und die schicken ihre Sicherungsduplikate auch dorthin. Aber bei den vielen kleineren und größeren Saatgut-Bibliotheken des globalen Südens in den Entwicklungsländern, denen das Geld häufig fehlt, solche Kopien zu erstellen, übernehmen wir, also der Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, die Kosten.

Svalbard selber wird vollständig von der norwegischen Regierung finanziert. Wir sind an den Gesamtkosten insbesondere dadurch beteiligt, dass wir den Entwicklungs- und Schwellenländern und den Saatgutbanken, die der internationalen Gemeinschaft gehören, die Möglichkeit geben, daran teilzunehmen und ihr Saatgut dort einzulagern. Das heißt, die Einrichtung selbst und der Bau des Ganzen wurde vollständig vom norwegischen Staat finanziert. Und auch die laufenden Kosten für den Betrieb, für das Kühlsystem, die Überwachung und alles, das zahlt die norwegische Regierung. Und die Aufgabe des Crop Trusts, des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, ist es, dem globalen Süden, den Entwicklungsländern, die Möglichkeit zu geben, ihr Saatgut auch dort auf Spitzbergen einzulagern. Und die wichtigsten genetischen Hotspots dieser Welt befinden sich nun einmal in tropischen Ländern, im Hochland von Äthiopien, in Kenia, in Nigeria, im Amazonasgebiet, im Hochland von Mexiko, in Südostasien. Darum ist es eben extrem wichtig, dass wir hier in Stellvertretung der internationalen Gemeinschaft tätig werden und die Möglichkeit eröffnen, auch von dort das genetische Material zu sichern und auf Spitzbergen einzulagern.

Saatgutproben aus Deutschland
Auch Saatgutproben aus Deutschland sind im Tresor auf Spitzbergen eingelagert. © Global Crop Diversity Trust

Was mich zu der Frage führt, was genau denn eigentlich der Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt ist.

Wir sind eine internationale Stiftung mit Sitz in Bonn. Wir sitzen in einem Teil der ehemaligen Räumlichkeiten der Bundestagsverwaltung, die dort saß vor ihrem Umzug nach Berlin, also in gewisser Weise in historischen Räumen. Die Bundesregierung hat uns freundlicherweise diese Räume zur Verfügung gestellt. Wir sind heute etwa 35 Mitarbeiter und wir sind, wie gesagt, eine Stiftung. Das heißt, man hat uns ein Stiftungsvermögen anvertraut, und treuhänderisch aus dessen Zinserträgen, die jährlich anfallen, bestreiten wir die Kosten.

Das Stiftungskapital beträgt heute etwas über 300 Millionen US-Dollar. Das ist ein erfreulicher Anfang, um einige der Aufgaben zu erfüllen. Es reicht aber bei Weitem noch nicht für alles. Wir schätzen, dass wir weitere 500 Millionen US-Dollar brauchen werden. Also wir betreiben fleißiges Fundraising. Überall auf der Welt versuchen wir, Menschen davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, in dieses globale öffentliche Gut zu investieren und damit die Zukunft der Menschheit und die Zukunft der Ernährung der Welt insbesondere im Klimawandel zu sichern.

Wer hat die Stiftung gegründet?

Das Ganze hatte seinen Ursprung sowohl in einer Initiative der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen als auch in einer Initiative der Vereinigung der großen internationalen Agrarforschungsinstitute, die gleichzeitig die Hüter der wichtigsten Saatgutbanken dieser Welt sind. Und diese Idee, die aus beiden Richtungen kam, wurde dann von einigen Ländern, unter ihnen auch Deutschland, Norwegen, Vereinigtes Königreich, USA und anderen aufgegriffen, die dann im Jahr 2004 den Crop Trust als internationale Stiftung eingerichtet haben. Er war dann zunächst bis zum Jahr 2012 in den Räumen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen in Rom angesiedelt. Und 2012 kam dann auf Einladung und Betreiben der Bundesregierung der Umzug nach Bonn.

Man muss sagen, das ist schon ein Glücksfall internationaler Politik gewesen. Ich denke, es gibt wenige Lebensbereiche des Menschen, in denen eine multilaterale Zusammenarbeit so wichtig ist, wie im Bereich der Sicherung der Welternährung und der Sicherstellung der Möglichkeit, freien Zugang zu haben zu den genetischen Ressourcen dieser Welt.

Sie betreiben das Projekt ja sozusagen als ernährungstechnische Lebensversicherung vor den Folgen des Klimawandels. Tragischerweise hat der Klimawandel aber jüngst auch dem Saatgut-Tresor ein wenig zugesetzt. 

Ja, Svalbard gehört zu den Regionen der Welt, in denen sich der Klimawandel besonders stark bemerkbar macht. Das heißt, die durchschnittliche Temperatur ist dort oben heute bereits acht bis zehn Grad höher, als es vor 100 Jahren der Fall war. Es sind immer noch in den meisten Zeiten des Jahres negative Temperaturen. Aber diese Temperaturen sind heute bei Weitem nicht mehr so negativ, wie sie es noch vor einigen Jahrzehnten waren. Als ich das letzte Mal vor ziemlich genau einem Jahr auf Svalbard war, war es schon eine erschreckende Erfahrung zu sehen, dass dieser Fjord, an dem der Hauptort liegt, dass der im Februar praktisch eisfrei ist.

Die Temperaturen dort haben sich also erhöht, was eben dazu führt, dass vor allem in den Sommermonaten der sogenannte Permafrost taut, zumindest antaut in der oberen Schicht. Das hat dazu geführt, dass der Eingangsbereich zu dieser Saatgut-Bibliothek mit Wassereinbruch zu kämpfen hatte. Das ist, wenn man so will, ein kleiner Konstruktionsfehler gewesen, als man 2005/2006 mit dem Bau begonnen hatte, denn man hätte das eigentlich schon damals vorhersagen können. Dieser Mangel ist jetzt aber mit einer Nachbesserung im Laufe von anderthalb Jahren komplett beseitigt worden.

Also der Klimawandel ist ein dramatisches Geschehen, das den Saatgut-Tresor an sich immer wichtiger macht. Aber der Klimawandel selbst wird dem Saatgut-Tresor keinen Schaden zufügen. Ich denke, da kann man nach menschlichem Ermessen heute sicher sein.

Wie realistisch ist es Ihrer Meinung nach, dass wir in naher oder ferner Zukunft den Inhalt des Saatgut-Tresors tatsächlich brauchen werden?

Ich denke, das wird sicher der Fall sein. So sehr wir natürlich immer hoffen, dass Katastrophen an uns vorbeigehen, so sehr wissen wir auch, dass die Realität so nicht ist. Es wird auch weiterhin Zwischenfälle in verschiedenen Teilen der Welt geben. Das muss gar nicht eine kriegerische Auseinandersetzung wie in Syrien sein. Das kann ein Erdbeben, ein Feuer sein, das kann eine nicht funktionierende Kühlanlage oder ein Wassereinbruch sein. Alles Mögliche in verschiedenen Teilen der Welt kann dazu führen, dass wichtiges, wertvolles, einzigartiges genetisches Material unwiederbringlich zerstört ist. Und dann können wir glücklicherweise auf die gelagerten Sicherungskopien, die Duplikate der Samenkörner im ewigen Eis zurückgreifen. Es ist gut, wenn das in der Wirklichkeit möglichst selten der Fall ist. Aber es ist besser, eine solche Sicherungseinrichtung zu haben. Wie eine Lebensversicherung oder eine Feuerversicherung. Gut, dass man sie hat.

Was bedeutet Ihnen persönlich das Projekt?

Es ist ja vielfach in der internationalen Presse als eines der wichtigsten, zukunftsweisendsten und innovativsten Projekte gelobt worden. Und als Beleg dafür, dass der Mensch bei entsprechendem politischem Willen sehr wohl in der Lage ist, international wirkungsvoll zusammenzuarbeiten und damit auch seine Zukunft konstruktiv in die eigene Hand zu nehmen. Für mich ist dieser Saatgut-Tresor deshalb nicht nur ein Glücksfall für die Landwirtschaft und die Ernährung überall auf der Welt, sondern gleichzeitig auch ein Mut machendes Zeichen, das zeigt, was möglich ist, und das auch in anderen Lebensbereichen auf dieser Welt Schule machen sollte. Das ist für mich so ein bisschen auch immer die symbolische Bedeutung von Svalbard, die über das eigene Projekt deutlich hinausragt.

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