Der Bundestag debattierte über Suizidhilfe – eine kritische Einschätzung

Am 21. April debattierte der Deutsche Bundestag zwei Stunden lang über Suizidhilfe. 38 Abgeordneten standen jeweils drei Minuten Redezeit zur Verfügung. Es ist immer positiv und interessant, wenn Volksvertreter:innen ihre persönlichen Einstellungen, Erfahrungen und auch Werte offenlegen und austauschen. Zu kritisieren an dieser Debatte ist allerdings, dass es eben nicht nur um einen kollegialen Gedankenaustausch ging, sondern dass die Debatte im Hinblick auf eine gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe erfolgte. Da erscheint es höchst bedenklich, wenn Mitglieder des Bundestags ihre persönlichen Werte vortragen und damit bereits eine Ausrichtung der Gesetzgebung vorgeben. Letztendlich führt das zu einem Gesetz nach eigenem Gusto der Abgeordneten.

Es geht aber nicht darum, dass Gruppen von Abgeordneten ihre persönlichen Wertvorstellungen in Gesetzesform gießen und damit den Bürger:innen auferlegen. Sie würden damit unrechtmäßig in die Selbstbestimmung von Individuen eingreifen. Es kann nicht sein, dass eine Interessengruppe uns alle zwingt, nach ihren Vorstellungen zu sterben.

Wenn es überhaupt ein Gesetz geben soll, müsste es sicherstellen, dass freiverantwortliche Suizide ohne unverhältnismäßige Hürden möglich sind. Es darf keinen paternalistischen Fürsorgeanspruch geben, wie er bei einem großen Teil der Abgeordneten zum Ausdruck kam. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 zum Paragraphen 217 StGB festgestellt:

"Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, entzieht sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Sie bedarf keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren." Rn 210

Damit verbietet es sich, dass persönliche Wertvorstellungen oder Überzeugungen von Mitgliedern des Bundestags Richtschnur für eine gesetzliche Regelung werden. Menschen, die aufgrund ihrer Wertvorstellungen ein natürliches Sterben unter palliativer Begleitung für den richtigen Weg halten, haben genauso das Recht, diesen zu gehen wie Menschen, die eine Fortsetzung ihres Lebens unter den gegebenen Bedingungen und Alternativen für nicht mehr wünschenswert oder sinnvoll erachten. Nur so kann jede Person ihre Selbstbestimmung ausüben. Dazu gehört, dass man die Entscheidungen anderer Menschen, die diese aufgrund anderer Wertvorstellungen treffen, tolerieren muss. Man kann jedoch nicht seine eigenen für alle anderen verbindlich machen. Auch nicht dadurch, dass man die Verwirklichung einer freiverantwortlichen Lebensbeendigung mit möglichst hohen Hürden so schwer wie möglich macht. Das würde dem Geist des Urteils und dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht gerecht werden.

"Der Verfassungsordnung des Grundgesetzes liegt ein Menschenbild zugrunde, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. Dieses Menschenbild hat Ausgangspunkt jedes regulatorischen Ansatzes zu sein." Rn 274

Ein anderer Punkt, den man kritisch betrachten kann, ist die ausschließliche Bindung der Suizidhilfe an einen Arzt. Was soll ein Mann wie Herr Gärtner (der Protagonist in dem Theaterstück "GOTT" von Ferdinand von Schirach), der sterben möchte, ohne krank zu sein, bei einem Arzt? Folglich wäre zu überlegen, inwieweit eine Abgabe von Natrium-Pentobarbital, wenn sie denn endlich einmal möglich ist, auch in ein arztunabhängiges Sicherungskonzept gebracht werden kann. Nur Renate Künast und Katja Keul haben dafür einen Plan, der aber im Detail in vielen Punkten zu kritisieren ist. Dann ist da noch die Gruppe derjenigen, die einen möglichst unabhängigen Suizid in Eigenregie und ohne Begleitung wollen. Selbst wenn man die Größe dieser Gruppe nicht genau kennt, muss auch für sie ein verantwortlicher Weg gefunden werden, will man sie nicht als irrelevant betrachten und unberücksichtigt lassen.

Viele Redner:innen thematisierten die Gefahr für die Autonomie, die dadurch entstehen kann, dass Dritte Druck ausüben. Vor einer Suizidhilfe müsse unbedingt ausgeschlossen sein, dass Dritte einen Menschen zum Suizid drängen. Aber auch das Umgekehrte ist denkbar, dass Dritte Druck ausüben, um einen freiverantwortlichen Suizid zu verhindern. Dies kann zum Beispiel geschehen durch psychischen oder moralischen Druck, Vorenthalten von Informationen, Behinderung des Zugangs zu Suizidhilfen oder ungerechtfertigte (Zwangs-)Einweisungen in die Psychiatrie. Insbesondere in die Versorgung von schwer kranken Menschen sind einige Gruppen involviert, die neben einem weltanschaulichen oder einem moralischen auch ein persönliches Interesse am Weiterleben der Sterbewilligen haben: Hospize, Krankenhäuser, Pflegedienste, Pharmaindustrie, Angehörige usw. Teilweise haben diese Gruppen auch ein finanzielles Interesse daran, ihre "Kunden" länger zu behalten. All das wurde weder in der Debatte noch in den bisher vorgelegten Gesetzesentwürfen bedacht.

Last but not least ist die Konzentration auf schwer, schwerst oder final Erkrankte zu einseitig. Die Diskussion über Suizidhilfe fokussiert häufig auf ärztlich assistierten Suizid als eine Hilfe, um schweres Leiden an Krankheitszuständen vorzeitig zu beenden. Von Bilanz- und Alterssuiziden war in dieser Debatte wenig zu hören. Schließlich entsteht spätestens bei den zahlreichen vorgesehenen Beratungen, Prüfungen und Inspektionen der Eindruck, als würde den Sterbewilligen letztendlich "Gnade" zuteil, wenn der Zugang zu Suizidhilfe "gewährt" wird. Dann muss man nach dem ganzen Prozedere auch noch einen Arzt finden, der zur Suizidhilfe bereit ist – nochmals eine Abhängigkeit von der Zustimmung eines Dritten. Mitgefühl, Empathie und daraus resultierende Hilfsbereitschaft sind wertvolle menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Dennoch geht es hier nicht um ein "Gewähren" von Hilfen, sondern um die Ausübung verfassungsrechtlich gesicherter Rechte. Das Bundesverfassungsgericht hat seine ganze Urteilsbegründung auf das Selbstbestimmungsrecht in allen Krankheits- und Lebensphasen gegründet.

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