Frankfurt

Hängemattenbischof mahnt Ökumenischen Kirchentag zur Aufarbeitung von Missbrauch in den Kirchen

Mit der international berühmt gewordenen Großplastik "Der Hängemattenbischof" demonstrieren die Giordano-Bruno-Stiftung und das Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen vom 12. bis 15. Mai in Frankfurt gegen die vollkommen unzureichende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle innerhalb der Kirchen. Die Organisatoren richten dabei sowohl Kritik an den 3. Ökumenischen Kirchentag, der morgen beginnt, als auch einen Appell an dessen Teilnehmer.

Der "Hängemattenbischof" des Düsseldorfer Wagenbauers Jacques Tilly liegt zufrieden grinsend in seiner goldenen Schlafkoje, die an zwei Kreuzen befestigt ist, welche sich unter dem Gewicht des untätigen Amtsträgers so sehr verbiegen, dass sie vollends zu zerbrechen drohen. Die Protestaktion ist eingebettet in eine "religionskritische Figurenparade" der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), bei der noch zwei weitere Skulpturen und ein mobiles Kirchenaustrittsbüro zu sehen sind.

Keine nachhaltigen Impulse von Kirchen- und Katholikentagen

Matthias Katsch, Geschäftsführer des Eckigen Tisches und Mitglied im Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen erklärt das Ziel der Aktion:

"Mit dem 'Hängemattenbischof' wollen wir die Teilnehmer des Kirchentags aufrütteln: Die Laien und einfachen Kirchenmitglieder haben viel zu lange die Aufarbeitung den Bischöfen und Kirchenleitungen überlassen. Zugleich haben sie damit die Opfer mit der Täterinstitution alleine gelassen. Bloße Solidaritätsbekundungen genügen nicht. Ich durfte bisher dreimal auf einem Katholikentag – 2012 in Mannheim, 2014 in Regensburg und 2016 in Leipzig – für die Betroffenen von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen sprechen. Doch diese Veranstaltungen fanden immer vor weitestgehend leeren Hallen statt. Das Thema 'Missbrauch in ihrer eigenen Kirche' hat das Publikum einfach nicht interessiert."

Dieses Jahr hätte es anders sein können, denn durch die anhaltenden Skandale steht das Thema wieder vermehrt im Fokus der Öffentlichkeit. Doch Maximilian Steinhaus von der Giordano-Bruno-Stiftung zeigt auf, dass der Ökumenische Kirchentag die Chance vertan hat:

"Es gibt lediglich zwei Veranstaltungen zum Thema Missbrauch. In der Diskussionsrunde 'Macht ist nicht gleich Autorität!' sollen 15 Menschen zu Wort kommen und noch ein Tanz aufgeführt werden – innerhalb von 60 Minuten! Was soll bei diesem Schnelldurchlauf herauskommen? Darüber hinaus ist 'Missbrauch' nur ein Themenblock von insgesamt vier, die alle in der einen Stunde bearbeitet werden sollen. Darunter ist auch das Thema 'Kirche, Geld und Finanzen', das allein schon abendfüllend wäre. Die zweite Veranstaltung zum Thema Missbrauch muss sich die zur Verfügung stehenden 60 Minuten zwar nicht mit anderen Themen teilen, doch dafür sitzen die Betroffenen gar nicht mit auf dem Podium. Bereits der Titel lässt erkennen, dass sich die Kirche immer noch nicht von der Täterperspektive lösen kann: 'Tatort Glaubensraum. Stolpersteine der Macht im kirchlichen Missbrauch' – als wenn man in Missbrauch einfach so 'hineinstolpern' könnte! Auch der Kirchentag betrachtet Missbrauch offenbar nicht als Leid, das den Opfern zugefügt wurde, sondern nur als einen Stolperstein auf dem Weg zu höheren kirchlichen Würden. Das sind ganz bestimmt keine 'wichtigen Impulse für gesellschaftliche Debatten', derer sich der Kirchentag stets rühmt, sondern das ist nur eine Aufklärungssimulation."

Die Aufarbeitung wird weiter verschleppt

Das Aktionsbündnis geht daher davon aus, dass auch der mit rund 10 Millionen Euro Steuergeldern subventionierte Kirchentag nichts daran ändern wird, dass die echte Aufarbeitung der Missbrauchsfälle immer weiter verschleppt wird – und zwar in beiden Kirchen! Matthias Katsch fasst die Situation noch einmal zusammen:

"Bislang stand die katholische Kirche häufiger im Mittelpunkt der Kritik. Der Ökumenische Kirchentag ist ein geeigneter Anlass um darauf hinzuweisen, dass die evangelische Kirche kein bisschen weiter ist, sondern eher noch weiter zurückliegt. Die katholische Kirche ringt mit der Aufarbeitung seit über zehn Jahren. 2018 versprach man, sich vom Staat helfen zu lassen. Drei Jahre später ist kaum ein Projekt gestartet, es gibt einen Flickenteppich an Ankündigungen und Zwischenständen, den niemand mehr überblickt. Die Vorgänge in Köln zeigen, dass Gutachten, die die Bischöfe selbst vergeben, keine Lösung sind. Die EKD indes hat noch nicht mal eine Vereinbarung über Standards von Aufarbeitung getroffen, und pappt stattdessen an jedes kirchliche Gremium das Label 'Unabhängige Kommission'."

Forderungen des Aktionsbündnisses

Die Organisatoren der Protestaktion mit dem "Hängemattenbischof" sind sich daher einig: Beide Kirchen können und wollen einfach nicht die Kontrolle und die Deutungshoheit über den Prozess der Aufarbeitung aus der Hand geben. Zu groß ist wohl die Sorge um Machtverlust und Konsequenzen, wenn das Ausmaß der Verbrechen und der systematischen Verdunkelung ans Licht kommt.

Der Bundestag sollte endlich eine Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission einsetzen und mit den notwendigen Mitteln und Möglichkeiten ausstatten, um die tausenden Verbrechen an Kindern und Jugendlichen, die strafrechtlich oftmals verjährt sind, sowie die jahrzehntelange Praxis der Vertuschung in beiden Kirchen aufzuklären.

Die kürzliche Auflösung des Betroffenenbeirats der EKD und ähnliche Konflikte in Köln und anderen katholischen Betroffenenbeiräten zeigen: Die Betroffenen brauchen endlich eine Anlaufstelle, die unabhängig von den Kirchen ist. Um dies zu erreichen, muss der Staat die Vernetzung und Selbstorganisation der Opfer finanzieren. Nur so können sie sich an dem notwendigen Aufarbeitungsprozess sinnvoll beteiligen.

Appell an die Kirchentagsteilnehmer

Unterstützt werden diese Forderungen bereits von knapp 29.000 Menschen, die eine Petition des Aktionsbündnisses Betroffeneninitiativen unterzeichnet haben. Das Aktionsbündnis hat die Petition zwar bereits vergangene Woche an die religionspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen übergeben, doch die Petition kann online immer noch gezeichnet werden. Matthias Katsch:

"Jede Unterschrift erhöht den Druck auf die Politik, sich des Themas endlich anzunehmen. Daher appellieren wir an die Teilnehmer des Kirchentags, die Petition ebenfalls zu unterstützen. Sollten am Ökumenischen Kirchentag trotz des digitalen Formats wieder 100.000 Menschen teilnehmen und unterzeichnete nur jeder Dritte, so würden sich die Unterschriften binnen kürzester Zeit verdoppeln. Wir bitten die Teilnehmer, gestehen Sie sich ein: Die Kirche schafft es nicht allein – und die Laien auch nicht. Nehmen Sie den Bischöfen die Kontrolle und unterschreiben Sie!"

Anerkennungsleistungen müssen transparenter und höher werden

Ein weiterer Aspekt, den das Aktionsbündnis kritisiert, betrifft die Arbeit der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), welche die Deutsche Bischofskonferenz im vergangenen September ins Leben rief. Jens Windel ist Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz und gründete die Betroffeneninitiative-Hildesheim. Für das Aktionsbündnis fasst er die Kritik an der UKA zusammen:

"Als Betroffene sollen wir nur beraten. Wenn es aber ans Eingemachte geht, um die Entscheidung über die Anerkennungsleistungen, dann dürfen wir nicht mit an den Tisch: In der siebenköpfigen Kommission sitzen Juristen, Mediziner und Psychologen – aber kein einziger Betroffener. Dabei wäre das wichtig, um bei recht kühlen Berechnungen den anderen Mitgliedern ein Gefühl für das Leid der Opfer zu geben."

Unverständlich sind auch der Entscheidungsprozess und die zuerkannten Leistungen:

"Die Kommission kann Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro auszahlen, in besonders schweren Fällen auch mehr. Doch es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, wie die UKA ihre Entscheidung trifft. Die UKA beruft sich zwar auf ihre Verfahrensordnung, die auf die Schmerzensgelder verweist, die von staatlichen Gerichten für vergleichbare Missbrauchsfälle zuerkannt werden. In der Praxis sind die Ergebnisse aber oftmals unbefriedigend. Betroffene melden uns zurück, dass zum einen diese Intransparenz und zum anderen die oftmals geringe Höhe von 7.000 oder 8.000 Euro als erneute Demütigung empfunden wird. Wenn selbst Menschen wie Rolf Kraus nur 15.000 Euro erhalten, obwohl er im Alter von 10 bis 14 Jahren mehr als 200 Mal missbraucht wurde und noch heute stark darunter leidet – wer könnte dann jemals den Höchstbetrag erhalten? Anstatt das Vertrauen in die Aufarbeitung durch die Kirche zu stärken, sinkt es noch weiter ab."

Internationale Beachtung der vorangegangenen Aktion in Köln

Der "Hängemattenbischof" war im März bereits anlässlich der Präsentation des zweiten von Kardinal Woelki in Auftrag gegebenen Missbrauchsgutachtens zu sehen (hier die dazugehörige Meldung). Die Bilder vom "Hängemattenbischof" vor dem Kölner Dom waren nicht nur in zahlreichen deutschen Medien zu sehen (darunter Tagesschau, heute-Nachrichten, Spiegel, Stern, Arte Journal), sondern waren auch international ein gefragtes Motiv: Der "Hängemattenbischof" zählte in vielen Ländern zu den "Bildern des Tages" und schmückte die Schlagzeilen beim englischen Guardian, der US-amerikanischen Washington Post, der kanadischen Seattle Times, der thailändischen Bangkok Post, der indonesischen Jakarta Post, dem chinesischen Magazin Shine, dem japanischen Magazin Mainichi und dem argentinischen Magazin Clarin (um nur einige wenige Beispiele zu nennen). Im Rahmen der Aktion in Köln entstand die Video-Dokumentation "Jetzt reden die Betroffenen!".

Die Protestaktion wird vom 12. bis 15. Mai täglich von 10 bis 20 Uhr auf dem Frankfurter Römer stattfinden. AUSNAHME: Am 15. Mai (Samstag) muss die Protestaktion auf den Rathenauplatz ausweichen. Die bestehenden Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden selbstverständlich eingehalten.

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