Es gab Zeiten, in denen es gefährlich war, Religionen und Glaubensgemeinschaften öffentlich zu hinterfragen oder zu kritisieren. Im Mittelalter waren die Kirchen so mächtig, dass sie Ketzer in den Kerker oder gar auf den Scheiterhaufen werfen lassen konnten. Mit der Aufklärung, den Menschenrechten, speziell der Religionsfreiheit, sind klerikale Übergriffe auf Personen und Gruppen beschränkt worden.
Repressionen gab es bei uns aber noch bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Nicht gewaltsame, dafür subtile in Form von Drohungen, Angsterzeugung, Stigmatisierung und teilweise Indoktrination. In vielen islamisch geprägten Ländern zeigt die religiöse Repression heute noch das Bild eines barbarischen Regimes. Aktuell in Afghanistan, wo die Taliban eine extreme Form der Scharia installieren.
Religiöse Emanzipation und Säkularisierung öffneten einen neuen geistigen Raum. Nun konnte man öffentlich debattieren, ob Religion einem tiefen menschlichen Bedürfnis entspricht oder ob sie durch Erziehung tief ins Kollektive Einzug gehalten hat. Oder andersherum: Wurden die Menschen früher so stark religiös konditioniert, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, Dogmen und Glaubensgemeinschaften zu hinterfragen?
Gerechtigkeitssinn auch ohne Glauben
In der Neuzeit werden deshalb Fragen nach Sinn und Zweck der Religionen öffentlich diskutiert. Haben sie tatsächlich einen tieferen Sinn in die Welt gebracht? Haben sie Ethik und Moral implementiert, wie sie für sich reklamieren? Würden ohne die Glaubensgemeinschaften Sodom und Gomorrha herrschen? Gäbe es noch mehr Chaos und Krieg?
Die Fragen lassen sich nicht schlüssig beantworten. Sicher ist allerdings, dass wir Menschen unabhängig vom Glauben ein Rechtsempfinden und einen Gerechtigkeitssinn entwickeln. Es ist sogar anmaßend, wenn Glaubensgemeinschaften die Deutungshoheit in Bezug auf Moral und Ethik für sich beanspruchen.
Denn viele klerikale Würdenträger tun sich auffallend schwer, die Zehn Gebote einzuhalten, wie die vielen Skandale der letzten Jahrzehnte zeigen. Außerdem sind Religionen konfliktträchtig, werden doch bis in die Neuzeit Religionskriege ausgetragen. Gier und Machtgebaren zeigen sich in vielen Glaubensgemeinschaften.
Die strukturelle Gewalt dahinter
Vor allem aber führt ein strenger Glaube nur allzu rasch zur Radikalsierung und Fanatisierung der Gläubigen und Geistlichen. Dahinter verbirgt sich immer auch eine strukturelle Gewalt. Diese lässt sich ebenfalls nicht mit den Geboten von Nächstenliebe und Barmherzigkeit in Einklang bringen.
Ethik und Moral lassen sich nicht von religiösen Autoritäten aufpfropfen. Nachhaltig bleibt ein moralisches Empfinden nur durch Einsicht. Religionen hingegen arbeiten gern mit Angst und Drohungen, um die Gläubigen zu disziplinieren. Angst vor der Endzeit, Angst, das Seelenheil zu verpassen, Angst, am Jüngsten Tag mit einem zu langen Sündenregister vor Gott treten zu müssen und verbannt zu werden usw. Und: Religionen haben den Teufel erfunden, der uns das Leben zur Hölle macht, wie manche Glaubensgemeinschaften erklären.
Deshalb wäre die Welt möglicherweise eine friedlichere, wenn die Menschen gar nie auf die Idee gekommen wären, dass da ein Gott oder mehrere Götter den Weltenlauf bestimmen.
5 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Herr Stamm spricht das Problem korrekt an: Religion wird uns indoktriniert. Beweise für die Richtigkeit der Kernthesen der Religionen gibt es nicht.
Menschen als soziale Wesen organisieren sich in Gruppen. Diese Gruppen sind nach innen fürsorglich und um Frieden bemüht, nach außen aber sind sie militant. Je gleichgeschalteter und harmonischer die Gruppen innerlich sind, desto effektiver können sie nach außen kämpfen.
Beispiele:
1. Armeen: Innerlich gilt die Pflicht zur Kameradschaft, nach außen wird Krieg geführt.
2. Fußballmannschaften: Harmonie und Zusammenhalt sind wichtig für den Erfolg auf dem Platz.
3. Politische Parteien: Je besser der Zusammenhalt, desto erfolgreicher der Wahlkampf.
4. Religionen: Nach Innen extrem fürsorglich, nach Außen extrem auf Abgrenzung bedacht und extrem kriegerisch. Siehe Geschichte des Christentums.
Alles in allem sehe ich Glaubensgemeinschaften als die hochindoktrinierten Armeen ihrer religiösen Führer an, die nach Macht streben. Die Katholiken beispielweise sind die Armee der Päpste und wurden oft in blutrünstige Kriege geschickt.
Bei anderen Religionen ist es das Gleiche.
Die religiösen Lehren spiegeln diese Janusköpfigkeit und dienen nach Innen dem Frieden und nach Außen der Kriegsführung.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Religionen verderben uns seit tausenden von Jahren das Leben in Freiheit und Empathie,
Wie lange braucht die Menschheit noch, sich vom Joch der Religionen zu befreien und
weltweit Humanismus zu verbreiten und zu leben.
Darin sehe ich die eigentliche Bestimmung des Menschen, in weltweiter Selbstbestimmung,
gleich welcher Nation, welcher Hautfarbe oder welchem Geschlecht er angehört.
Nur so ist ein realer Friedens und Freiheitszustand für alle erreichbar.
Bernie am Permanenter Link
Sehe ich genauso, und schade finde ich nur, dass Herr Stamm nicht alle Religionen - nämlich auch weltliche wie Kommunismus, Faschismus oder radikalen Kapitalismus - mit einbezieht.
henry burchardt am Permanenter Link
Für mich ist das nicht zu Ende gedachte Sprachpanscherei, wenn all und jedes als Religion deklariert wird. Sinnvoll ist nur Religion mit der Anbetung von (transzendenten) Göttern in Verbindung zu bringen.
PS.: Damit wird auch der von mir ansonsten geschätzte Harari zum Sprachpanscher, wenn er in seinem Homo Deus auf Seite 95 den Humanismus zur Weltreligion macht. Demnach haben wir es mit dem hpd mit einem religiösen Pressedienst zu tun.Watt'n Unsinn!
Skeptiker am Permanenter Link
Der Mensch ist gut und böse und da Religion eine Erfindung der Menschen ist, ist sie gut und böse.