Was heißt Selbstbestimmung im Alltag? (II)

Netzwerkschule

Seit zwei Jahren existiert die Netzwerkschule. Träger ist der Verein Netzwerk Spiel/ Kultur. An die 47 Kinder und 9 Mitarbeiter gibt es, bis zur 10.Klasse soll es gehen.

Der Tag beginnt in einem Morgenkreis mit freiwilliger Teilnahme. Fünf Kinder kommen, es wird gemeinsam gesungen. Im Flur toben ein paar Kinder. Die Räumlichkeiten sind freundlich eingerichtet. Es gibt unter anderem einen Kunstraum, eine Werkstatt, einen Musikraum, einen gemütlichen Essraum mit mehreren Sitzecken, einen Ruheraum, eine Bibliothek, einen Garten mit Trampolin, einen naturwissenschaftlichen Raum.

Eine Schülerin erzählt mir, wie sie die Schule findet. Gut sei die Möglichkeit mitzubestimmen. Leider funktionieren das Justizkomitee und die Schulversammlung noch nicht besonders gut. Oft sei es noch zu laut.

Eine Gruppe will Kerzen schmelzen. Ich geselle mich zu ihnen. Es wird diskutiert. Sie planen eine Ausstellung, doch wohin mit dem Ertrag? In neues Material investieren? Kriegen die, die weniger machen auch weniger Geld? Sie rechnen etwas herum. Nein, also ein Drittel von dem Ertrag für neues Material wäre zu wenig. Das wären höchstens 20 Cent. Ein älteres Mädchen bringt einem jüngeren bei, wie man das Feuerzeug benutzt. Ein Korken fängt etwas Feuer – doch keine gute Idee, den zum zündeln zu benutzen. Ein Mädchen stößt dazu. Es gibt eine Diskussion – darf sie einfach mitmachen? Das ist doch unser Projekt. Das Mädchen darf schlussendlich bleiben.
Die einen sammeln Wachs zum Schmelzen zusammen, die anderen arbeiten an ihrem eigenen Kunstwerk, wieder andere arbeiten zusammen an einem Kunstwerk.
Die großen sind unvorsichtiger, lassen hier mal ein heißes Streichholz auf die Zeitung fallen, Haare kommen gefährlich nah ans Feuer. Doch die Stunden gehen unfallfrei vorbei.

Nebenan tagt das Justizkomitee. Nicht alle Fälle werden bearbeitet.

Draußen springen zu viele Kinder auf dem Trampolin herum, sie werden von einer Mitschülerin zurechtgewiesen, mit Erfolg.

Auf dem Flur sitzen zwei kleine Jungs und hören nicht auf zu lachen.
In der Bibliothek sitzen ein paar ältere Jungs und spielen Karten. Ein Mädchen hat eine Bioverabredung.
Zwei kleine Mädchen stehen vor einer Tafel und geben sich gegenseitig Matheaufgaben.
Hier und da steht etwas verloren einzeln jemand herum. Doch die Mitarbeiter sind aufmerksam, springen ein, erkundigen sich.
Drei Jungs diskutieren in der Lego ecke.
Der Turnraum ist auch gut besucht.
An der Wand hängen Angebote „ Wer möchte gerne in die Ausstellung gehen?“, auch Mathe, Bio und Englisch gibt es.
Im Essraum sitzen vereinzelnd Kinder und essen ihr Pausenbrot, einer türmt künstlerisch Bananenstückchen auf sein Brot.
Im Musikraum wird gerade eine Klavierstunde gegeben.
Ein Mitarbeiter mit dem Schildchen „Rückenfrei“ läuft herum. Er hat den Büroschlüssel, hilft Konflikte zu lösen, nimmt das Telefon ab, Ansprechpartner also, wenn es brennt.

Es findet viel informelles Lernen statt. Die Schüler bringen sich gegenseitig was bei und wenn sie nicht weiterkommen, ist ein Mitarbeiter zur Stelle. Doch es gibt auch noch viele formelle Lernverabredungen. Bilderbücher prägen noch den klassischen Lernbegriff, in der Schule wird nicht gespielt, sondern gelernt. Das beides gar nicht trennbar ist, ist auch in den Kinderbüchern noch nicht angekommen – nicht nur nicht im staatlichen Schulsystem.

Es ist schwierig, so ein Mitarbeiter, die Balance zwischen einem strukturierten Wochenplan, den Wünschen der Eltern und den Freiraum für impulsives Lernen zu halten. Noch sei vieles chaotisch und Supervisionen mit anderen Schulen haben gezeigt, dass es noch an Ruhe bei Ihnen fehle. Auch werden die Großen etwas vernachlässigt, die Schulversammlung hat sich noch nicht eingespielt. Verhaltensregeln als Versammlungsleiter werden nicht beachtet, es nehmen nur wenige teil. Es gibt Ausflugstage, ein Photoprojekt steht an, die Stadt als Lernraum will man mit einbeziehen. Es gibt ein Ordner der Möglichkeiten, wo Eltern ihre Kompetenzen anbieten, die bei Interesse genutzt werden können. Auch kann jedes Kind sich einen persönlichen Mentor wählen.

Selbstbestimmtes Lernen? Ja und nein. Es gibt viel Anregung. Doch noch setzen sich oftmals die Starken durch, viele hängen sich an Gruppen an, manche bleiben für sich. Die schüchternen, oft Einzelgänger gehen vielleicht etwas unter. Doch das Team ist sich dessen bewusst, sie arbeiten hart daran, jedem Kind gerecht zu werden, sich um das Wohlergehen jedes einzelnen zu kümmern. Ein Besuch bringt zusätzlich Unruhe. Der Aufbau solch einer Schule entblößt sich als ein langwieriger Prozess, der viel Geduld erfordert. Lernen tun dabei alle viel, das schimmert hindurch.