Was heißt Selbstbestimmung im Alltag? (II)

Freie Schule, Potsdam

Seit 1995 gibt es sie schon. 90 Schüler/Innen besuchen sie, 12 Mitarbeiter. Es gibt drei altergemischte Gruppen von der 1. – 3. Klasse in der ersten Etage und zwei altergemischte Gruppen in der zweiten Etage von der 4. – 6.Klasse.
Jeden Morgen findet ein Morgenkreis statt. Einmal in der Woche bei den größeren ein Etagenparliament.

An die 40 Kinder versammeln sich im Musikraum. Zwei Kinder leiten heute das Parliament. Die erste Kundgebung von zwei Mädchen, es gebe Besuch heute Mittag. Dann eine Mitarbeiterin, die Bescheid gibt, dass jemand etwas zerbrochen hat. Ein freiwilliger meldet sich, es zu ersetzen. Und so geht es weiter. Alle sind ruhig, die Anliegen werden vorgebracht, es sind mehr Ankündigungen als dass etwas einer Entscheidung bedarf. Zwei Kinder werden für die nächste Versammlungsleitung gewählt. Das Etagenparliament ist zu Ende.

Englischklasse: Vokabeln werden an die Tafel geschrieben, im Chor nachgesagt und von der Tafel abgeschrieben. Ein Text wird gemeinsam aus einem Englischbuch gelesen. Nichts außergewöhnliches, ein ganz normaler Unterricht. Oder? Nicht wirklich. Der Englischlehrer ist Muttersprachler und hat gefärbte Haare. Die Kinder dürfen miteinander reden, sich etwas zu essen holen und frühstücken. Sie dürfen raus gehen, im Raum herumlaufen. Es gibt eine Lachpause, die Mädchen kichern über die neue Frisur des Lehrers. Nur wenn es zu unruhig wird, werden sie ermahnt. Es nehmen aber auch nur 8 Schülerinnen teil.

Die letzte viertel Stunde steht ihnen zur freien Verfügung. Vier spielen Twister, eine schreibt Vokabeln an die Tafel, die nächste lernt sie auswendig während sie ihren Hula Hup Reifen um die Hüften schwingt, die anderen zwei gehen kurz raus. Die Unruhe von vorher ist weg, jeder ist zufrieden mit seiner Beschäftigung, der er nachgehen kann.

Die Schule ist groß. Es gibt zum Beispiel einen gut ausgestatteten Werkraum, eine große Küche, wo auch schon eifrig Brötchen gebacken werden, eine Teeküche nur für Kinder, einen Teamraum, einen Verkleidungsraum und ein großes Außengelände.

Jeder Schüler hat einen Mentor, mit dem er seinen Stundeplan zusammenstellt. Bis zur vierten Klasse, kann man sich ein bis zwei Mal Freizeit während den Gruppenzeiten nehmen. Drei gibt es am Tag, von 8 Uhr morgens bis 14 Uhr Mittag. Am Nachmittag gibt es dann freie Angebote, die Werkstatt hat dabei immer geöffnet.

Die Lerninhalte richten sich nah an den Lehrplan, werden jedoch häufig anders genannt. Es gibt dann das Angebot „Wirbeltiere“ anstatt Biologie. Das Jahr ist in Trisemestern eingeteilt. Grob können die Schüler auswählen, wann sie welchen Kurs belegen, doch der Mentor sorgt dafür, dass sie z.B. bis zur vierten Klasse schon einmal einen Mathekurs belegt haben.

Die 6. Klasse ist schon stärker strukturiert, um den Kindern den Übergang auf eine andere Sekundarschule zu erleichtern. Mehrere Male wurde versucht, selbst eine Sekundarstufe aufzubauen, um auch mehr Freiräume schaffen zu können, doch das Konzept wurde bisher nicht genehmigt.
Die Eltern sind ein fester Bestandteil der Schule, ohne ihr Engagement würde die Schule so nicht existieren. Von praktischen Arbeitsgruppen, die sich u.a. um Stellenausschreibung kümmern bis zu 20 Arbeitstunden pro Jahr im Haus oder Außenbereich. Es gibt regelmäßige Informationsbriefe über den Schulalltag, denn um Sorgen und Misstrauen zu verhindern, „ ist Transparenz das A und O mit Eltern“, so eine der Pädagogen und Mitgründerin der Schule.

Neben den Morgenkreisen und dem Etagenparliament, gibt es noch ein Mal im Monat eine große Runde, in der über Angelegenheiten wie z.B. neue Computerregeln, Gewalt an der Schule oder einen Sponsorenlauf gesprochen werden.

Es sei schwierig, den Freigeistern mehr Raum zu geben und gleichzeitig denen mehr Halt und Rahmen zu bieten, die es brauchen. Nichts tun und Langeweile erfahren sei wichtig, doch es sei schwierig die Balance zu halten .Hinzu kommen Einschränkungen von außen. Auch ihre Schule hat mit kompletter Freiheit angefangen, aber das lasse sich nicht durchhalten, wenn man jedem Kind gerecht werden wolle.

Mitbestimmung? Selbstbestimmtes Lernen? Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler schien nicht ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander zu sein. Kleine Gruppen, viele gemeinsame Aktivitäten und Einzelgespräche scheinen das zu fördern. Es scheint, dass auf die Meinung und auf Vorschläge von Kindern geachtet wird und versucht wird, sie einzubringen. Altermischung und Freiräume werden geboten, wo möglich. Eine Mischung aus staatlicher Regelschule und einer radikal freien Schule ? Zumindest gibt es auch hier Kinder, die wild und ausgelassen durch die Schule toben und begeistert ihren Tätigkeiten nachhängen, oder verloren vor der Schule stehen.