„Das müssen Sie aushalten können“

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Winfried Kretschmann / Foto: dhuw

STUTTGART. (dhuw/hpd) Auf Einladung der Humanisten Württemberg war der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann zu Gast im Humanistischen Zentrum Stuttgart und referierte über „Das Verhältnis von Staat und Kirche in einer säkularen Gesellschaft“.

In seiner Begrüßungsrede bedankte sich der Geschäftsführer der Humanisten Württemberg, Andreas Henschel, zunächst bei seinem Gast, dass er trotz der landespolitischen Ausnahmesituation, die dem Konflikt um Stuttgart 21 geschuldet ist und seit Monaten, insbesondere auch Winfried Kretschmann viel abverlange, den Vortragstermin nicht einfach abgesagt habe.

Dies sei ein Hinweis darauf, dass an der Einschätzung des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer, wie sie jüngst in der Stuttgarter Zeitung zu lesen war, bei Winfried Kretschmann handele es sich um den „ehrlichsten, aufrichtigsten und zuverlässigsten Politiker“ den er kenne, etwas wahres dran sein müsse. Kretschmann Absicht und Einstellung, „der in die aufgeheizte Situation um das zur Zeit größte Infrastrukturprojekt Deutschlands immer wieder Nachdenklichkeit und Besonnenheit einbringe“ „dass aus Gegnern keine Feinde und ein Dialogprozess in Gang komme“, sei etwas das sich Andreas Henschel auch für den Verlauf des Abends im Humanistischen Zentrum wünsche.

Denn die Standpunkte, die Kretschmann hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche vertrete, wobei man heute wohl besser Staat und Religion sowie Weltanschauung sage, die seien bei Kretschmann als bekennender Katholik und hochrangiger Vertreter seiner Kirche eher konträr zu denen die traditionell von den freidenkerischen-humanistischen Verbänden als eine ihrer wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben und Forderungen gesehen werden.

Der eigentlich verfassungsrechtlich geforderten Trennung von Staat und Kirche, der Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften und der Abschaffung der ungleichen Privilegien komme die Politik bis heute nicht nach, sondern hat z.B. in Baden-Württemberg mit der Begründung neuer Vertragswerke sogar erst jüngst noch das komplette Gegenteil von dem gemacht, was grundgesetzlich eigentlich gefordert sei und die Privilegien der großen Kirchen und der Israelitischen Religionsgemeinschaften sogar noch ausgebaut und damit die Ungleichheit zwischen den Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften verschärft. Sinnfällig abzulesen sei dieser skandalöse Vorgang am Vertragswerk mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften, denen neben pauschalen Leistungen in Millionenhöhe pro Mitglied und Jahr eine Zahlung von 750 Euro jährlich dynamisiert um 1,5 % zugesprochen wurden. Auf die Stellungnahme und Forderung der Humanisten Württemberg nach Gleichbehandlung hat das Land aber drei Jahre gebraucht um überhaupt mit einer brüsken Ablehnung des Anliegens zu reagieren und das vor dem Hintergrund, dass der Verband als pauschale Leistung vom Land lediglich 37,50 Euro pro Mitglied und Jahr erhält, also nicht einmal den 20. Teil von dem, was an die Israelitische Glaubensgemeinschaften gezahlt werde.

Seine Einführung „Ich bin gespannt, wie Sie uns unter diesen offensichtlich verfassungswidrigen Umständen ihre Ansichten vom Verhältnis Staat Kirche in einer säkularen Gesellschaft erklären wollen, auch wenn ich abschließen durchaus einräume; dass Sie in der Landtagsdebatte immerhin als einziger darauf hingewiesen haben, dass man bei allem was an Wohltaten für die Kirchen beschlossen werde, daran denken müsse, dass diese auch von dem über einem Drittel der konfessionsfreien Bevölkerung im Lande mitbezahlt werden müsse, ein Einwand für den Sie schärfste Kritik von Seiten, Pfiffe und Buhrufe von Seiten der CDU Mehrheitsfraktion einstecken mussten.

Aufgabe der Politik ist es, Freiheit zu garantieren.

Winfried Kretschmann betonte daraufhin zunächst, dass es Sinn und Aufgabe der Politik sei Freiheit zu garantieren und die Grundlage dafür ist sich der Pluralität der Menschen bewusst zu sein. Der Staat müsse sich zurückhalten, den Einzelnen regulieren zu wollen, vielmehr müsse er die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantieren, wobei staatlicherseits der Wunsch jedes einzelnen gleich zu gelten habe.

Sehr wohl dürfe und müsse der Staat „Sinn“ stiftende Gemeinschaften fördern, sie sozusagen mit der staatlichen Förderung ermutigen, sich für die Verwirklichung von Gemeinschaft einzusetzen. Aus dieser Perspektive seien auch die Leistungen des Staates an die Religionsgemeinschaften gerechtfertigt, denn in ihnen werde Sinn gestiftet als der Keimzelle für gemeinschaftliches, bürgerschaftliches Engagement ohne welches kein Staatswesen existieren könne.

Grundlage für alle staatliche Anerkennung und Förderung in Form der in Deutschland praktizierten „kooperativen Trennung“ muss aber sein, dass die jeweilige Gemeinschaft den gesellschaftlichen Grundkonsens, also die Verfassung, das Grundgesetz vorbehaltlos anerkenne. Als eine Schnittstelle dieser kooperativen Trennung von Staat und Kirche benannte Kretschmann die Schulen, wobei er für die Beibehaltung eines bekenntnisorientierten Unterrichtes in den jeweiligen Konfessionen plädierte, weil die Kinder authentische Erfahrungen machen müssten. Ein bloßer religionskundlicher Unterricht könne dies aber nicht leisten oder vermitteln. Aber natürlich setze er sich auch für die Einrichtung von Ethikunterricht ab der 1. Klasse für alle konfessionsfreien Schüler ein, auch wenn dies dem Land 700 bis 800 Lehrerstellen kosten würde.

Nutznießer des Kooperationsmodells

Das auch die konfessionsfreie Bevölkerung die Staatsleistungen an die Kirchen mitbezahlen müssen, sei aber schon allein dadurch gerechtfertigt, dass ja auch die Nicht-Religiösen von den Kooperationsmodell profitieren, denn indem Religion in der Mitte der Gesellschaft gehalten werde, wie z.B. im wissenschaftlichen Umfeld an den Universitäten, müsse sie sich rechtfertigen, bleibe so auch im Blick der Gesellschaft, könne somit sich nicht so einfach radikalisieren, vielmehr hätte gerade die wissenschaftliche Theologie immer einen zähmenden Einfluss auf die Religion genommen.

Und wenn es vielleicht auch manche gäbe, was einem Nichtreligiösen oder Freidenker in unserer durch christliche Einflüsse geprägte Gesellschaft missfallen mag, so wie z.B. Kruzifixe in Klassenzimmern, oder der ökumenische Gottesdienst vor einer Bundesversammlung oder der Ausspruch des Bundespräsidenten „Gott schütze Deutschland“ so würde dies die Freiheit des Einzelnen nicht einschränken und seien eher als folkloristisch einzuschätzen. Abschließend riet Winfried Kretschmann den Zuhörern, dem konfessionellen in der Gesellschaft mit mehr Gelassenheit zu begegnen und über die offensichtliche staatliche Bevorzugung der großen Kirchen war zu hören: „Das müssen Sie aushalten können!“.

Bei der sich anschließenden, teilweise sogar ins humorvolle tendierenden Podiumsdiskussion, vertrat Carsten Frerk das religionskritische Anliegen einer säkularen Auffassung. Die unterschiedlichen Positionen wurden deutlich, auch und insbesondere in Fragen der Negierung der säkularen Positionen. Abschließend wies Frerk auch auf die mangelnde Religionsfreiheit für die Großkirchen in Deutschland hin. Durch ihre wesentlichen Abhängigkeiten von staatlichen Finanzierungen würden sie sich in einer „fiskalischen Gefangenschaft“ befinden und sich politisch nur moderat kritisch äußern können, da sie sonst die ihnen Wohlgesonnenen in den Parteien verärgern würden. Das würde, meinte Kretschmann, ihn auf einem völlig falschen Fuß treffen, dass ein Freigeist eine engagiertere Positionierung der Kirchen anmahne.

Gelassenheit von Privilegierten ist einfach

Bei der abschließenden von Andreas Henschel moderierten Diskussion zwischen Winfried Kretschmann und dem Publikum, wurden Themen, wie Gleichbehandlung in Schule und Beruf, in gesellschaftlichen Gremien wie dem Rundfunkrat aber auch z.B. im öffentlichen Raum bei Werbung für religiöse und weltanschauliche Ansichten und Anliegen angesprochen, wobei Winfried Kretschmann immer wieder dazu riet, man möge die Dinge gelassener einordnen. Eine Gelassenheit, die ihm, wie in einem kritischen Einwand aus dem Publikum zu hören war, als Angehöriger einer protegierten Religion vielleicht leichter zufallen vermag, wenn man aber sein Leben lang als Konfessionsloser Benachteiligung und Diskriminierung erfahre, sei es halt manchmal schwer, gelassen zu bleiben. Ein Satz jedoch hatte eine Zuschauerin bsonds beeindruckt: "Toleranz tut weh."

Zum Abschluss und bevor das zahlreich erschienene interessierte Publikum sich noch bei einem Stehimbiss in kleineren Diskussionsgruppen zu intensiven Gesprächen auch mit Winfried Kretschmann traf, bedankte sich Andreas Henschel mit einem Wein- und Buchpräsent beim Spitzenkandidaten der Grünen: „Wenn Sie demnächst dann Landesvater sind, und persönlich fände ich diese politische Entwicklung durchaus wünschenswert, dann werde ich Sie an die berechtigten Anliegen unseres noch kleinen aber durchaus engagierten Verband erinnern und daran, dass wir das gleiche Recht auf Unterstützung und Privilegierung wie jede andere „sinnstiftende Gemeinschaft“ haben.

H.A.