Im zweiten Teil des Abends gab es dann eine Podiumsdiskussion unter dem Thema: „Perspektiven sexueller Selbstbestimmung unter dem Einfluss der selbst ernannten internationalen Lebensschutzbewegung religiöser Fundamentalisten.“
Die TeilnehmerInnen waren:
- Katrin Lompscher (Linkspartei), Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin
- Dr. Christine Bergmann (CDU), Bundesfamilienministerin a. D., Senatorin a. D. und Beauftragte zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs
- Elfi Jantzen, Kinder-und Familienpolitische Sprecherin Fraktion Bündnis 90/Grüne, Berliner Abgeordnetenhaus
- Dr. Christian Fiala, ehemaliger Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Schwangerschaftsabbruch FIAPAC und ärztlicher Leiter des Gynmed-Ambulatoriums in Wien
- Sarah Diehl, Vertreterin des Netzwerkes Pro Choice Berlin
Die Moderation lag bei Sybill Schulz (FPZ–BALANCE) und Karin Bergdoll (AKF)
Sarah Diehl erläuterte, wie religiös gesonnene Abtreibungsgegner versuchen, die Diskussion um Abtreibung auf den „Lebensschutz“ befruchteter Eizellen zu reduzieren, um eine öffentliche Stigmatisierung des Abbruchs zu erreichen. Sie beschrieb Beispiele politischen Drucks, wie diese Organisationen in einigen Ländern Afrikas und Mittelamerikas schon erfolgreich waren, den Schwangerschaftsabbruch zu kriminalisieren.
Dr. Christian Fiala verwies auf historische Zusammenhänge und Konstanten. Es bestand immer ein Zusammenhang des Verbots der Verhütung und des Schwangerschaftsabbruchs. Die schärfsten Restriktionen gab es historisch in Monarchien, Diktaturen und kriegführenden Staaten. Die letzte Frau, die 1945 in Wien hingerichtet wurde, war eine Frau, die Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt hatte. Nun haben wir zwar seit einiger Zeit in Europa Friedenszeiten, aber es gibt ein eigenartiges Phänomen: Frauen sind anscheinend intelligent, aber wenn sie schwanger werden, werden sie scheinbar etwas blöd und brauchen dann eine staatliche Zwangsberatung.
Die „christlichen Tabilans“, wie er die Abtreibungsgegner nennt, übten Psychoterror gegen Frauen aus, verstärkt durch den deutschen Papst, der immer fundamentaler werde. Aber es gäbe in Österreich eine positive Entwicklung: Je fundamentaler die katholische Kirche werde, desto mehr stiegen die Kirchenaustritte.
Die drei Vertreterinnen aus der Politik schilderten ihre Erfahrungen und Einschätzungen.
Dr. Christine Bergmann erinnerte sich an ihre Zeit als zuständige Senatorin in Berlin und wie viele Frauen, die in der DDR aufgewachsen waren, die Angleichung der Rechtslage in Ost-Berlin an die Rechtslage des Westens (1993 / 1995) als Rückfall ins Mittelalter erlebt hätten. Auch in dieser Hinsicht verwies sie auf die immer noch bestehenden Defizite im Rahmen der Beratung und der Finanzierungen. Es gibt aber, und das sei das eigentlich Erstaunliche, keine gesellschaftliche Debatte darüber. Dieses Schweigen darüber sei das größte Problem. Und als evangelische Christin warnte sie vor zu weit gehenden Verallgemeinerungen hinsichtlich der Haltung der Kirchen.
Katrin Lompscher, amtierende zuständige Senatorin, verwies auf den rechtlichen Rahmen, in den auch ihre Tätigkeit eingebunden sei. Sie verdeutlichte aber ihre Auffassung, es sei ein immer noch unhaltbarer Zustand, dass ein Abbruch zwar straffrei, aber dennoch rechtswidrig sei. Der Berliner Senat schöpfe alle gesetzlichen Möglichkeiten aus, um in der Finanzierung der Abbrüche und weiteren Kostenübernahmen an der Seite der betroffenen Frauen zu stehen. In der gesellschaftlichen Diskussion habe sie manchmal die Sorge gehabt, dass es keine Frauenbewegung mehr gäbe, andererseits gäbe es derzeit keine realistische Perspektive, den gegenwärtigen Zustand zu verbessern. Allerdings seien bisher auch keine der beschriebenen Aktionen von „Lebensschützern“ bei ihr politisch angekommen.
Elfi Jantzen bestätigte für das Berliner Abgeordnetenhaus, dass sich auch dort im politischen Raum keine Initiativen bemerkbar gemacht hätten, wie sie für Wien und andere Orte oder Länder beschrieben wurden. Sie sehe heute auch nicht mehr den Leidensdruck, der in früheren Jahrzehnten bestanden habe. Das Problem bleibe jedoch, dass den Frauen stets eine Verantwortungslosigkeit vorgeworfen werde und eine Bevormundung der Frauen als notwendig angesehen wird.
Das Podium nutzte nun Sybill Schulz, die Geschäftsführerin des Familienplanungszentrums – BALANCE, um die von der Realität etwas entfernten Politikerinnen auf den Alltag in den Beratungsstellen hinzuweisen. Die Aktionen der Abtreibungsgegner hätten in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Sie verwies auf die Anzeigen von „christlichen Lebensschützern“ gegen Familienplanungszentren und ÄrztInnen in Deutschland sowie gegen den pro familia Bundesverband. Im Oktober präsentierte sich die „Aktion Lebensrecht“ mit einem Stand auf der Jugendmesse YOU in Berlin, zuvor hatten der „Bundesverband Lebensrecht“ zu einem „Marsch für das Leben“ durch Berlins Mitte aufgerufen. Zwar nahmen nur wenige Menschen daran teil, doch wurden dort zahlreiche Grußworte prominenter BundespolitikerInnen aus CDU und CSU verlesen. Sie betonte, dass die veranstaltenden Organisationen für die uneingeschränkte sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Männern eintreten und sehen diese durch die Aktivitäten selbst ernannter Lebensschützer in Gefahr.
Insofern war diese Tagung eine gute Gelegenheit, die Zuhörerinnen und die Politikerinnen für diese Fragen erneut zu sensibilisieren.
C.F.