Berlinale und Lebenskunde

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Dr. Martin Ganguly / Foto: Susan Navissi

BERLIN. (hpd) Morgen beginnt die Berlinale. Ein Filmfestival mit der Sektion „Generation“: Die Kinder lernen die Welt kennen und können sie betrachten und die Welt ist das Leben und das Leben sind die Filme – das passt zu Lebenskunde! Ein Gespräch mit Dr. Martin Ganguly, Projektleiter des Berlinale–Schule Projektes, Dozent und Lehrer für Humanistische Lebenskunde, Regisseur, Schauspieler und Humanist.

Seit wie vielen Jahren arbeiten Sie in dieser Schnittstelle von Berlinale und Schule?

Ganguly: Das Projekt Berlinale an Schulen besteht seit acht Jahren, ich habe jedoch bereits zuvor Seminare im Rahmen der Ausbildung der KollegInnen des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) angeboten.

Sie sind nicht „nur“ Lehrer an einer Oberschule, sondern stellen im Bereich der Medienerziehung, der „Filmbildung“, eine wichtige Stimme im pädagogisch-didaktischen Diskurs dar. Was aber hat nun speziell Lebenskunde als Fach mit der Berlinale zu tun?

Ganguly: Die Kinder- und Jugendfilme der Berlinale stellen zum einen Reisen in andere Welten, in andere Schicksale dar. Existentielle Themen, Werte jenseits von Religion und Glauben, werden thematisiert. Die Kinder lernen die Welt kennen und können sie betrachten und die Welt ist das Leben und das Leben sind die Filme. Das deckt sich geradezu mit dem Lebenskundeunterricht. Das war von Anfang an mein Gedanke, diese Sektion Generation ist wie gemacht für den Lebenskundeunterricht und auch inzwischen Ethikunterricht. Es wäre schade, wenn die LehrerInnen die Filme nicht mit den SchülerInnen ansehen würden. Es gibt kein besseres und größeres Kinder- und Jugendfilmfestival auf der ganzen Welt.

Als Dozent an der Humanistischen Akademie haben ihre StudentInnen die Möglichkeit, sich intensiv mit Medienerziehung, der Analyse von Filmen oder auch Produktion auseinanderzusetzen. Sie selbst bedauern sehr, dass diese intensive Auseinandersetzung mit dem Medium Film in Deutschland sehr stiefmütterlich behandelt wird.

Ganguly: Ja, da ist Deutschland leider ein ziemliches Schlusslicht in Europa. Ich habe im Sommer im Goethe Institut diesbezüglich Kurse gegeben und habe dort festgestellt dass selbst die kleineren europäischen Länder da weiter sind. Das ist so schade, weil Menschen und auch vor allem junge Menschen sehr gerne Filme gucken, da gibt es jedoch wenig Geschmacksbildung und wenig Bereitschaft zu Tiefgang. Filme mit Tiefgang sind jedoch nicht langweilig, wenn Kinder und Jugendliche sensibilisiert werden, sie zu entschlüsseln. Das bietet sich sehr für den Unterricht an.

Ich denke, die Zeiten, in denen man nur Arbeitsblätter austeilt, die sollten langsam vorbei sein! Da sollte eine Mischung sein aus literarischen Vorlagen und Film in verschiedenen Formen. Und das Interesse ist da! Film ist einfach ein großer Bestandteil unseres Lebens! Die SchülerInnen arbeiten sowieso bereits mit Handys, Camcordern und allen möglichen Materialien. Das kann man auch gewinnbringend nutzen, im Unterricht, sowohl inhaltlich als auch künstlerisch. Und das ganze kann man dann verbinden mit Rollenspiel und anderen Methoden. Da ist so viel drin, was das Leben bunt macht, was es für die SchülerInnen interessant macht und sich einprägt. Daher ist es wichtig, mit Filmen zu arbeiten. Leider sind die Lehrer schwerer dazu zu bewegen. Die SchülerInnen sind oft sofort begeistert und sagen ja. Und was sie dann leisten an Analysearbeit und Auseinandersetzung mit Themen ist viel mehr als wenn ich sagen würde: „Ihr müsst jetzt Text XY lesen....“. Sie sind da sehr interessiert und auch sehr fleißig.

Was ist ihr persönlicher Spitzenreiter bei der Sektion Generation Kinder+ ?

Ganguly: Das darf ich vorher natürlich nicht sagen (lacht). Aber ich hab natürlich schon so meine Vorlieben. Vielleicht soviel: Ich finde, dass die skandinavischen Länder auch in diesem Jahr wieder ganz stark dabei sind. Die sind wirklich gut, was die Kinder- und Jugendfilme angeht. Das hat auch Gründe: Dänemark z.B. pflegt den Kinder- und Jugendfilm, da muss ein bestimmter Prozentsatz der gesamten Filmförderung in Kinder- und Jugendfilm investiert werden. Deshalb gibt es da qualitativ anspruchsvolle, gute Kinder- und Jugendfilme, die Kinder und Jugendliche auch lieben. Daher ist es dort schon eine eigene Form von Kunst und es wird ernst genommen. Bei uns gibt es ja eher so Familien-Kästner- und Unterhaltungsfilme. Meine Favoriten liegen also in diesem Jahr, neben all den anderen wunderbaren Filmen, im Norden.

Denken Sie daran, mal selbst einen Film zu produzieren, in absehbarer Zeit?

Ganguly: Wir haben gerade einen Film fertig gedreht, mit OberschülerInnen. Er heißt: „Das weiße Blatt" und war eine Produktion für unsere Feier „50.000“ LebenskundeschülerInnen, die nun in diesem Jahr stattfinden wird. Der Film ist ein 16-Minuten-Film, wurde bereits als DVD veröffentlicht und behandelt sehr lebenskundlich das Thema: Schule, Arbeit und Fluchten in andere Welten. Diese Produktion ist sehr schön geworden.

Was halten Sie von unserem eigenen Lebenskundefilmfestival, dass jedes Jahr im Juni stattfindet?

Ganguly: Dieses Lebenskundefilmfestival finde ich ausgesprochen empfehlenswert und mich begeistert immer wieder, dass so viel Innovation in diesem Fach vorhanden ist und es nicht so verkrustet ist. Ich liebe dieses Fach und seine Inhalte. Sonst wäre ich sicher schon nicht mehr dabei.

Das Interview führte Susan Navissi