Ärzte ächten Beihilfe zur Selbsttötung

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Screenshot youtube

BERLIN. (hpd/hvd) Viele Verlierer: Der Ärztetag in Kiel hat - wie zu erwarten - beschlossen, dass Ärzte in Zukunft keine Hilfe zur Selbsttötung bei todkranken Patienten mehr leisten dürfen. Mehrere Delegierte, darunter Vertreter des Verbandes demokratischer Ärztinnen und Ärzte, hatten sich teils vehement gegen die neue Beschlussvorlage gewandt, die vom Vorstand der Bundesärztekammer eingebracht worden war.

Für den Beschluss stimmten 166 Delegierte, dagegen 56, es enthielten sich 7. Der Humanistische Verband Deutschlands hat dazu diese Pressemitteilung veröffentlicht.

Nach der bisherigen Musterberufsordnung hieß es, Ärzte dürfen das Leben des Sterbenden "nicht aktiv verkürzen". Dabei blieb zweideutig, was genau darunter zu verstehen sei. In der nun beschlossenen Neuregelung heißt es eindeutig: "Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Verlierer der beschlossenen Verschärfung der ärztlichen Musterberufsordnung sind nicht nur die Schwerstkranken, denen ein möglicher Ausweg zur Verkürzung eines langen Leidens in Zukunft verwehrt bleibt. Verlierer sind auch jene Ärzte, die sich vorstellen können, aus Mitgefühl und palliativmedizinischer Verantwortung dabei einem von ihnen betreuten Patienten im äußersten Notfall zu helfen. Auf der Strecke geblieben ist letztlich auch das Arzt-Patienten-Verhältnis am Lebensende. Denn nun müsste ein Arzt, den der todkranke Patient ins Vertrauen gezogen hat, ihn ggf. sogar zwangsweise am Suizid hindern.

Berufsrecht über Strafrecht?

Alle Ärzte haben sonst berufsrechtliche Verfahren und existenzbedrohende Sanktionen (hohe Geldstrafe oder Berufsverbot) in Kauf zu nehmen, da die Mitgliedschaft in der jeweiligen Landesärztekammer nicht freiwillig, sondern zwingend ist. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Kammern überhaupt ein eigenes verschärftes Berufsrecht über das Strafrecht stellen dürfen, welches bekanntlich die Beihilfe zur Selbsttötung eines Freiwillensfähigen nicht verbietet. Dies wird in Zukunft vermutlich einmal höchstrichterlich zu klären sein.

Gita Neumann, Beauftragte des Humanistischen Verbandes Deutschlands, erklärt:

„Wir haben nun in Deutschland die weltweit einmalige Situation, dass jeder Laie aus Freundschaft und jeder geschäftsmäßig Tätige aus Gewinnsucht Hilfe zum Suizid anbieten und durchführen kann – es sei denn, er ist Arzt. Auf der Strecke geblieben ist damit auch das Ethos der Bundesärztekammer, welche diese Lage zu verantworten hat. Wir werden bald sehen, zu welchen Entwicklungen dies führt. Die Zivilgesellschaft wird sich in Zukunft - hoffentlich unter humanistischem Vorzeichen - selbst helfen müssen. Zu danken ist jenen Mitgliedern des Ärztetages, die den Angriff auf die eigene Gewissensfreiheit und die ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht widerspruchslos hingenommen haben. Es ist ein kleines Zeichen der Hoffnung, dass es mit ca. 25 % nicht eben wenige sind. Andererseits ist es erschreckend und rational nicht mehr erklärbar, dass die Mehrheit zustimmt, Ärzte ohne Not zukünftig berufsrechtlich drangsalieren zu können.“

Die qualifizierte Minderheit auf dem Ärztetag habe gezeigt, dass sie es ist, welche auf dem Boden der Berufsordnung steht. Dort heißt es nämlich in der Präambel: „Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus.“

Maßgeblich ist letztendlich nun aber die Übernahme in die Berufsordnung der jeweiligen Landesärztekammern. Es zeichnet sich ab, dass nicht überall Bereitschaft dazu besteht, zunehmenden Sanktionsmöglichkeiten auf Länderebene zuzustimmen.

2009 scheiterten in der Debatte um die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung die Versuche, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu beschneiden. Die paternalistischen „Götter in Weiß“, allen voran Frank Ulrich Montgomery, der sich nun zum Präsidenten der Bundesärztekammer wählen lassen will, starteten beim Ärztetag nun einen weiteren Versuch – diesmal zunächst scheinbar erfolgreich.

 

FL