Ohne Gott ist alles erlaubt? – Religionen

Religionen in Asien

In China etablierte Mao Zedong ab 1949 die Herrschaft der kommunistischen Partei. Wohl keine andere Einzelperson der Welt brachte ähnlich viele Menschen um wie er. Doch Mao kann schlecht als Atheist gelten. Diese Bezeichnung wäre nur in ihrer pedantischen Auslegung korrekt, denn der “Große Vorsitzende” blieb zeitlebens ein Anhänger der Daoistischen Philosophie. Diese beinhaltet einerseits übernatürliche Kräfte, andererseits aber keine Vorstellungen eines personalen Gottes und ist daher im engeren Sinne des Wortes atheistisch. Mao war allerdings abergläubisch und verlangte dass sein Bett in der richtigen Ausrichtung zum Wasser stand. Außerdem war er nach Angaben seines Leibarztes ein Anhänger daoistischer Sexualpraktiken, die durch Sex mit jungen Frauen das Leben verlängern sollten.

Die katholische Kirche Chinas lehnt aus mehreren Gründen eine Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei ab. Beispielsweise kollidieren das Prinzip der Ein-Kind-Politik und die Ablehnung von Verhütungsmitteln miteinander. Die KPCh gründete daraufhin 1957 die Chinesische Katholisch-Patriotische Vereinigung, eine eigene katholische Kirche mit parteitreuen Bischöfen. Zum einen zeigt sich, dass sich von den Katholiken Chinas mehrere zur Kollaboration bereit fanden und zum anderen, dass die Partei die Religion für ihre eigenen Zwecke missbrauchte, statt die Doktrin vom Staatsatheismus durchzusetzen. Vergleichbare Organisationen gibt es auch auf evangelischer und muslimischer Seite. Gläubige, die den diesseitigen Machtanspruch
der kommunistischen Partei akzeptieren, können in die höchsten Ämter aufsteigen, wie
das Beispiel Donald Tsangs zeigt. Der gläubige Katholik ist Verwaltungschef der Metropole Hong Kong.

Südvietnam

Im westlich geprägten Südvietnam herrschte am Vorabend des Vietnamkrieges der autoritäre Präsident Diem. Er und sein Bruder, der Erzbischof war, sahen Buddhisten als Menschen zweiter Klasse an und überhäuften die katholische Minderheit des Landes mit Privilegien. Diese Zustände wurden von der kommunistischen Partei des nördlichen Landesteils, die wusste, dass ihre Staatsbürger mehrheitlich buddhistisch waren, angeprangert, um gegen den kapitalistischen Süden Stellung zu beziehen.
Das einprägsamste Einzelereignis war in diesem Zusammenhang die öffentliche Selbstverbrennung des buddhistischen Mönches Thich Quang Duc, der mit seinem Tod ein Symbol des Protests gegen die Menschenrechtsverletzungen Ngo Dinh Diems setzen wollte. Das Bild seines in Flammen stehenden Körpers wurde weltweit verbreitet und brachte die USA, die die Regierung Südvietnams stützten, in Erklärungsnot. Aus diesem Grund fand es auch in der Volksrepublik China eine weite Verbreitung. Die kommunistische Partei nutzte es in ihrer antiimperialistischen Propaganda und sprach direkt die buddhistischen Bevölkerungsteile an. Die chinesischen Machthaber verkündeten, dass sie die Religionsfreiheit im Gegensatz zu den christlichen USA respektieren würden. (Dass es aber auch in China ähnlich gelagerte Fälle von buddhistischen Selbstverbrennungen gab, wurde dabei geflissentlich ignoriert.)

Nordkorea

Der in Nordkorea herrschende Staatschef Kim Jong II bedient sich der Juche-Ideologie, um seine Diktatur zu legitimieren. Diese kann nicht als atheistisch bezeichnet werden. In der Staatspropaganda heißt es, dass die Geburt des Despoten von einer Schwalbe verkündet wurde, sich am Heiligen Berg Paektu ereignete und unter dem Zeichen eines hell leuchtenden Sterns und eines doppelten Regenbogens stand. Außerdem soll ein gigantischer Schneesturm genau zum Zeitpunkt der Geburt abgeklungen sein. Besagtes Massiv ist die mystische Urheimat aller Koreaner und spielt in der Spiritualität des Landes eine wichtige Rolle. Einige Soldaten, die in der Nähe stationiert waren, spürten angeblich die besondere Präsenz und ritzten die Kunde von der Geburt des neuen Sterns in einen Baumstamm ein. Über Kim Il Sung, den Vater Kim Jong Ils ist überliefert, dass er mit seinen übernatürlichen Kräften Schnee in seiner Nähe schmelzen konnte. Als er starb, flogen Kraniche herbei, um den Großen Führer in den Himmel zu tragen. Doch als sie die unzähligen trauernden Menschen sahen, beschlossen sie, Kim Il Sung in einem Mausoleum zu bestatten. Auch mehrere Schwalben versammelten sich, um zu trauern. Derartige Vorstellungen sind nicht zwingend theistisch, aber doch zumindest animistisch und haben im skeptischen materialistischen Weltbild eines aufrichtigen Atheisten keinen Platz.

Immerhin wird die Ch'ŏndogyo, ein Mischung aus mehreren fernöstlichen Religionen, in Nordkorea offiziell anerkannt. Die Chondoistische Ch'ŏngu-Partei ist als gleichgeschaltete Partei anerkannt.

Christliche Rechte in den USA

Einzelne Vertreter der christlichen Rechten in den USA haben ebenfalls Partei für den Kommunismus ergriffen. Als Beispiel seien die Baptistenprediger Billy Graham und Pat Robertson genannt.

Trotz seiner deutlichen Unterstützung der US-Außenpolitik während des Kalten Krieges unterhielt Graham freundschaftliche Beziehungen zu Nordkoreas Diktator Kim Il Sung. War dieser auch Atheist, so wurde er doch als Kind koreanischer Missionare geboren und erhielt eine fromme christliche Erziehung. Dies war ein Anknüpfungspunkt für ein Treffen, denn Grahams Frau war als Tochter baptistischer Missionare in Shanghai und Korea aufgewachsen. 1992 besuchte er den fernöstlichen Despoten, präsentierte ihm die Bibel und sprach mit ihm über den christlichen Glauben. 1994 fand ein weiterer Besuch statt, in dessen Rahmen der Prediger auch in einer der beiden einzigen Kirchen des Landes auftreten durfte. 1999 erklärte Graham, dass Kim Il Sung eine andere Art von Kommunist sei und hob hervor, dass dieser für sein Land die Freiheit gegenüber den Japanern erkämpft hatte. Auch die Söhne beider Männer, Franklin Graham, ebenfalls Prediger und Kim Jong Il, trafen sich zu freundschaftlichen Gesprächen und tauschten Geschenke aus. Im Sommer 2006 führte Nordkorea Raketentests durch, was die ohnehin schon frostigen Beziehungen des Landes zu den USA weiter abkühlte. Franklin Graham verkündete in derselben Woche, dass Kim Il Sung seinen Vater mochte.

Jüngeren Datums sind Pat Robertsons Kommentare über China. Als die olympische Fackel durch San Francisco getragen wurde, regte sich unter der Stadtbevölkerung Unmut über die Tibetpolitik der kommunistischen Partei. Demonstranten machten auf die Menschenrechtslage aufmerksam, indem sie versuchten, Transparente auf der Golden Gate Bridge zu entrollen. Pat Robertson verurteilte die Protestaktion und forderte, Politik und Sport nicht miteinander zu vermischen. Er warnte, dass China mittels Interkontinentalraketen einen Nuklearschlag gegen San Francisco ausführen könnte. Außerdem fügte Robertson hinzu, dass die politischen Veränderungen Chinas in den letzten 20 Jahren „fantastisch“ seien. Daher müsse George Bush unbedingt die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele besuchen.

Im Jahr 2001 hatte Pat Robertson indirekt die Abtreibung in China verteidigt, die er in den USA mit Klauen und Zähnen bekämpfte. (Und das, obwohl in China Abtreibungen auch gegen den Willen der Mutter und bis kurz vor der Geburt durchgeführt werden können.) In einem Interview sagte er, dass er mit der Gesetzeslage nicht zufrieden sei, dass die Chinesen aber das „tun, was sie eben tun müssen“ um mit den Problemen, wie Hungersnöten oder Armut, die aus einer Bevölkerungsexplosion resultieren können, umzugehen. Die USA sollten daher keinen diplomatischen Druck ausüben, um die Ein-Kind-Politik abzumildern.

In Verbindung mit der Tatsache, dass Pat Robertson mehrfach von einem vollständig christlichen Reich der Mitte schwärmte, entsteht so der Verdacht, dass er durch seine Beschwichtigungspolitik gegenüber der kommunistischen Partei bessere Bedingungen für eine Missionierung des Landes erreichen will.

Zentralasiatische Muslime

Einige Mitglieder der KPdSU bekannten sich öffentlich zu ihrem Glauben, wie mehrere zentralasiatische Muslime, von denen Sultan Galiew wohl der bekannteste war. Der Tatare sollte alle Muslime ins Sowjetreich integrieren. Dabei hatte Lenin ein leichtes Spiel, denn das christlich-zaristische Russland hatte in den islamischen Gebieten Zentralasiens eine brutale Repressionspolitik betrieben. In einer Mitteilung der sowjetischen Regierung vom November 1917 hieß es:

Muslime Russlands (...) ihr, deren Moscheen und Gebetshäuser von den Zaren und Unterdrückern Russlands verwüstet wurden, deren Überzeugungen und Sitten mit Füßen getreten wurden: Euer Glaube und eure Sitten, eure nationalen und kulturellen Einrichtungen sind für immer frei und unantastbar. Wisset, dass eure Rechte wie die aller Völker Russlands unter dem mächtigen Schutz der Revolution stehen.“

Mehre Muslime begrüßten daher die russische Revolution und wirkten am Aufbau der Sowjetunion mit. Die Freude währte nur kurz, denn unter Stalin wurde ein anderer Kurs eingeschlagen, der die kurzzeitig erlaubten Privilegien wieder abschaffte. Auch Sultan Galiew fiel den Parteisäuberungen zum Opfer.

Turkmenistan

Ein weiteres Beispiel ist der ehemalige Diktator Turkmenistans, Türkmenbasy, der im Ausland wegen seines exotischen Personenkults bekannt wurde. Von seinem Parteieintritt in den 1960ern an, bemächtigte er sich immer größerer Kompetenzen, die es ihm erlaubten, seine Führungsposition in dem zentralasiatischen Land auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beizubehalten. Unter seiner Herrschaft wurde das Volk um Millionenbeträge aus dem Erlös aus den Gasreserven betrogen, Oppositionelle in Arbeitslagern interniert und jede Religion mit Ausnahme des sunnitischen Islams verboten. Zwar stellte Türkmenbasy ein Extrem dar, sowohl in Bezug auf den Personenkult, wie auch in seiner Instrumentalisierung des Glaubens, doch atheistisch geben sich die übrigen postsowjetischen Politiker der Region nicht. So traten beispielsweise alle zentralasiatischen Staaten und Aserbaidschan in den 1990er Jahren der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) bei, die sich die Befreiung Jerusalems zu ihrem Hauptanliegen gemacht hat.

Aber es wird auch andere kommunistische Parteimitglieder gegeben haben, die privat an Gott glaubten, ihn nach außen hin aber verleugneten, um ihre Karriere nicht zu gefährden.

Einwände und Gegenfragen

Natürlich kann eingewandt werden, dass diese Menschen, wie Wladimir Putin, wohl kaum besonders fromme Christen, Muslime etc. waren, wenn sie ihren Glauben als Kommunisten öffentlich verleugneten. Doch wer so argumentiert, muss gleichzeitig auch akzeptieren, dass in diesem Fall ebenso gerechtfertigt ist zu fragen, ob die atheistischen Mörder besonders „fromm“ waren. Dieses Argument funktioniert in beide Richtungen. Ein Gläubiger, der der kommunistischen Partei angehört, mag nur wenig “fromm” sein, ein Atheist wie Stalin, der mit einer Kirche zusammenarbeitete, aber ebenso. Und genauso könnte man fragen, ob die Kommunisten nur aus ideologischer Verblendung heraus Gott ablehnten oder mit zentralen (Un)glaubensinhalten vertraut waren. Wusste Stalin etwa wie die Pascalsche Wette zu entkräften ist?

Von mehreren ehemaligen Roten Khmer ist bekannt, dass sie nicht besonders atheistisch gewesen sein konnten. Dëuch, Kommandant des berüchtigten Gefängnisses Tuol Sleng, in dem von 20.000 Gefangenen gerade einmal sieben überlebten, konvertierte mit mehreren seiner Mitstreiter zum Christentum. Dennoch empfindet er trotz seines neu gefundenen Glaubens keine Reue. Vor dem Internationalen Tribunal in Pnom Penh leugnet er weiterhin jede Verantwortung für die ihm vorgeworfenen Verbrechen. Auch Ieng Thirith, Ehefrau von Ieng Sary, Außenminister Kambodschas und zweiter Mann im Staat, und Schwägerin Pol Pots, die das Amt der Sozialministerin bekleidete, ist sich keiner Schuld bewusst. Vor Gericht drohte sie ihren Anklägern, dass diese im 7. Kreis der Hölle landen würden.

Es bleibt dabei – Theismus und Atheismus sind durch den Glauben bzw. Nichtglauben an Gott definiert, nicht über politische Einstellungen oder das Maß, in dem man diesen Glauben vertritt beziehungsweise argumentativ verteidigen kann.

Lukas Mihr

 

 

(1) Ohne Gott ist alles erlaubt? (29. Juni 2011)
(2) Ohne Gott ist alles erlaubt? - Atheistische "Helden" (5. August 2011)
(3) Wer behauptet, Atheisten = Mörder? (12. August 2011)
(4) Trug die Evolutionstheorie zur NS-Ideologie bei? Teil 1 (19. August 2011)
(5) Trug die Evolutionstheorie zur NS-Ideologie bei? Teil 2 (26. August 2011)
(6) Ohne Gott ist alles erlaubt? – Zahlen (2. September 2011)