Christliche FundamentalistInnen unterwegs

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Polizeieskorte / Fotos @ Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Der Zusammenschluss von christlichen FundamentalistInnen, der deutsche Zweig der vor allem in den USA aktiven Pro-Life-Bewegung, hatte zu seinem alljährlichen Schweigemarsch aufgerufen. Unter massivem Polizeigeleit zogen am Samstag zahlreiche AbtreibungsgegnerInnen vom Kanzleramt durch die Straßen der Berliner Innenstadt.

Organisiert wurde der "Marsch für das Leben", wie schon in den Vorjahren, vom »Bundesverband Lebensrecht« (BVL), einem Dachverband von 14 deutschen und österreichischen Organisationen.

Mit dem Slogan "1000 Kreuze in die Spree" riefen säkulare, feministische und antifaschistische Organisationen im Vorfeld zum Protest gegen den "Marsch für das Leben" auf. Die GegendemonstrantInnen kritisierten, dass sich die so genannten LebenschützerInnen weder für die (sexuelle) Selbstbestimmung stark machen noch für die Entscheidungsfreiheit für oder gegen Abtreibung eintreten würden.

Die christlichen FundamentalistInnen, das sowohl im katholischen wie im protestantischen Milieu UnterstützerInnen findet, vertritt eine religiöse Ideologie, die der Auffassung von Selbstbestimmung des Menschen über seinen Körper widerspricht. Aus ihrer Sicht müssen sich alle einem höheren Gesetz beugen. Sie beziehen sich auf Gottes Gebote, die sie der Bibel entnehmen und wollen uns alle zwingen, sich dem zu unterwerfen. Um ihrer Weltsicht Nachdruck zu verleihen, setzen sie in erster Linie auf Emotionen, weniger auf Fakten. Dabei gehen sie unterschiedlich vor.

  1. Mit Begriffen wie "Babycaust", dem "neuen Holocaust" oder der Bezeichnung "Tötungsspezialisten" versuchen AbtreibungsgegnerInnen seit Jahren absurde Vergleiche mit dem Nationalsozialismus zu ziehen und FrauenärztInnen in Misskredit zu bringen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nahm die Webseite "Babycaust" im April 2007 in die Liste jugendgefährdender Medien auf.
  2. Zu Beginn des Jahres urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass Frauenärzte, die Abtreibungen vornehmen, nicht als "Tötungsspezialisten" bezeichnet werden dürften, dies hindert die LebensschützerInnen jedoch nicht daran aggressiv gegenüber ÄrztInnen und Frauen durch ihre "Gehsteigberatung" aufzutreten. Sie lauern Frauen auf, die vor einer Abtreibung ein Beratungsgespräch wahrnehmen müssen, um sich zu entscheiden, ob sie ihr Kind austragen wollen oder nicht – wie es der Gesetzgeber vorsieht. Die „Pro Life“-VertreterInnen versuchen ihnen Angst einzujagen, dass sie einen Menschen töten würden, was aus biologischer Sicht aber nicht stimmt.
  3. Mit Plastik-Embryonen sorgte der katholische Verein Durchblick e.V. 2010 im Saarland für Aufsehen. Rund 300.000 saarländische Haushalte wurden mit den Plastikfiguren beschickt. Ziel dieser wie auch anderer Aktion war und ist es, Frauen, die eine Entscheidung zu treffen haben, zu stigmatisieren. Während pro familia deutliche Kritik übte, tat sich die Katholische Kirche schwer damit. Laut der Internetseite des Vereins wies das Bistum Trier die Darstellung der ZDF-Nachrichtensendung "Heute in Deutschland" zurück, wonach der Eindruck erweckt wurde, die Katholische und die Evangelische Kirche distanzierten sich von derlei Aktionen. Durchblick e.V. zitiert hier jedoch vom 23. August 2010 unter dem Titel »Durchblick begrüßt Stellungnahme des Bistums Trier - ‚Damit ist die irreführende Meldung des ZDF endgültig vom Tisch.‘« eine offizielle Erklärung des Bistums Trier, in der es heißt: „Das Bistum Trier und Bischof Dr. Stephan Ackermann halten die Aktion zwar für provokant, sehen aber keine Veranlassung, sie abzulehnen.“ 

Auf politischer Ebene haben die christlichen FundamentalistInnen bisher wenig politischen Einfluss. Es gibt nur vereinzelt PolitikerInnen, die sich offen zu den christlichen FundamentalistInnen bekennen. Dazu gehören beispielsweise der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und der CDU-Politiker Martin Lohmann, Sprecher des "Arbeitskreises Engagierter Katholiken in der CDU (AEK)", die sich aus ihrer religiösen Weltsicht heraus auf gleicher Linie mit den Fundis sehen. An solchen Märschen der sogenannten »Pro Life«-Bewegung richten jedoch zahlreiche CDU-PolitikerInnen gerne Grußworte, ebenso wie eine ganze Reihe von Bischöfen und Erzbischöfen, wenn diese mit 1000 weißen Kreuzen tote Embryonen symbolisieren wollen.

Egal ob GehsteigberaterInnen, Weißes-Kreuz-TrägerInnen oder so genannte LebensschützerInnen, sie alle wollen ihr undemokratisches Weltbild, das alles einer Gottesentscheidung unterliegt, den anderen aufzwingen und mit ihrem Anspruch auf Wahrheit die Gesellschaft und jeden von uns dem unterwerfen.

Die Demonstration vor dem Kanzleramt und der Marsch von rund 2.000 TeilnehmerInnen durch die City hinüber zum Ökumenischen Abschlussgottesdienst in der katholischen Hedwigskathedrale am Bebelplatz war dieses Jahr so hermetisch abgeriegelt und von einem großen Polizeiaufgebot begleitet, dass die Protestierenden ihr Vorhaben nicht wie im vergangenen Jahr umsetzen konnten und keines der weißen Kreuze in der Spree landete.

Christoph Lammers