„Es bedarf noch einiger Aufklärung“

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kirchenaustrittsjahr.de

ASCHAFFENBURG. (hpd) Das am 11. November 2010 ausgerufene „Kirchenaustrittsjahr“ neigt sich dem Ende zu. Kampagnensprecher Frank Welker berichtet im Interview über Reaktionen auf die Kampagne. Er meint,  die Botschaft der Kampagne sei noch nicht richtig angekommen. Welker verrät auch, was Menschen über den Kirchenaustritt und ihre Beerdigung glauben und wie im nächsten Jahr an die Aktion angeknüpft werden soll.

 

hpd: Ein Jahr ist das Kirchenaustrittsjahr nun gelaufen. Habt ihr Menschen zum Kirchenaustritt bewegt?

Frank Welker: Ehrlich gesagt wissen wir das nicht genau, denn es kam natürlich niemand und hat gesagt: „Danke, ich bin jetzt ausgetreten.“ Solche Rückmeldungen haben wir nicht bekommen. Aber wenn man sich die Gesamtaustrittszahlen anschaut, sind es durch die Aktion auch sicher nicht weniger geworden, die ausgetreten sind.

 

Was gab es denn überhaupt für Rückmeldungen?

Rückmeldungen gab es durchaus und auch viele Leute, die ganz konkret etwas wissen wollten. Zum Beispiel zur Kirchensteuer und da konnten wir auch weiterhelfen. Natürlich gab es auch Leute, die sich beschwert haben und die Aktion gar nicht gut fanden. Das hat sich aber insgesamt in Grenzen gehalten, da hätte ich mit mehr Widerspruch gerechnet. Und vor ein paar Jahren hätte es da sicherlich noch stärkeren Gegenwind gegeben als momentan. Es gab auch eine ganze Menge positiver Zuschriften, die die Kampagne richtig gut fanden - vor allem unsere Plakataktion, die wir in Berlin gemacht haben.

 

Was gab es für Kritik, womit wurde die denn begründet?

Das waren ganz unterschiedliche Sachen. Oftmals wurde einfach unterstellt, wir würden einfach nicht sehen, wie viel Gutes die Kirchen tun. Dabei hatten wir ja klar gemacht, dass es uns nicht um die Menschen geht, die vor Ort ehrenamtlich aktiv sind, sondern um die Verwendung der Kirchensteuer. Aber es gab auch Leute, die einfach etwas gegen Atheisten generell haben und überhaupt nicht verstanden, wie man die Kirchen kritisch sehen kann. Argumente also, die nicht ganz neu waren.

 

Was gab es denn für positive Rückmeldungen?

Dass wir es überhaupt erst einmal geschafft haben, so etwas auf die Beine zu stellen. Es war ja für den IBKA und die anderen Organisationen auch neu, eine Kampagne über ein ganzes Jahr zu machen. Das gab es in der Form meines Wissens nach noch nicht. Gut fanden viele auch, dass es immer die Möglichkeit gab, irgendwo mitzumachen. Wer beispielsweise kein Geld zur Verfügung hatte, konnte kostenlos Flyer bekommen und die im Bekanntenkreis oder in seiner Stadt verteilen. Andere mit wenig Zeit konnten spenden, für die Plakataktion oder die Anzeigen. Es war jedenfalls von Anfang an unser Ziel, Menschen mit einzubeziehen. Denn wir hatten ja nicht die Mittel, um so eine Kampagne richtig professionell aufzuziehen und sind auf das ehrenamtliche Engagement angewiesen.

 

Wie viele Flyer wurden denn nun verteilt, wie viele Plakate aufgehängt und wie viele Anzeigen geschaltet?

Bei den Flyern kann ich es genau sagen. Da sind wir 70.000 Stück losgeworden. Bei den Großflächenplakaten gab es nur die Aktion in Berlin mit den 20 Plakaten, die im September geschaltet wurden. Anzeigen konnten wir bislang drei unterbringen, es werden aber noch weitere folgen.

 

Glaubt ihr, dass eure Botschaft nun in der Gesellschaft oder den Medien mittlerweile angekommen ist?

Es war ein erster kleiner Schritt. Das kann man wohl so deutlich sagen. Die Botschaft ist aber definitiv im allgemeinen Verständnis noch nicht angekommen. Nach wie vor glauben sicherlich noch die meisten Leute, dass die Kirchen mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld sehr, sehr viel Gutes tun und das ist nach unserer Ansicht eben nicht der Fall. Da bedarf es noch einiger Aufklärung und da muss noch viel in den nächsten Jahren passieren. Aber wir haben erst mal einen Schritt gemacht und das war wichtig. Medial ist es sicher etwas anders, da sind immer mehr Journalisten für solche Themen wenigstens ansprechbar und wir schaffen es, in den Medien präsent zu sein. Dass etwa die taz vor kurzem einen sehr schönen Artikel über das Kirchenaustrittsjahr geschrieben hat, ist da ein Erfolg.

 

Nun soll das Kirchenaustrittsjahr in die Verlängerung gehen. Bis wann geht sie und warum gibt es diese Verlängerung?

Der Grund ist schlicht. Wir haben mehr Geld erhalten, als wir eigentlich einsammeln wollten. Ein Ziel war es ja, für die Plakataktion in Berlin 7.000 Euro zu bekommen. Insgesamt sind nun über 12.000 Euro eingegangen und das Geld wollen wir natürlich auch im Sinne der Spender einsetzen. Deshalb haben wir im Dezember nun in vier Stadtmagazinen (Stuttgart, Leipzig, Hamburg und Köln) noch einmal Anzeigen gebucht, die da hoffentlich auch erscheinen werden. Außerdem wird es noch eine Anzeigenserie in der Jungen Welt geben.

 

Warum gab es eigentlich ein Kirchenaustrittsjahr, also eine Kampagne, die zum Kirchenaustritt aufgefordert hat, und keine Kampagne, die zum Eintritt in die Organisationen aufgefordert hat, welche die Kampagne auf die Beine gestellt haben oder andere Vereine, die noch Gutes tun?

Das war nicht unser primäres Ziel. Wichtig war uns vor allem, dass wir den Leuten die bereits kirchenfern sind und im Grunde genommen nur noch aus sozialen Gedanken heraus Mitglied einer Kirche sind, weil sie glauben, ihre Steuern würden zur Finanzierung von Krankenhäusern oder Altenheimen verwendet werden, klarmachen, dass das in dieser vereinfachten Form nicht stimmt. Die Intention war also wirklich nur, jemanden zum Austritt aus der Kirche zu bewegen, damit sie ihr Geld direkt an eine karitativ tätige oder gemeinnützige Organisation spenden. Das war für uns der wichtigste Punkt: Nicht über die Kirchensteuer sollte Geld in soziale und gemeinnützige Einrichtungen gegeben werden, sondern direkt. Und das kann ja jeder für sich selbst entscheiden: Wenn jemand also künftig direkt an einen evangelischen Kirchengarten spendet, habe ich damit auch weniger ein Problem. Es sollte jedenfalls gesichert sein, dass das Geld direkt einem Projekt zu Gute kommt und nicht irgendwo anders hingeht.

 

Letztlich bedeutet auch ein Kirchenaustritt ja nicht, dass jemand vom Glauben abfällt. Wie hoch ist denn vermutlich der Anteil von Menschen in den Kirchen, die nur noch aus diesem sozialen Verantwortungsbewusstsein heraus Mitglied sind und die da zur Zielgruppe des Kirchenaustrittsjahres gezählt wurde?

Das kann ich ehrlich gesagt nicht genau einschätzen. Ich gehe aber davon aus, dass die Mehrheit der Kirchenmitglieder von der theologischen Perspektive her kirchenfern ist und mit dem normalen Bild des Kirchgängers nicht mehr viel zu tun hat.

 

Also mindestens 51 Prozent der Menschen in den Kirchen glauben nicht an das, für das die christlichen Kirchen stehen?

Das könnte man so ausdrücken, obwohl ich keine Prozentzahlen nennen würde. Das ist eigentlich unseriös, denn wirklich valide Zahlen gibt es zu diesem Thema gar nicht. Jedenfalls kenne ich solche nicht.

 

Unterstützer des Kirchenaustrittsjahres waren der IBKA, der Bund für Geistesfreiheit und die Giordano Bruno Stiftung. Für was stehen denn die Organisationen hinter dem Kirchenaustrittsjahr außer für einen Kirchenaustritt?

Ich kann nun schlecht für den Bund für Geistesfreiheit oder die Giordano Bruno Stiftung sprechen und eigentlich ging es auch nicht darum, die Organisationen in den Vordergrund zu rücken. Im Kern geht es uns um das Argument, dass gute Dinge direkt und nicht mittelbar, also etwa über den Umweg der Kirche, unterstützt werden sollen. Das ist wohl auch die gemeinsame Ansicht von IBKA, Giordano Bruno Stiftung und Bund für Geistesfreiheit und darum ging es uns in der Kampagne. Wir hatten schließlich ganz bewusst offen gelassen, wohin das Geld später gespendet werden soll. Das muss jeder für sich selbst entscheiden.

 

Nun mag es viele Menschen in den Kirchen geben, die den dadurch vertretenen Glauben nicht mehr teilen, aber für die Kirche eine Art Zuhause, Freunde und Gemeinschaft bedeutet. Was hatte das Kirchenaustrittsjahr diesen Menschen zu sagen?

Das war eigentlich nicht unsere Zielgruppe. Leute, die in der Kirche zufrieden sind und mit dem, was diese für sie leistet, sollen halt in der Kirche bleiben. Aber auch die sollten wissen, wie die Kirche ihr Geld einsetzt. Also auch jemand der mit der Kirche zufrieden ist, sollte wissen, was ihr Bischof verdient, woher sein Gehalt stammt und ob das wirklich mit dem bescheidenen Leben in Einklang zu bringen ist, wie das der Jesus mal vorgesehen haben soll.

 

Welche Defizite bei der Aufklärung seht ihr hier auch nach dem endgültigen Ablauf des Kirchenaustrittsjahres im Dezember?

Erstens wollen wir die Kampagne ein Stück weit fortsetzen. Nicht in dieser Form, aber wir wollen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass das Thema Kirchenfinanzen auf der Agenda bleiben muss. Da geht es ja nicht nur um die Verwendung der Kirchensteuer, sondern auch um die staatlichen Zuschüsse, die ja bisher in Milliardenhöhe fließen. Für das kommende Jahr haben wir jedenfalls schon geplant, auf das Thema des kirchlichen Arbeitsrechts aufmerksam zu machen. Das ist ja auch grad jetzt ganz aktuell, da die Evangelische Kirche in Deutschland das Streikverbot bekräftigt hat. Das wollen wir weiter öffentlich machen. Für uns als Säkulare sind auch die Probleme in den Regionen ganz wichtig, wo es fast nur kirchliche Arbeitgeber im karitativen, sozialen oder kulturellen Bereich gibt und wo man als nichtkonfessioneller Mensch ein Problem hat, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden. Es kann nicht sein, dass Menschen ohne Beschäftigung in den sogenannten verkündigungsnahen Bereichen, eine Reinigungsfachkraft oder ein Oberarzt, trotz der Finanzierung der Einrichtung durch den Staat oder eine öffentliche Krankenkasse Mitglied in einer Kirche sein müssen. Das ist für uns inakzeptabel.

 

Was muss eigentlich passieren, damit für Sie die Notwendigkeit von Kirchenaustrittsjahren in Zukunft nicht mehr vorhanden ist?

(Welker lacht) Wenn niemand mehr in einer Kirche ist, brauchen wir natürlich auch keine Kirchenaustrittsjahre mehr. Aber Spaß beiseite. Solange es in der Kirche noch Menschen gibt, die nur deshalb Mitglied bleiben, weil sie über die tatsächlichen Hintergründe nicht Bescheid wissen, solange müssen wir aktiv bleiben. Außerdem gibt es über den Kirchenaustritt ja eine Menge falscher Vorstellungen. Das fängt dabei an, dass viele gar nicht wissen, wo sie dazu hinmüssen oder welche Konsequenzen das hat. Es sind ganz komische Dinge im Umlauf, es gibt immer noch Menschen, die etwa glauben: Wenn ich aus der Kirche austrete werde ich nicht beerdigt. Da muss man die Leute wirklich mal aufklären.

 

Die Fragen stellte Arik Platzek