Kirchen in Österreich 2024: Rückgänge, Rekorde, Rechtfertigungen

Im September 2025 veröffentlichte die römisch-katholische Kirche in Österreich ihre Zahlen fürs Vorjahr. Während die evangelischen Kirchen bereits im Frühjahr von einer Rekordzahl an Austritten berichteten, ging die Anzahl der katholischen Austritte zum zweiten Mal gegenüber dem Vorjahr zurück. Die anderen Kennzahlen geben jedoch keinen Anlass zur Freude seitens der Religionsgesellschaft, auch wenn einige Medienberichte diesen Anschein erwecken könnten.

Die evangelischen Kirchen in Österreich haben mit 11 Prozent Steigerung zum Vorjahr mit 6.753 Austritten einen neuen Rekord aufgestellt. Die Anzahl der evangelischen Menschen (Augsburger sowie Helvetisches Bekenntnis, Methodisten) sank zum ersten Mal unter 250.000. Sie haben damit einen Bevölkerungsanteil von 2,7 Prozent.

Die katholische Kirche wiederum konnte sich verhalten über einen erneuten Rückgang der Austritte freuen. Dort wurde der Austrittsrekord im Jahr 2022 mit 90.975 Austritten aufgestellt, 2023 waren es dann 85.163 und 2024 schließlich 71.531.

Bei einer schrumpfenden Basis ist es für die Vergleichbarkeit sinnvoll, den Anteil der Austritte an der Gesamtmenge zu betrachten. Diese Austrittsrate war bei den evangelischen Kirchen 2,6 Prozent (und liegt seit Jahren bei über 2 Prozent), bei der katholischen Kirche 1,5 Prozent (nach 1,9 und 1,8 Prozent in den Vorjahren).

Die Anzahl der "Mitglieder", die einer Religionsgesellschaft zugeordnet sind, wird jedoch nicht nur von den Austritten beeinflusst. Es gibt ja auch Eintritte (über den Weg einer Taufe), Wiedereintritte von Ausgetretenen und den Zuzug aus dem Ausland. Dem stehen Abgänge wie durch einen Todesfall oder die Auswanderung aus Österreich entgegen. Unter 14 Jahren bestimmen die Eltern die Religionszugehörigkeit von Kindern und können für diese auch den Austritt erklären.

Neben der Austrittsrate ist also auch die Änderungs- oder Abgangsrate interessant. Diese betrug bei den evangelischen Kirchen bereits 2023 3 Prozent und erreichte diesen Wert 2024 wieder. Bei der katholischen Kirche sank die Abgangsrate nach zwei Jahren mit über 1,9 Prozent im Vorjahr auf 1,8 Prozent – der dritthöchste Wert der letzten Jahrzehnte.

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Grafik 1: © Balázs Bárány

Die sinkende Zahl der katholisch zugeordneten Menschen führte im Sommer 2024 zur Unterschreitung der Hälfte der Bevölkerung. Dies war beim hpd bereits im Vorjahr zu lesen; für Medien im ehemals katholisch dominierten Österreich war dieses historische Ereignis mit wenigen Ausnahmen damals noch kaum berichtenswert. Heuer, ohne die Notwendigkeit einer Hochrechnung, wurde die Information zögerlich und ohne besondere Betonung nach und nach genannt. Aktuell steht der römisch-katholische Bevölkerungsanteil in der Quartals-Hochrechnung bei 48,8 Prozent. Die zweitgrößte Gruppe, die Konfessionsfreien, wachsen unter anderem durch die Austritte und erreichen mit knapp über 3 Millionen Menschen 33 Prozent der Bevölkerung.

Taufen und andere kirchliche Veranstaltungen

Nach den Austritten ist die Differenz aus Zugängen (die bei den genannten christlichen Kirchen auf der Taufe basieren) und Todesfällen der zweitwichtigste Faktor. Dieses "Taufdefizit" steigt seit Jahren an.

Die römisch-katholischen Taufen sanken 2024 auf 36.705. Dies ist der zweitniedrigste Wert der letzten Jahrzehnte; weniger Taufen gab es nur im Pandemiejahr 2020. In der Veröffentlichung der Zahlen lieferte die Kirche gleich eine Erklärung dazu: "Dies hängt auch mit dem Rückgang der Geburtenzahl in Österreich zusammen". Das stimmt – zwischen 2023 und 2024 ging die Zahl der Geburten in Österreich um 0,47 Prozent zurück. Das erklärt immerhin fast ein Vierzehntel des siebenprozentigen Rückgangs der katholischen Taufen von 2023 auf 2024. Für den Rest liefert die Organisation keinen Erklärungsversuch. Die Demografie ist schuld, ganz klar.

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Grafik 2: © Balázs Bárány

Seit etwa zehn Jahren wird weniger als die Hälfte der Neugeborenen katholisch getauft. Dieser Anteil ist 2024 auf 35 Prozent gefallen. Es gibt natürlich auch Zuwanderung, auch aus Ländern ohne katholische Mehrheit. Deswegen ist der Anteil der katholischen Taufen an den Neugeborenen mit Eltern mit österreichischer Staatsbürgerschaft interessant. Dieser Wert lag Anfang der 2010er Jahre noch bei zwei Dritteln, 2024 nur mehr bei 46 Prozent.1

Auch die Anzahl der katholischen Eheschließungen zeigt einen starken Rückgang. Die 7.537 Trauungen in der katholischen Statistik entsprechen 16,5 Prozent der gesamten Eheschließungen in Österreich. Das ist ein Minderheitenprogramm. Niedrigere Zahlen gab es nur 2020 und 2021 während der Pandemie.

Der Rückgang der Taufen und der Eheschließungen zeigt, wohin die Entwicklung in den nächsten Jahren geht. Die Differenz zwischen den verstorbenen Katholik:innen der geburtenstarken Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg und dem sinkenden Anteil der Neuzugänge durch Taufen wächst weiterhin, und es deutet nichts darauf hin, dass diese Entwicklung sich umkehren würde.

Priester und Pfarren

Die Bereinigung der nicht mehr finanzierbaren und betreubaren Struktur dörflicher Pfarren geht weiter. 2023 wurden 3,3 Prozent der vormaligen Pfarren eingespart, 2024 weitere 0,6 Prozent. Mit minus 2 Prozent geht auch der Rückgang der Anzahl der Priester weiter (Diözesan- und Ordenspriester zusammen). Der Nachwuchs kann die Abgänge nur zu einem Viertel ersetzen, und aus dem Ausland kam nur ein einziger Priester hinzu. Der Rückgang der Priester bewegt sich größenordnungsmäßig in ähnlichen Regionen wie der der Mitglieder.

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Grafik 3: © Balázs Bárány

Weitere Analysen

Die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) und die Atheisten Österreich haben die katholischen Austritte und die anderen Kennzahlen ebenfalls aufbereitet und kommentiert.

Viel Aufmerksamkeit fand ein Interview in der Kleinen Zeitung (Styria Media Group, zu 100 Prozent im Besitz von katholischen "Medienvereinen") mit der Theologin und Universitätsprofessorin Regina Polak. Der Text ist dort ohne Abonnement nicht frei zugänglich, aber zentrale Aussagen wurden auch anderswo, sogar in Deutschland aufgegriffen.

Die Theologin vermutet, dass die "Austrittszahlen nun ein Plateau erreicht hätten". Die Basis dieser Vermutung ist zumindest in den Nacherzählungen des Interviews nur die Nennung des erneuten Rückgangs. Allerdings kam es in den letzten fünfundzwanzig Jahren jetzt schon zum vierten Mal vor, dass die Austritte zwei Jahre hintereinander sanken. Danach kamen wieder höhere Werte, und der mehrjährige Mittelwert steigt nach wie vor kontinuierlich an. Es bleibt also vorerst bei der Vermutung. Die Gegenvermutung höherer zukünftiger Austrittszahlen lässt sich aus den historischen Daten genauso ableiten. Wir werden es erfahren.

Gegentrend zur Säkularisierung?

Ein weiteres Anzeichen für den "Gegentrend zur Säkularisierung" seien die gestiegenen Zahlen der Erwachsenentaufen "bei jungen Menschen", insbesondere in Wien. Die Informationen zu Taufen "junger Menschen" ab 14 Jahren (oder die Definition, wer als "junger Mensch" zählt) sind nicht öffentlich zugänglich, die in der Diözese gut vernetzte Frau Prof. Polak hat aber wahrscheinlich einen Zugang zu ihnen. Insgesamt (also ohne Beschränkung auf "junge Erwachsene") handelt es sich fürs ganze Jahr um 124 Taufen ab 14 Jahren in der Erzdiözese Wien, die neben der Bundeshauptstadt auch große Teile Niederösterreichs abdeckt. Die 124 Taufen sind immerhin um 32 mehr als der Mittelwert der drei Jahre davor. Der Mittelwert der 2010er Jahre war jedoch 137! Um von einem Anstieg sprechen zu können, muss man also die Vergleichsbasis sehr selektiv und kurz wählen.

Die Gesamtzahl der Taufen in der Erzdiözese ging zwischen 2023 und 2024 um 438 zurück, in zehn Jahren um 3.212 (ein Drittel). Da haben die "jungen Menschen" ab 14 Jahren also noch einiges aufzuholen. Es ist ein begrüßenswerter Trend, dass Menschen nicht mehr als Baby ohne eigene Willenserklärung getauft werden, sondern sich aktiv dafür entscheiden – weiter so! Für die Gesamtzahl der Getauften heißt das nur, dass sie später getauft werden. Und diese Gesamtzahl ist weiterhin im Sinkflug. Der "Gegentrend zur Säkularisierung" geht im statistischen Rauschen unter.

Junge glauben öfter an "Gott"

Viel rezipiert wurde auch die Aussage aus der "Was glaubt Österreich?"-Studie von 2024 (der hpd berichtete), wonach die Altersgruppe mit dem höchsten Anteil an Zustimmung auf die Frage, ob man an einen Gott glaubt, die der 14- bis 25-Jährigen sei. Obwohl die Studie bereits publiziert ist, haben die Zusammenfassungen des Interviews die konkreten Zahlen unterschlagen.

Die Studie rät auf Seite 68, die Ergebnisse für die junge Gruppe "mit Vorsicht zu betrachten". Die Jugend-Stichprobe sei gleich in mehreren Merkmalen nicht ganz repräsentativ. Diese Vorsicht verschwindet beim Zitieren der Zahlen in den Medien. So soll die Gruppe 14 bis 25 zu 30 Prozent an einen Gott glauben, während der Anteil in der gesamten Stichprobe nur mehr 22 Prozent sei.

Wie kommt es zu diesem überraschenden Anteil? Die meisten Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass die Religiosität mit dem Alter ansteigt – nicht im Individuum, sondern als Altersgruppe. Je älter die Menschen sind, desto eher sind sie gläubig, obwohl der individuelle Lebensweg häufiger die Ablegung eines früher vorhandenen Glaubens als die Annahme eines vorher nicht vorhandenen religiösen Glaubens beinhaltet. Deswegen schreibt die Studie auch von "unerwarteten Ergebnissen". Die sie auch gleich ausführt: Bei jungen Muslim:innen glauben 65 Prozent an "Gott oder eine göttliche Wirklichkeit", ohne muslimische Befragte sind es 25 Prozent.

Die zweite relativ große Gruppe mit höheren Anteilen an Gottesglauben sind orthodoxe Christ:innen. Auf Seite 16 der "Was glaubt Österreich?"-Studie zeigt ein Diagramm, dass sie den Glauben an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit zu 36 Prozent gewählt haben, gegenüber 30 Prozent der katholischen Menschen. Wenn es also überproportional mehr junge orthodoxe Menschen gibt als katholische und evangelische, haben wir eine weitere Erklärung für höhere Zustimmungswerte in dieser Altersgruppe. Und genau das zeigen die Zahlen der Statistik Austria für die Religionszugehörigkeiten der Altersgruppen: Sowohl islamisch als auch orthodox sind in der jungen Altersgruppe überrepräsentiert.

Verpflichtender Religionsunterricht

Zudem ist in Österreich der Religionsunterricht für alle Schüler:innen, denen ihre Eltern ein Bekenntnis zugeordnet haben, verpflichtend.2 Bekenntnisfrei zugeordnete Kinder werden ermutigt, in den katholischen Religionsunterricht zu gehen, und manche Schulen auf dem Land unterstützen diese "Ermutigung" mit strukturellem Druck wie fehlender Aufsicht, sodass die Kinder dann doch in der Klasse bleiben müssen. Das bedeutet, dass ein großer Teil der jungen Menschen regelmäßig über "Gott oder eine göttliche Wirklichkeit" in einem faktenorientierten Kontext (Schule) hört, was mit dem Ende des Schulbesuchs schlagartig aufhört. Dieser Faktor erklärt – neben dem viel stärkeren Gottesglauben in Religionsgemeinschaften außerhalb der katholischen und evangelischen Kirchen – eine leicht höhere Zustimmungsrate zum Glauben an "Gott oder eine göttliche Wirklichkeit". Um daraus einen "Gegentrend zur Säkularisierung" zugunsten der katholischen Kirche auszulesen, muss man schon sehr fest an unbelegte Dinge glauben. Aber für Medien in katholischem Besitz sowie die Religionsredaktion des Österreichischen Rundfunks (soweit bekannt nicht in katholischem Besitz) reichen die Andeutungen ohne Datengrundlage auch.

Differenziertere Ansichten?

Eine wunderschöne Darstellung von kognitiven Verzerrungen zitiert ORF Religion dann auch, nämlich "dass Jugendliche differenziertere Positionen einnehmen als oft angenommen. So sei die Zustimmung zu aktiver Sterbehilfe in der Altersgruppe 14 bis 25 deutlich geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt von 61 Prozent".

Die Sterbehilfe ist ein komplexes Thema, das wie beschrieben von der Mehrheit der Bevölkerung gutgeheißen wird und deren Verbot 2020 der Verfassungsgerichtshof als nicht verfassungskonform erkannte. Eine differenzierte Position wäre eine Argumentation pro und contra, unter Berücksichtigung der juristischen Einordnung, dass diese Entscheidung den Menschen zusteht, und der Zustimmung in der Bevölkerung. Dass genau die Ablehnung die "differenziertere Position" sein soll, ist ohne weitere Details schwer zu argumentieren – aber das wird ja auch nicht versucht, einfach nur behauptet.

Fazit

Man kann versuchen, mit willkürlich ausgewählten Datenfragmenten einen "Gegentrend zur Säkularisierung" zu konstruieren, und katholische Medien verbreiten solche "Nachrichten" gerne weiter. Hier war auch zu beobachten, dass es ausreicht, wenn eine Professorin nur vage Andeutungen macht – manche Redaktionen konstruieren daraus selbst die Zukunft, die sie sich wünschen.

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1 Natürlich ist die österreichische Staatsbürgerschaft kein hundertprozentiges Kriterium für die Religionszugehörigkeit. Dieser Vergleich soll einfach nur den Effekt der Migration ausschließen.

2 Bis zum 13. Lebensjahr können die Eltern das Kind vom Religionsunterricht abmelden, ab 14 Jahren die Jugendlichen selbst.