Piraten für Trennung von Staat und Religion

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Foto: Bernd Vowinkel

KÖLN, BERLIN (hpd) Auf ihrem Bundesparteitag in Offenbach am 3. und 4. Dezember 2011 hat die Piratenpartei mit überwältigender Mehrheit eine vollständige Trennung von Staat und Religion in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen. Weitere wichtige Themen waren das bedingungslose Grundeinkommen und die Drogenpolitik.

Bisher wurden die Piraten in der Presse häufig als Nerds dargestellt, die sich fast ausschließlich mit den Fragen des Internets beschäftigen. Spätestens nach dem Bundesparteitag in Offenbach kann man das nicht mehr behaupten. So hat sich die Partei jetzt zu vielen gesellschaftspolitischen Fragen positioniert. Auch der Anteil weiblicher Piraten ist keineswegs so niedrig, wie das immer dargestellt wird.

Nach dem unerwartet guten Abschneiden der Piratenpartei von 8,9% bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin im September 2011 hat sich die Zahl der Parteimitglieder um etwa 50% auf jetzt über 18.000 erhöht. Im Gegensatz zu anderen Parteien kann bei den Piraten jedes Parteimitglied am Bundesparteitag teilnehmen. Das brachte die Stadthalle Offenbach mit ihren 1.500 Sitzplätzen an ihre Belastungsgrenze.

Im Vorfeld des Parteitages gab es eine regelrechte Antragsflut von insgesamt 589 Anträgen zu allen möglichen Themen, darunter alleine 370 zum Grundsatz- und Wahlprogramm. Über Umfragen unter den Parteimitgliedern im Internet wurden daraus 42 ausgewählt, die für besonders wichtig und interessant erachtet wurden und dann auf die Tagesordnung kamen. Aber selbst diese konnten aus Zeitgründen nicht alle auf dem Parteitag behandelt werden.

Zum Thema Trennung von Staat und Religion bzw. Kirchen gab es mehrere konkurrierende Anträge, angefangen von sehr zurückhaltenden Formulierungen bis hin zur Forderung eines laizistischen Staates nach dem Vorbild Frankreichs. Die Entscheidung fiel dann nach langer Diskussion auf einen gemäßigten Antrag (siehe Ende des Artikels).

Nach der Vorauswahl lag die Zustimmung zu diesem Antrag bei über 90%. Das heißt, dass man sich von der Grundposition her sehr einig war, und sich die längere Diskussion fast ausschließlich um die Formulierung drehte.

Ein von mir selbst eingereichter Antrag zu einer rationalen und pragmatischen Regelung der Sterbehilfe lag in der Rangliste auf Platz 37 und wurde aus Zeitgründen nicht mehr behandelt. In der vorhergehenden Diskussion und Abstimmung im so genannten Liquid Feedback auf der Internetplattform der Piratenpartei erhielt er immerhin eine Zustimmung von 75%. Aber es gibt ja in etwa einem halben Jahr den nächsten Bundesparteitag. Daneben wird auch diskutiert, ob man zukünftig einen Teil der Anträge ausschließlich über das Internet abstimmt.

Bernd Vowinkel

 

Die drei Piraten Eberhard Zastrau (Berlin), Martin Haase (Berlin und Bamberg), NineBerry (Christian Schwarz, Karlsruhe) sind als Einreicher des Antrages aufgeführt. Mit dem letzten führte ich ein kurzes Gespräch.
Meine erste Frage zeugte eher von meinem Nichtwissen. Anders als von mir bisher wahrgenommen hat nicht nur der Berliner Landesverband die Trennung von Staat und Religion im Partei- und Wahlprogramm festgeschrieben. Auch in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und aktuell Schleswig-Holstein sind entsprechende Passagen enthalten. Auch die Piratenparteien in der Schweiz und Luxemburg haben sich bereits in ihren Parteiprogrammen klar für eine strikte Trennung von Staat und Religion positioniert.

Bereits auf den beiden vorangegangenen Bundesparteitagen wurden ähnlich lautende Beschlüsse eingereicht. Sie kamen aus zeitlichen Gründen seinerzeit jedoch nicht zur Abstimmung. Anders am gestrigen Tage. Mit einer überwältigenden Mehrheit bei nur wenigen Gegenstimmen stimmten die Piraten auf dem Bundesparteitag in Offenbach zu.

F.N.

Hier der Text des beschlossenen Antrages:

Freiheit und Vielfalt der kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen kennzeichnen die modernen Gesellschaften. Diese Freiheiten zu garantieren, ist Verpflichtung für das Staatswesen. Dabei verstehen wir Piraten unter Religionsfreiheit nicht nur die Freiheit zur Ausübung einer Religion, sondern auch die Freiheit von religiöser Bevormundung. Wir erkennen und achten die Bedeutung, die individuell gelebte Religiosität für den einzelnen Menschen erlangen kann.
Trotz der von Verfassungs wegen garantierten Religionsfreiheit ist das Staatswesen der Bundesrepublik nicht frei von religiöser (und weltlicher) Privilegierung der traditionellen christlichen Kirchen. Hier gibt es einen Widerspruch, der durch Immigration und religiöse Differenzierung in der Gesellschaft zu größeren Verwerfungen führen kann.
Die weltanschauliche Neutralität des Staates herzustellen, ist daher eine für die gedeihliche Entwicklung des Gemeinwesens notwendige Voraussetzung. Ein säkularer Staat erfordert die strikte Trennung von religiösen und staatlichen Belangen; finanzielle und strukturelle Privilegien einzelner Glaubensgemeinschaften, etwa im Rahmen finanzieller Alimentierung, bei der Übertragung von Aufgaben in staatlichen Institutionen und beim Betrieb von sozialen Einrichtungen, sind höchst fragwürdig und daher abzubauen. Im Sinne der Datensparsamkeit ist die Erfassung der Religionszugehörigkeit durch staatliche Stellen aufzuheben, ein staatlicher Einzug von Kirchenbeiträgen kann nicht gerechtfertigt werden.
(Quelle)