Forderung nach Ende von ISAF-Mandat

BERLIN. (hpd) Nach zehn Jahren Krieg in Afghanistan forderte die Humanistische Union gestern noch einmal den Einstieg in den Ausstieg. Heute soll im Deutschen Bundestag abschließend darüber beraten werden.

Die Humanistische Union (HU) fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, bei der Abstimmung über eine Mandatsverlängerung der Bundeswehr in Afghanistan (ISAF-Mandat) von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen.

Die Bundesregierung hatte im vergangenen Dezember beantragt, das Mandat zu verlängern.

„Es gibt keinen Verlängerungs-Automatismus. Die Bundestagsabgeordneten sind nach § 8 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vom 23. März 2005 frei, die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch zu widerrufen“, erklärte zur Abstimmung Werner Koep-Kerstin vom Bundesvorstand der Humanistischen Union.

Dies sei insbesondere dann angebracht, wenn offenkundig sei, dass nach mehr als einem Jahrzehnt Krieg in Afghanistan die mit militärischen Mitteln verfolgten Ziele nicht erreicht werden konnten.

Und auch die Bundesregierung musste in ihrem „Fortschrittsbericht Afghanistan“ vom Dezember vergangenen Jahres feststellen: „Frieden und Sicherheit erfordern eine politische Lösung. Sie kann nur durch Verhandlungen und einen Prozess der Versöhnung herbeigeführt werden.“ Diese Erkenntnis habe sich 2011 endlich durchgesetzt, heißt es.

Die HU forderte daher die Bundesregierung auf, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Dazu gehöre ein von beiden Seiten zu vereinbarender und einzuhaltender Waffenstillstand - auch auf regionaler Ebene - als Voraussetzung für Verhandlungen über eine Friedenslösung.

„Statt vernebelnder Abzugsrechnerei von Seiten der Bundesregierung ist eine konkrete Abzugsplanung für die Bundeswehr auch als Signal militärischer Deeskalation gefordert, die bereits jetzt in ihrem Umfang für Verhandlungen vertrauensbildend wirkt“, so Koep-Kerstin weiter.

Die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung, an der sich auch die Bundeswehr – entgegen ihrem ursprünglichen Anspruch, einen „Stabilisierungseinsatz“ zu betreiben – beteiligte, müsse ein Ende haben, hieß es bei der HU. Koep-Kerstin: „Die Aufständischen an den Verhandlungstisch zu bomben, hat nicht funktioniert, dafür aber zahlreiche zivile Opfer gefordert.“

Erschreckende Bilanz: 95 Prozent der Menschen, die bei sogenannten „Capture or kill“-Operationen getötet wurden, können nicht den Aufständischen zugeordnet werden. Das belegt eine Studie des Afghanistan Analyst Network, welche die Publizisten Alex Strick van Linschoten und Felix Kuehn erstellt hatten. Auch Welt Online berichtete im November 2011 darüber.

Die HU begrüßte es daher, dass der Fortschrittsbericht 2011 die Notwendigkeit einer Dekade der Entwicklung und des zivilen Aufbaus für Afghanistan betont, die nachhaltig und langfristig angelegt sein müsse. Die Orientierung an kurzfristigen und möglichst sichtbaren Erfolgen gehöre der Vergangenheit an, heißt es dort.

Allerdings muss ein ernsthaftes Bemühen der Bundesregierung um eine umfassende und langfristige Entwicklungszusammenarbeit bezweifelt werden, wenn die derzeit jährlichen Mittel für Wiederaufbau und Entwicklung in Höhe von 430 Millionen Euro nach 2014 lediglich in „vergleichbarer Größenordnung“ (Fortschrittsbericht 2011) fortgeschrieben werden sollen. Allein die mit einer Mandatsverlängerung der Bundeswehr bis 31. Januar 2013 verbundenen Kosten würden rund eine Milliarde Euro betragen.

Zum Vergleich: Das Jahresbudget der Max-Planck-Gesellschaft betrug 2011 rund 1,8 Milliarden Euro. Die mit über 27.000 Mitarbeitern in mehreren Dutzend Länder aktive Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hatte 2010 ein Budget von etwas mehr als 800 Millionen Euro. Für die europäische Raumfahrtorganisation wandte die Bundesrepublik rund 714 Millionen Euro auf und das deutsche Bundesjustizministerium muss 2012 mit knapp 500 Millionen Euro auskommen. Der Jahresetat der Universität Hamburg mit knapp 40.000 Studierenden (ohne Universitätsmedizin) belief sich 2009/2010 auf 350 Millionen Euro.

Auch die Mittel für ziviles Engagement müssen in sinnvolle Strukturen vergeben und effektiv verwendet werden, forderte die HU schließlich. „Weitaus mehr Maßnahmen als bisher sind zur Verbesserung des Lebens der Menschen in Afghanistan zu unterstützen und zu finanzieren“, meinte Werner Koep-Kerstin. Vor allem gehe es um die ländliche Entwicklung, die die Lebensmittelversorgung sichern und nachhaltig sein muss. Dabei sei die Einbeziehung von lokalem Wissen und Können ebenso wichtig wie institutionelle Unterstützung, etwa durch das afghanische Nationale Solidaritätsprogramm (NSP).

„Schwerpunkte des zivilen Engagements müssten weiterhin Bildung, Verkehrs- und Kommunikations-Infrastruktur und medizinische Versorgung sein. Bildungserfolge für Mädchen und Frauen müssen weiterentwickelt werden.“