Anlässlich der Kampagne gegen Prof. Frauke Brosius-Gersdorf hat die Humanistische Union einen Offenen Brief an die Mitglieder der Bundestagsfraktion der Union geschrieben. Der hpd dokumentiert ihn im Wortlaut.
Sehr geehrte Bundestagsabgeordnete der Unionsfraktion,
wir, die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, wenden uns an Sie in der Causa Frauke Brosius-Gersdorf und ihre Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht. Wir fordern Sie als politische Repräsentantinnen und Repräsentanten auf, sich nicht vor den Karren der gezielten, offenbar von extrem rechten Medien und Interessenverbänden initiierten Schmutzkampagne gegen Prof. Dr. Brosius-Gersdorf spannen zu lassen. Ebenso fordern wir Sie auf, ihre Wahl zur Richterin nicht durch falsche Unterstellungen zu verhindern, falls sie, was wir hoffen, ihre Kandidatur aufrechterhält.
Brosius-Gersdorf ist eine allgemein anerkannte Juristin und Hochschullehrerin an der Universität Potsdam und dabei spezialisiert auf Verfassungs- und Sozialrecht. Ihre Expertise und ihr hohes Ansehen in Fachkreisen sollte man anerkennen, selbst wenn man sich mit ihr politisch nicht in allen Punkten einig sein mag. Stattdessen wurde anschließend aus Ihren Reihen Desinformation reproduziert, wodurch die Neubesetzung aller drei Richterposten von der Tagesordnung des Deutschen Bundestags genommen wurde. Wir als älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation halten die Verleumdung von Brosius-Gersdorf als "ultralinks", "linksradikal" oder "linksextrem" und die Unterstellung, sie würde sich in ihren juristischen Entscheidungen von politischen Einstellungen leiten lassen, die im Gegensatz zum demokratischen Spektrum stehen, für nicht hinnehmbar. Wir sind schockiert, wie leicht Akteure, die sich selbst der sogenannten bürgerlichen Mitte zurechnen, mit einem solchen Framing das Geschäft der rechten Konkurrenz betreiben.
Mehrere falsche Vorwürfe kursieren derzeit gegen die Juristin. Das Politikberatungsnetzwerk Polisphere hat kürzlich nachgewiesen, dass es sich bei den Vorwürfen um eine Kampagne handelt, deren Ursprung zweifelhafte und zum Teil rechtsextreme Medien sind. So begann bereits am 1. Juli 2025 das Onlineportal Apollo News mit der ersten Desinformation, übernommen von NIUS, Tichys Einblick, Junge Freiheit, AUF1 und dem Compact Magazin vom 2. bis 4. Juli – allesamt Akteure am rechten Rand der Gesellschaft, vereint durch das Ziel, Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin zu verhindern. Der zeitliche Zusammenhang mit der Richterwahl und die Häufung der falschen Anschuldigungen zeigen, dass es sich um eine politische Kampagne handelt. Diese Medien versuchen, Brosius-Gersdorfs Arbeit und ihre politischen Positionen auf die Themen Abtreibungsrecht, Impfpflicht, AfD-Verbot, Kopftuch-Debatte und Gendern zu reduzieren, darüber wiederum zu lügen, ihre Reputation durch einen haltlosen Plagiatsvorwurf zu beschädigen und sie somit als Person zu diskreditieren. Teilt die Unionsfraktion des Bundestags etwa diese Agenda? In Anbetracht der politischen Selbstverortung dieser Medien jedenfalls erschreckt es umso mehr, dass diese Kampagne spätestens seit dem 9. Juli in die Mitte der Gesellschaft und des Bundestags wirkt.
Während man beispielsweise über die politische Forderung eines AfD-Verbots oder die Frage, wie eine geschlechtergerechte Sprache aussehen kann/soll, vortrefflich sachlich streiten könnte, wird dies (auch von einigen Unionsabgeordneten) als "ultralinks" skandalisiert. Sind die Politikerinnen und Politiker aus den Reihen der CDU/CDU, die ebenso ein AfD-Verbot befürworten, nun auch ultralinks?
Andere Teile der Kampagne gegen Brosius-Gersdorf basieren dagegen auf Lügen. So ist die Anschuldigung falsch, die Juristin befürworte die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur Geburt. Sie fordert lediglich, ungewollt Schwangere sollten in der Frühphase der Schwangerschaft legal abtreiben dürfen. Das ist bereits straffrei, aber noch illegal. Dabei handelt es nicht um Extremismus, sondern vielmehr um den Wunsch nach einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Ihre Ansichten sind also mit dem Grundgesetz kompatibel. Ob man Brosius-Gersdorf als politisch links verorten mag, ist eine statthafte politische Frage – nicht aber sie dabei als extrem darzustellen.
Doch es geht noch um mehr: Wenn es den beteiligten "Alternativmedien" gelingt, durch eine solche Kampagne entscheidenden Einfluss auf Entscheidungen des Deutschen Bundestages zu nehmen, nimmt unsere Demokratie und die Institution Deutscher Bundestag erheblichen Schaden. Lassen Sie das nicht zu!
339 Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler haben inzwischen in einer öffentlichen Stellungnahme Partei für Brosius-Gersdorf ergriffen. So wie die Unterzeichnenden halten auch wir den öffentlichen Umgang mit Brosius-Gersdorf für eine ungeheuerliche Schmutzkampagne und befürchten den Verfall des respektvollen Umgangs in der demokratischen Gesellschaft. Mehr noch sehen wir mit großer Sorge, wie diese Kampagne eine Verschiebung der öffentlichen Diskursräume nach rechts offenbart und verleumderische Narrative in die Mitte von Politik und Gesellschaft vordringen lässt. Daher fordern wir Sie nachdrücklich dazu auf, die Kampagne gegen Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf zurückzuweisen und ihre Wahl zur Richterin am Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen
Der Bundesvorstand der Humanistischen Union e.V.





