Christliche Rechte - Netzwerk der Intoleranz

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Plakat der Evangelischen Allianz 2012

CASTROP-RAUXEL. (hpd) In der Kulturkneipe „Bahía de Cochinos“ gab der freie Journalist und Sozialwissenschaftler Jörg Kronauer in seinem Vortrag über die „christliche Rechte“ einen Überblick über den christlichen Fundamentalismus in Deutschland.

Kronauer gehört dem Antirassistischen Bildungsforum Rheinland an. Das engagiert geführte soziokulturelle Zentrum startete damit eine neue Vortragsreihe zu politisch relevanten Themen.

Mit Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. und seinem Vorgänger Johannes Paul II. drehen die erzkonservativen rechten Kräfte des Katholizismus mit ihren Organisationen Opus Dei und Piusbruderschaft schon länger wieder das katholische Rad erfolgreich hinter das 2. Vatikanische Konzil zurück.

Kronauer verwies dabei auch auf die Kölner Gemeinde St. Panthaleon, die Hauskirche des Opus Dei und einzige Gemeinde, der Ratzinger bei seinem Kölnbesuch 2005 seine Aufwartung machte.

Was den freien Journalisten aber viel mehr beunruhigt sind die freien Radikalen des evangelischen Milieus, die Evangelikalen. Deren Szene blüht und gedeiht, hierzulande von der Öffentlichkeit noch weitestgehend unbeachtet oder marginialisiert.

Wohlorganisiert in der „Evangelischen Allianz“ agieren die Fundamentalisten gegen die von der Moderne ach so aufgeweichte evangelische Amtskirche, die angesichts der Kirchenflucht den Zulauf der Extremisten nur neidisch und anbiedernd bestaunen kann: zur Allianz gehören inzwischen 1,3 Millionen Mitglieder, Tendenz steigend.

Einerseits davon überzeugt, im Besitz der unkritisierbaren Wahrheit zu sein, und andererseits davon getrieben, dass sich wahrer Glaube nur in aktiver Mission äußert, überfluten sie die Gesellschaft mit ihren Massenveranstaltungen, Schulgründungen, Plakat-Aktionen und Medienerzeugnissen.

Ihr Zentralorgan „idea spektrum“ hat eine steigende Auflage von inzwischen 30 000 Exemplaren. Ihr Chefredakteur und Macher Helmut Matthies ist gleichzeitig Autor und Mitglied im Freundeskreis der rechtsextremen Zeitung „Junge Freiheit“.

Kronauer verwies auch auf das von Matthies 1976 herausgebrachte „Rotbuch Kirche“, in dem er sich über den Einfluss der Linken in der evangelischen Kirche beklagte und das südafrikanische Apartheidsregime gegen Kritik von evangelischer Seite verteidigte. Übrigens ist er seit 1982 als evangelischer Pfarrer ordiniert und für seine Arbeit bei idea beurlaubt. Die Medienagentur idea wird zudem von der EKD finanziell mitgetragen.

Zum regen politischen Treiben der Evangelikalen gehören also antimoderne, antiemanzipatorische Kräfte wie christliche Lebensschutzvereine, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, die Gleichstellung von Lesben und Schwulen und jede Kritik an patriarchalen Verhältnissen bekämpfen. Welch Wunder, dass die amtierende Bundes-Familienministerin Kristina Schröder einer evangelikalen Gemeinde angehört.

Mit Wolfgang Baake halten sich die Evangelikalen einen hauptamtlichen Lobbyisten beim Deutschen Bundestag. Baake ist auch verantwortlich für Presse und Öffentlichkeit der Evangelisationsveranstaltung ProChrist, in dessen Kuratorium sich der amtierende Bundespräsident Christian Wulff engagierte.

Der evangelikale „Kongress christlicher Führungskräfte“ ist eine alle zwei Jahre stattfindende Großveranstaltung, samt Preisverleihung an eine „christliche Führungskraft“, die als besonders engagierter Christ etwas „Außergewöhnliches geleistet“ hat und ehrenamtlich missionarisch und/oder diakonisch tätig war. Jedes Mal kommen Ministerpräsidenten und auch der Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert als Gastredner und spenden der rechtsextrem-christlichen Veranstaltung ihren Segen. Hier wirkt bibeltreuer Kadavergehorsam bis ins die Spitze der Politik.

Kronauer wusste auch zu berichten dass z.B. der Chef von Deichmann-Schuhe ein Evangelikaler ist. Wer aufmerksam ist, wird die Spendendosen in den Geschäften entdecken.

Nach dem sehr aufschlussreichen Überblick kam es noch zu einer langen und angeregten Diskussion der anwesenden linken Säkularen und Christen.

Der ebenfalls anwesende evangelische Pfarrer der Castrop-Rauxeler Gemeinde war spürbar angegriffen, nannte die Evangelikalen „total wichtige Menschen“ für die Kirche und wünschte sich eine Neuauflage des Pietismus, weil dieser doch eine „progressive“ Bewegung gewesen sei.

Der Rest der Anwesenden sah da doch eher in den Vertretern von „Religionsfrei im Revier“ (RiR) das progressive Element und begegneten dieser neuen Organisation der Säkularen mit vielen Fragen, die noch bis Mitternacht erörtert wurden.

Ricarda Hinz

Buchempfehlungen:

„Der heilige Schein“ von David Berger, 2010

„Mission Gottesreich“ von Oda Lambrecht und Christian Baars, 2009

"Schleichende Übernahme“ von Peter Hertl, 2007