Die Geschichte der Missionierung indigener Völker ist eine Chronik von Leid, Tod und kultureller Auslöschung. Seit Jahrhunderten dringen christliche Missionare in noch unberührte Regionen der Erde vor, um ihre Botschaft zu verbreiten – und gefährden damit Leben und Traditionen der dort lebenden Gemeinschaften. Heute, im 21. Jahrhundert, setzen sie diese Praxis fort – oft im Verborgenen, unter Missachtung staatlicher Schutzgesetze und getrieben von einem Sendungsbewusstsein, das sich kaum von kolonialem Eroberungsdrang unterscheidet.
Indigene Stämme, die nie Kontakt zur Außenwelt hatten, sind besonders anfällig für eingeschleppte Krankheiten. Deshalb ist es von extremer Bedeutung, dass sie nicht mit Erregern in Berührung kommen. Immer wieder führten jedoch Missionierungsbestrebungen dazu, dass ganze Familien und Stämme an Infektionen starben, gegen die sie keine Abwehrkräfte besaßen. Deshalb verbietet beispielsweise die brasilianische Regierung den Kontakt zu isolierten Völkern streng. Trotzdem versuchen Missionare weiterhin, diese Gemeinschaften mit dem Christentum zu konfrontieren – eine Form kultureller Übergriffigkeit, die nicht nur das soziale Gefüge zerstört, sondern auch ihre physische Existenz gefährdet.
Der Guardian berichtete jüngst von Aktionen im Javari-Tal im Nordwesten Brasiliens. Missionare überfliegen die Region mit Wasserflugzeugen, um Langhäuser und Siedlungen der Einheimischen zu lokalisieren und die entlegenen Regionen zu kartieren – eine Vorbereitung ihrer Mission. Laut Angaben der Bundesstaatsanwaltschaft sind derzeit 13 der offiziell anerkannten 29 isolierten Völker – darunter Korubo, Matís, Marubo, Kanamari und Kulin – durch Missionierungsversuche bedroht.
"Gottes Wort" auf Endlosschleife
Zusammen mit der Zeitung O Globo deckte der Guardian auf, dass solarbetriebene Audiogeräte bei Angehörigen des Korubo-Volkes auftauchten. Diese spielen in Endlosschleife biblische Botschaften auf Portugiesisch oder Spanisch ab, wie: "Ich bin sicher, dass Gott ein Gott der Liebe ist; wenn er also ein Gott der Liebe ist, wird er mich in den Himmel bringen, wenn ich sterbe, also mache ich mir keine Sorgen. Ich möchte Sie an etwas erinnern, denn Sie haben einen der wichtigsten Aspekte des Lebens vergessen – den Tod – und die Tatsache, in den Augen Gottes annehmbar zu sein."
Was als Nächstenliebe getarnt wird, ist in Wahrheit eine Fortsetzung kolonialer und imperialistischer Unterwerfung mit religiösen Mitteln. Der unausgesprochene Glaube dahinter: Ohne Bibel ist ein Leben im Regenwald nicht nur unvollständig, sondern wertlos.
Spiritueller Imperialismus und "braunes Gold"
Zwar sind es hauptsächlich Evangelikale, die meinen, sie müssten die Menschen in den entlegensten Winkeln der Welt mit Gottes Wort beglücken, aber auch die katholische Kirche betreibt weiterhin eifrig Missionsarbeit im Globalen Süden. Papst Leo XIV. wird gerne als "Mann des Volkes" gefeiert, weil er zwanzig Jahre als Missionar in Peru tätig war. Kritik an diesem Wirken bleibt weitgehend aus – im Gegenteil, erst kürzlich ermahnte der Papst in Rom junge Menschen: "Seid Missionare, wo immer ihr hingeht, seid Zeichen der Gegenwart des Herrn, wie es unsere geliebten peruanischen Heiligen waren."
Zahlreiche Organisationen konkurrieren darum, selbst die entlegensten Volksgruppen mit dem Evangelium zu erreichen, so etwa Youth With A Mission. Eine andere Organisation, die im Amazonasgebiet aktiv ist, heißt Ethnos 360 und verfügt weltweit über ein Jahresbudget von 70 Millionen Euro. Auf der deutschen Homepage werden die eigenen Ziele klar definiert: "Weltweit gibt es 10.206 Volksgruppen. Davon haben 4.379 keinen Zugang zu Gottes Wort, der Bibel. Zusammen mit der Gemeinde möchten wir Mitarbeiter zu den Volksgruppen senden, die das Evangelium bisher noch nicht hören konnten, damit zur Ehre Gottes eine reifende Gemeinde für jede Volksgruppe entstehen kann."
Erschreckend ist, dass diese Missionsarbeit auch mit Spenden deutscher Christen und Gemeinden finanziert wird. Ethnos 360 hat seinen Sitz in Hückeswagen und ist als gemeinnützige Organisation in Deutschland berechtigt, Spendenquittungen auszustellen. Da der Bundestag am 15. April 2021 eine Konvention zu Rechten indigener Völker verabschiedet hat, wäre es zwingend notwendig, Ethnos 360 die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.
Historisch bezeichnete die 1942 ursprünglich unter dem Namen New Tribes Mission gegründete Organisation die unberührten indigenen Völker sogar als "braunes Gold" – ein Begriff, der auch lange Zeit den Titel des eigenen Newsletters zierte, und entlarvt damit, wie sehr Missionsarbeit noch immer von der Logik kolonialer Ausbeutung geprägt ist. Statt Respekt und Schutz bedeutet Missionierung die Auslöschung jahrtausendealten Wissens und die Zerstörung von Kultur – ein spiritueller Imperialismus, der bis heute gnadenlos fortgesetzt wird.







13 Kommentare
Kommentare
Angela H am Permanenter Link
Interessant wäre hier, ob auch die Spendengelder der "Sternsinger" ebenfalls letztendlich für derartigen christliche Imperialismus verwendet werden; immerhin handelt es sich hierbei um eine "Kindermissi
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Widerlicher geht es kaum, aus reiner Geld und Machtgier diese glücklichen Menschen mit
der Göttlichen Mission zu verdummen und daraus Vorteile zu generieren.
der Indigenen und das vermutliches Ende ihrer Existenz in Freiheit.
Kirche wie man sie kennt und fürchtet!
Achim A. am Permanenter Link
Nicht zu vergessen die Queerfeindlichkeit ("Konversionstherapie"), pauschale Verdammung von Sterbehilfe und viele andere krude Ansichten wie auch zur Willensfreiheit und Weltentstehung, die mit der Missionie
"Was als Nächstenliebe getarnt wird..."
Ich würde sagen, es ist einfach eine andere Definition von "Liebe" als im allgemeinen Sprachgebrauch. Das muss man als Rezipient solcher Botschaften wissen.
"Der unausgesprochene Glaube dahinter: Ohne Bibel ist ein Leben im Regenwald nicht nur unvollständig, sondern wertlos."
Oder im Zweifel der Glaube an ewige Folter in der Hölle, wovor man möglichst viele Menschen und auch bereits Kinder warnen will.
Und immer schön 10% des Einkommens (gerne auch mehr) an die Gemeinde zahlen. Dann freut sich der Herr.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Das wichtigste für diese kriminellen, missionierenden Religioten scheint zu sein, Indigene zu taufen, damit sie in den "Himmel" kommen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@ Klaus Weidenbach: Sehr gut erkannt, das ist Kirche wie man Sie seit ca.2000 Jahren kennt, leider hat sich da bis heute nichts zum besseren gewandelt und wird es auch nie tun.
René Böll am Permanenter Link
Bereits 1980 veröffentlichten wir im Lamuv Verlag
Ist Gott Amerikaner?
von Søren Hvalkof, Peter Aaby, übersetzt von Annemarie Böll
Klaus Bernd am Permanenter Link
Ich möchte noch ergänzen, was der verstorbene Papst und Großtheologe J.A. Ratzinger, alias Benedikt XVI, zum Thema Missionierung beizutragen hat.
Zwar stimmt er zu,
»dass (24,29f). Diese direkte chronologische Verkettung zwischen dem Ende Jerusalems und dem Ende der Welt als Ganzer scheint sich zusätzlich zu bestätigen, wenn man wenige Verse später die Worte findet: „Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft …“ (24,34).«
Um dann eine abenteuerliche „Richtigstellung“ zu verkünden
»Zwischen die Zerstörung Jerusalems und das Ende der Welt schieben sich „die Zeiten der Heiden“ ein.«
und
»Inhaltlich wird sichtbar, dass alle drei Synoptiker von einer Zeit der Heiden wissen: Das Ende der Zeiten kann erst kommen, wenn das Evangelium zu allen Völkern getragen ist.«
((2011-08-09T23:58:59.000). Jesus von Nazareth (German Edition) . Verlag Herder. Kindle-Version.)
Nach katholischer Lehre - man kann wohl annehmen, dass diese Erklärung des Jahrhundert-Theologen von der katholischen Kirche insgesamt geteilt wird – ist es also unumgänglich, dass allen indigenen Stämmen das Evangelium verkündet werden muss, bevor die Wiederkunft Christi in aller Pracht und Herrlichkeit vonstatten gehen kann.
Christian Walther am Permanenter Link
Dieser Beitrag ist ebenso verdienstvoll wie niederschmetternd.
Man sollte allerdings auch mal wieder auf die Geschichte der christlichen Mission in Europa blicken - ein Kapitel unserer Geschichte, mit dem man heute allerdings wohl kaum jemand hinter dem Ofen hervorlocken kann. Hier sei daher ein pikantes Detail aus dem Umgang mit den Samen (den „Lappen“) zitiert: Das rituelle Trommeln wurde ihnen im Zuge der Missionierung bei Androhung der Todesstrafe in den skandinavischen Ländern verboten (laut „Religionen der Welt“ von M. und U. Tworuschka, Bertelsmann, 1992, S. 437).
Warum gab es so wenig Abwehr indigener Völker gegen das so absurde christliche Narrativ, das mit "Gottes Menschwerdung“ in einem winzigen Zipfel der Welt beginnt? Ich vermute, dies lag nicht nur an der Impertinenz der Missionare, sondern an dem Erfahren der technologisch-wirtschaftlichen Überlegenheit jener, die mit den Missionaren kamen: Wer so stark (z.B. Feuerwaffen!) und mit soviel ungeahntem know how für eine potenziell bequemere Lebensweise ausgestattet ist, musste offenbar recht haben.
Übrigens darf man sich wohl die Urchristen ähnlich vorstellen wie die Evangelikalen: Getrieben von ihrer Vision und gnadenlos im Umgang mit den Vorstellungen anderer.
Christian Walther, Marburg
Paul München am Permanenter Link
Diese Missionare müssten nur mal kurz nachdenken: der christliche Gott hat angeblich damals verkündet, ihm sei wichtig, dass man keine anderen Götter neben ihm haben solle.
Wozu also Missionare? Deren Tätigkeit ist doch der eindeutige Beweis, dass Gott nicht allmächtig ist. Die sich rational denkenden Menschen aufdrängende weitergehende Vermutung ist, dass Gott überhaupt nicht existiert!
Eckhardt Fritsche am Permanenter Link
Dieser Argumentation stimme ich voll und ganz zu. Ich habe auch noch nie in einer Diskussion über Kindesmissbrauch gehört, "Gott" die Schuld zu geben. Er könnte es doch verhindern.
Petra Pausch am Permanenter Link
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass "Herr, lass Hirn regnen" auch davon ausgeht, dass es einen "Gott" oder etwas in dieser Art, gibt.
Kleiner Tipp: Das Buch "Die Kirche im Kopf" von Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon. https://www.schmidt-salomon.de/herrje.htm Hier wird aufgezeigt, wie häufig wir religiös konnontierte Sprache nutzen ohne es zu bemerken. Ist amüsant zu lesen.
Eckhardt Fritsche am Permanenter Link
Da ich meinen letzten Satz in " " gesetzt habe, konnte er ja wohl nur ironisch gemeint sein. Kommt eben nicht bei jeder/m an.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Könnte man die Missionare irgendwie auf die North Sentinel Island, Indien, locken? Dort werden sie von den Einheimischen sehr entgegenkommend behandelt. Um nicht zu sagen, mit offenen Armen empfangen.