SCHÖNHOLZ. (hpd) Zu den Klängen des Puhdys-Songs "Alt wie ein Baum" wurde am vergangenen Freitag auf dem Dorffriedhof von Schönholz, einem Ortsteil von Melchow, nördlich von Berlin, der Sarg mit dem Leichnam Werner Schuffenhauers, ins Grab gesenkt.
Prof. Dr. Werner Schuffenhauer (geboren am 6.5.1930, gestorben am 23.2.2012), der maßgebliche Feuerbach-Forscher und Herausgeber unserer Zeit, war nach langer Krankheit verstorben.
Auf der weltlich-humanistischen Trauerfeier, geleitet von der Eberswalder Trauerbegleiterin Mirjam Heims, würdigte der Philosoph Joachim Kahl Leben und Werk Schuffenhauers. Der hpd dokumentiert seine Ansprache.
Ansprache am Grabe Werner Schuffenhauers in Eberswalde
Liebe Frau Schuffenhauer, liebe Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder des Verstorbenen, liebe weitere Angehörige, geehrte Trauerversammlung,
ich überbringe die herzlichen Kondolenzgrüße der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft und der Gesellschaft für kritische Philosophie, beide mit Sitz in Nürnberg. Der Verstorbene war ihr langjähriges Mitglied, bei der Feuerbach-Gesellschaft sogar deren Ehrenvorsitzender. Die Zeitschrift „Aufklärung und Kritik“ der Gesellschaft für kritische Philosophie hat er mit herausgegeben und durch eigene Beiträge bereichert.
Sie dürfen sich freuen, ja Sie dürfen stolz sein, liebe Großfamilie Schuffenhauer, dass sie als Ehefrau, als Kinder und Schwiegerkinder, als Enkel dem Verstorbenen – in je unterschiedlicher Weise – so nahe standen. Denn Werner Schuffenhauer war ein bedeutender Gelehrter, der Bleibendes geschaffen hat. Solange es Menschen gibt, die über Gott und die Welt nachdenken, die dem Sinn des Lebens nachspüren und über unsere Stellung im Kosmos reflektieren und dabei auch auf anspruchsvolle gedruckte Texte zurück greifen, solange besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie dabei irgendwann auch einmal auf Werner Schuffenhauer stoßen. Denn er hat den längsten Teil seines bewussten und aktiven Lebens einem noch größeren Denker gewidmet, Ludwig Feuerbach, der zum Kanon der Weltphilosophie gehört. Und wer auf Ludwig Feuerbach stößt, den Humanisten, Atheisten, Materialisten, der stößt irgendwann auf seinen heute maßgeblichen wissenschaftlichen Herausgeber, Werner Schuffenhauer.
Bereits 1967 erschien der von ihm betreute erste Band von „Ludwig Feuerbach Gesammelte Werke“ im Akademie Verlag der DDR. Seine Editionsprinzipien waren wissenschaftlich so unanfechtbar, dass – nach dem Untergang der DDR – die Ausgabe von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften fortgesetzt wurden. Der nun eingetretene Tod Schuffenhauers und die vorausgegangenen schweren Krankheiten hinterlassen freilich die auf zweiundzwanzig Bände angelegte Ausgabe unvollendet. Es fehlen noch drei Bände, darunter ein Briefband, deren Schicksal nun völlig offen ist.
Es war der Glücksumstand seines Lebens, dass Schuffenhauer 1956 bei der Suche nach dem Nachlass des fränkischen Denkers in der Universitätsbibliothek München auf einen prall gefüllten schweinsledernen Koffer mit Manuskripten stieß, den Feuerbachs hoch betagte Tochter Leonore dort 1919 (!) abgegeben hatte. Dank dieses Fundes konnte der junge Wissenschaftler völlig neue Texte in die internationale Feuerbach-Diskussion einspeisen. Dies alles im Klima des kältesten kalten Krieges und bei heute kaum mehr vorstellbaren Reiseschwierigkeiten und bürokratischen Hemmnissen von beiden Seiten des eisernen Vorhanges.
Im selben Jahr wurde er an der Humboldt-Universität zum Doktor der Philosophie promoviert – natürlich mit einer Arbeit über Feuerbach. Weiterhin gab er – ebenfalls 1956 – Feuerbachs bekannteste Schrift „Das Wesen des Christentums“ heraus, versehen mit einer Einleitung. Damit waren die beiden Hauptelemente beisammen, die sein ganzes weiteres Schaffen prägen sollten: Edition und Interpretation Feuerbachs. 1966 habilitierte er sich ebenfalls in Berlin mit der Arbeit „Karl Marx und Ludwig Feuerbach, 1842-1845. Studie zur Entstehungsgeschichte der marxistischen Philosophie“, ein Werk, das unter dem Titel „Feuerbach und junge Marx. Zur Entstehungsgeschichte der marxistischen Weltanschauung“ in Buchform zwei Auflagen erlebte.
Wie nicht anders unter den gegebenen Verhältnissen in der DDR denkbar, waren diese frühen Arbeiten nach Stil und Inhalt geprägt von der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Feuerbach wurde weniger als eigenständiger Denker gewürdigt, sondern vor allem als Bindeglied zwischen Hegel und Marx verstanden, zugleich aber auch als bürgerlich beschränkte Gestalt eingestuft, die den entscheidenden Schritt zur revolutionären Klassenposition des kämpferischen Proletariats nicht vollzogen habe. Nach der „Wende“, also ab 1990, hat Schuffenhauer diese Interpretationsmuster nicht fortgesetzt, sondern stillschweigend korrigiert. Die Umorientierung kommt vor allem im völlig neu konzipierten Vorwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes der Gesammelten Werke im Jahre 2000 zum Ausdruck.
Ich hatte das Vergnügen, ihn in der Mitte der Neunzigerjahre bei Konferenzen in Nürnberg, Bruckberg und Ansbach, den wesentlichen fränkischen Orten von Feuerbachs Leben und Wirken, kennen zu lernen. Er wirkte auf mich als ein streng philologisch ausgerichteter Gelehrter im altväterlichen Habitus des 19. Jahrhunderts, etwas betulich, aber von liebenswürdiger Bescheidenheit. Gerne stellte er sich als Philosophiehistoriker vor. Von einer marxistisch-leninistischen Ausrichtung war nichts mehr zu spüren. Der früher allgegenwärtige Bezugsrahmen war weggefallen zugunsten einer konkret historischen Verankerung des Denkers in seiner Zeit. Sein Privatleben wurde ausgeleuchtet, seine eigenständige philosophische und politische Position wurde herausgearbeitet. Anknüpfungspunkte zur Erörterung geistiger Probleme unserer Gegenwart wurden aufgezeigt.
Lieber Werner Schuffenhauer, wir stehen hier an Ihrem Grab mit Dank und Respekt vor Ihrer Lebensleistung. Was liegt näher, als mit einem Zitat dessen zu schließen, dem Sie Ihre geistige und organisatorische Tätigkeit so erfolgreich gewidmet haben? Auf dem Nürnberger Feuerbach-Denkmal – ganz in der Nähe seines letzten Wohnsitzes – wo wir wiederholt gemeinsam innehielten, steht in Stein gemeißelt die Summe seiner Philosophie. Auf der einen Seite steht: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Auf der anderen Seite steht: “Tue das Gute um des Menschen willen.“ So ist es und so soll es sein.
Joachim Kahl