(hpd) Der Sammelband enthält 25 Texte mit unterschiedlichen Inhalten zum Thema. Einerseits verdienen die meist gut recherchierten Beiträge zur Entwicklung der ostdeutschen Neonazi-Szene Interesse, während die Betrachtungen zur Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht genug zwischen angeblichen und tatsächlichen Fehlern unterschieden.
Im November 2011 wurde bekannt, dass eine kleine Gruppe von Neonazis mindestens neun Serien-Morde an Menschen mit Migrationshintergrund begangen und die Sicherheitsbehörden diesen besonderen politischen Hintergrund nicht erkannt hatten. Die Autoren des Sammelbandes „Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal“ wollen dazu Beiträge zur Diskussion mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten liefern.
Herausgeber ist Bodo Ramelow, der Vorsitzende der Fraktion „Die Linke“ im Landtag von Thüringen. Die meisten Autoren kommen auch aus der Partei und deren Umfeld. Es gibt unter ihnen aber auch unabhängige Journalisten und Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen. Zum Anliegen des Buches bemerkt Ramelow: „Wir wollen damit auf das Entstehen des braunen Terrors ... sowie auf das jahrelange Wegschauen von Verantwortlichen in Politik und Sicherheitsbehörden und auf den Rassismus aufmerksam machen ... Wir wollen das dubiose Handeln der Geheimdienste ins Licht der Öffentlichkeit zerren ...“ (S. 12).
Entsprechend lassen sich die 25 Beiträge des Bandes in unterschiedliche Schwerpunkte aufteilen: Zunächst findet man Artikel von Nicht-Regierungsorganisationen wie etwa von Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, zur Diskriminierung der von ihm vertretenen Minderheitenangehörigen. Dem folgen mehrere Beiträge, die sich mit der Entwicklung der Neonazi-Szene in Thüringen allgemein wie bezogen auf das besondere Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ beschäftigen. Hierzu gehört etwa der Beitrag der Journalistin Andrea Röpke zu dessen ideologischen Vorbildern in Europa. Dem folgen Texte zu angeblichen und tatsächlichen Fehlern des Verfassungsschutzes, wofür etwa auch ein kurzer Beitrag des Journalisten Philipp Vergin zu den „braunen Wurzeln“ des Verfassungsschutzes zählt. Schließlich steht die parlamentarische Aufklärung der NSU-Serienmorde wie in dem Beitrag der „Linken“-Politikerin Kerstin Ködiz zum sächsischen Untersuchungsausschuss im Zentrum des Interesses.
Das Urteil zu dem Sammelband fällt ambivalent aus: Einerseits findet man darin beachtenswerte Abhandlungen zur Entwicklung und Gegenwart der ostdeutschen Neonazi-Szene, wozu etwa die Rekonstruktion der Ereignisse um den NSU von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Thüringer „Linken“-Fraktion Paul Wellsow gehört. Er macht dabei deutlich: „Das Agieren des NSU entsprach genau jenen Planungen und Debatten aus der militanten Neonaziszene, die vom ‚Rassenkrieg’ träumten“ (S. 42). Die bereits erwähnte Fachjournalistin Andrea Röpke geht der Prägung der drei Neonazis durch ideologische und strategische Schriften aus dem Umfeld europäischer Gruppen wie etwa „Blood and Honour“ nach. Sie macht auch an Originalmaterial, was allerdings nicht gesondert nachgewiesen wird, deutlich, dass die Täter offenbar sehr wohl eine Mobilisierung der Szene bezweckten. Warum sie das aber unterließen, gehört zu den vielen bislang noch nicht beantworteten Fragen zum Thema der NSU-Serienmorde.
Demgegenüber fallen die Beiträge zu den angeblichen und tatsächlichen Fehlern der Verfassungsschutzbehörden im Niveau ab. Keiner der Autoren verfügt offenkundig über nähere Sachkenntnisse zu deren Arbeitsweise. Dass es Fehler und Skandale gab, ist unbestritten. Die Folgen der bedenklichen Personalauswahl für die Spitze gingen bereits vor Jahren durch die Medien. Doch worin genau die Fehler der Behörden bestehen, wird nicht differenziert herausgearbeitet. Dafür neigen manche Autoren zu verschwörungsideologischen Andeutungen. Ramelow selbst stellte aber im Vorwort klar, dass es für eine Unterstützung der Sicherheitsbehörden für die Täter „bisher keine Beweise“ (S. 10) gibt. Dies hindert in diesem wie in anderen Kontexten aber manche Autoren nicht am wilden Spekulieren. Hier findet man denn auch viele fachliche Fehler im Großen wie im Kleinen: Der Wahlforscher in Mainz heißt Jürgen und nicht „Michael Falter“ und der Doktorvater von Kristina Schröder war auch nicht der Vordenker der „Neuen Rechten“ Hans-Helmuth Knütter (S. 140).
Armin Pfahl-Traughber
Bodo Ramelow (Hrsg.), Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal, Hamburg 2012 (VSA-Verlag), 222 S., 12, 80