Die kompromisslose Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die katholische Kirche ist seit Jahrzehnten ein gesellschaftspolitisches Konfliktfeld. Nun hat dieser Streit in Flensburg eine neue Eskalationsstufe erreicht: Nach einer Kundgebung kam es zu einer spontanen Besetzung der St.-Marien-Kirche.
Am 15. November fand auf dem Nordermarkt in Flensburg eine Kundgebung statt, die sich gegen die geplante Fusion zweier Flensburger Krankenhäuser, gegen die Einschränkung von Schwangerschaftsabbrüchen und gegen geschlechtsspezifische Gewalt richtete. Umrahmt wurde die Veranstaltung von Transparenten wie "Raise your voice – my body, my choice".
Krankenhausfusion mit politischen Folgen
Auslöser des Protests ist die geplante Zusammenlegung der Krankenhäuser der evangelischen Diakonissenanstalt (DIAKO) und der katholischen Malteser zum neuen "Klinikverbund Flensburg" (der hpd berichtete). Unter katholischer Trägerschaft sollen dort künftig keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchgeführt werden – außer, wenn das Leben der Schwangeren in akuter Gefahr ist. Drastisch angelehnt an die Worte von Prof. Joachim Volz gesprochen: Man muss also warten, bis eine Frau in Lebensgefahr schwebt, bevor man ihr helfen darf.
Damit wird nicht nach medizinischer Notwendigkeit entschieden, sondern kirchliche Doktrin über die Versorgungssituation gestellt. Ein privater, staatlich finanzierter Akteur nutzt seine Sonderstellung im Arbeits- und Gesundheitsrecht, um erzkonservative Moralpositionen durchzusetzen. Das ist ein direkter Eingriff in die individuelle Selbstbestimmung – und eine Herausforderung für die freiheitliche Grundordnung.
Die Aktivistinnen und Aktivisten, die anschließend die St.-Marien-Kirche besetzten, richteten ihren Protest nicht gegen Religion als solche, sondern gegen kirchliche Kontrolle über öffentliche Gesundheitsversorgung. Sie forderten die Trennung von Kirche und Staat: "Gesundheit ist ein Grundrecht und jedes moderne Krankenhaus gehört in öffentliche Hand!", "die Landesregierung darf die Trägerschaft des neuen Förde Klinikums am Peelwatt nicht dem Malteser Orden übertragen!", "das Land muss die Finanzierung einfrieren, solange es keine Lösung für die Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche gibt!" und: "gegen den Vertragsbruch der DIAKO muss die Stadt Flensburg rechtliche Schritte einleiten!"
Rund 50 Demonstrierende hängten Transparente wie "Kirche raus aus dem Krankenhaus" und "Weg mit § 218" in der St.-Marien-Kirche auf. Nach drei Stunden verließen die meisten die Kirche freiwillig; die verbliebenen 13 Personen wurden von der Polizei hinausgeführt und müssen nun mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs rechnen.
Das Erzbistums Hamburg reagierte erwartbar empört und kritisierte die Demonstranten: "Als katholische Kirche sind wir immer bereit, über unseren Ansatz zum bestmöglichen Schutz ungeborenen Lebens zu diskutieren. Aber wir lassen nicht zu, dass eine Kirche, ein heiliger Ort für Katholikinnen und Katholiken, missbraucht wird für politische Kundgebungen und Respektlosigkeiten."
Die eigentliche Provokation ist hier aber nicht der Protest in einem Gotteshaus – sondern dass die katholische Kirche über staatlich finanzierte Einrichtungen Einfluss auf Entscheidungen nimmt, die in einer liberalen Demokratie allein den betroffenen Frauen zustehen. Solange kirchliche Träger Krankenhäuser betreiben und dort medizinische Versorgung nicht nach Bedarf, sondern nach religiösen Vorgaben gestalten dürfen, bleibt eine zentrale Frage unbeantwortet: Wer entscheidet in Deutschland über Grundrechte – demokratisch legitimierte Institutionen oder religiöse Organisationen, die nur eine Minderheit vertreten?






