MARBURG. Joachim Kahl zum Elisabeth-Jahr.
Als "christofilen Suizid" bezeichnete Dr.
Dr. Joachim Kahl das Leben der "Heiligen Elisabeth". Unter dem Titel "Zwischen Helfersyndrom und Heils-Egoismus" stellte der Marburger Philosoph am Dienstag (6. März) vor knapp 200 Zuhörern in der Aula der Martin-Luther-Schule seine kritischen Überlegungen zur vielbeschworenen Vorbild-Funktion der Landgräfin Elisabeth von Thüringen vor. Diese Veranstaltung der Volkshochschule Marburg war der einzige kritische Programmpunkt im Reigen der Events zum Elisabeth-Jahr 2007.
Er wolle keine Schmähung der "Heiligen" betreiben, beteuerte Kahl zu Beginn. Als Vorbild könne sie seiner Ansicht nach heute aber nicht mehr dienen. Verstehen müsse man ihre Handlungen vor dem Hintergrund ihrer Zeit. Bewerten könne man sie jedoch allein aus heutiger Sicht, meinte der promovierte Theologe und Philosoph.
Zwei Quellen aus dem Mittelalter dienten ihm als Grundlage seiner Argumentation. Zum Einen zitierte Kahl aus den Briefen des Beichtvaters und päpstlichen Inquisitors Konrad von Marburg an den Papst Clemens IX., zum Anderen aus den Berichten der Mägde Elisabeths über das Wirken ihrer Herrin.
Beide Dokumente dienten seinerzeit als Grundlage der Heilig-Sprechung Elisabeths.
Ihren Lebensweg charakterisierte Kahl als "steile Karriere von ganz oben nach ganz unten". Den Weg von der Königstochter zur Bettlerin habe Elisabeth sich vorgenommen, weil sie der biblischen Aussage vertraute: "Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden. Wer sich aber selbst erniedrigt, der wird erhöht werden!"
An ihre eigene Armut habe die Anhängerin des Franziskus von Assisi die Erwartung geknüpft, dafür im Jenseits belohnt zu werden. Das gleiche Motiv habe sie auch bei der Pflege von Kranken und Aussätzigen geleitet.
Kahl sah darin eine egoistische Ausrichtung auf das eigene Heil und nicht etwa in erster Linie die Liebe zu hilfsbedürftigen Menschen.
Anhand von Textpassagen aus den beiden Quellen belegte der Referent seine Position. Immer wieder zitierte er auch Berichte von Geißelungen und Züchtigungen der "Heiligen". Alle diese Schilderungen seien im Mittelalter verfasst worden, um Elisabeths Heilig-Sprechung zu bewirken. Heute hingegen wirke diese Darstellung abstoßend, meinte Kahl.
Ihren eigenen Körper habe die ehemalige Landgräfin von Thüringen strikt vernachlässigt. Damit habe sie sich selbst die Möglichkeit zur nachhaltigen Hilfe für die Bedürftigen genommen. Zudem habe sie Armut als "Gnade Gottes" gesehen. Ihr Handeln habe also nicht gegen Armut gerichtet. Vielmehr habe sie "Armut für alle" eher gebilligt, als die Hilfe zur Selbsthilfe anzustreben.
Somit könne Elisabeth heute kein Vorbild sein, meinte Kahl. Hilfe für Bedürftige solle nicht um eines Gottes willen erfolgen, sondern um der Menschen willen, forderte er.
Seinen Vortrag wird der Marburger Verein "Philosophia" demnächst auf seiner Homepage veröffentlichen, kündigte Kahl an.
Franz-Josef Hanke