Einkaufsstraßen und die Wirklichkeit

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Collage / Alle Fotos: Christoph Baumgarten

(hpd) Einkaufsstraßen und Shopping Malls. Antithese und Symbiose. Letztere verdrängen die ersten und beide stehen für eine Glitzerwelt, in der Konsum Lebensglück verheißt. hpd-Korrespondent Christoph Baumgarten hat sich die Frage gestellt, was eine Einkaufsstraße über die Wirklichkeit aussagt.

Wo sind wir hier? Nein, nicht in welcher Einkaufsstraße. In welcher Stadt?

Eine dm-Filiale, Werbung für den Eisproduzenten Häagen Dazs. In der Fassade einer Filiale einer Billigbekleidungskette spiegelt sich das Logo von T-Mobile. Die Straßenmusiker spielen um ihr Einkommen. Nicht einmal schlecht. Die Passanten interessiert das wenig. Es könnte eine beliebige Stadt im deutschen Sprachraum sein. Der Blick auf die Schilder der Geschäfte bietet auch nur denen Aufschluss, die genau schauen.

Für regelmäßige hpd-Leserinnen und Leser ist die Sache klar. Es kann nur Wien sein. Wo sonst sollte der Autor Fotos machen?

Ich könnte ja auch reisen.

Hier verraten die Filialen der Wiener Bäckereikette Anker und der Wiener Bekleidungskette Turek, dass das Foto in Österreich gemacht wurde. Sehen wir mal von der Tatsache ab, dass Anker mittlerweile auch internationalen Investoren gehört. Das soll keine Werbung sein. Die globalisierte Wirtschaft macht nicht vor den Einkaufsstraßen Halt, wiewohl die als Hort der Kleingeschäfte angepriesen werden. Handelsketten dominieren das Straßenbild. Ob sie österreichisch sind oder nicht, ist allenfalls für „Nationalbewusste“ wichtig. Ökonomisch ist das egal.

Ein paar alte Geschäfte gibt es noch. Gleich neben einer anderen Handelskette. Ironischerweise sperrt die Filiale der Kette diesen Freitag zu. Meistens ist es umgekehrt. Abgesehen davon: Hier wirkt das Ambiente gediegen. Ware für den Mittelstand. Das kommt gut an in einer Gesellschaft, die Armut gerne ausblendet.

Das Ambiente bleibt eine Frage der Perspektive. Einmal um 180 Grad gedreht und die relative Armut ist wieder da. Handyshops werfen wenig Profit ab. Den ganzen Tag als Geschäftsinhaber hier zu stehen, tun sich um das Geld nur Migrantinnen und Migranten an.

Eine Parfümerie versucht, sich gegen die Konkurrenz der Großketten BIPA und dm zu behaupten. Sicherheitshalber hat man das Sortiment um Modeschmuck erweitert.

Derlei Gedanken machen sich die meisten Menschen hier nicht. Es ist ein sonniger Tag.

Im Trubel gibt es ein paar Orte der Ruhe. Man muss nicht einmal konsumieren, um das Leben zu genießen.

Ein rar werdendes Vergnügen in unserer Gesellschaft, das in sich eine Bruchlinie aufzeigt.

Das Freizeitverhalten der Wienerinnen und Wiener ist ethnisch konnotiert. Österreichischsstämmige Menschen sitzen lieber im Cafe und konsumieren. Migrantinnen und Migranten nützen lieber den öffentlichen Raum, der nichts kostet. Verschiedene Ebenen prallen hier aufeinander: Armuts- und Wohlstandskultur, das biedermeierliche Ideal der Gemütlichkeit, das stets den Rückzug ins traute Heim oder ins Lokal vorsieht, und die selbstverständliche Nutzung des öffentlichem Raums in südlicheren Kulturen. Die eine Ebene ist von der anderen nicht zu trennen.

Das produziert verzerrte Wahrnehmungen in einer mehr als latent xenophoben Gesellschaft. Es erweckt den Eindruck, „die Ausländer“ seien wesentlich zahlreicher als sie sind. Viele „Einheimische“ sehen sich von Parkbänken verdrängt, die sie ohnehin nie benützen würden.

Unvermutet stößt man auf die unschönen Seiten der Wiener Geschichte.

Ein paar Meter weiter ist man zurück in der Wiener Tagespolitik. Die rot-grüne Stadtregierung macht Werbung für das Parkpickerl. Sie will die kostenpflichtigen Parkgenehmigungen für Anrainerinnen und Anrainer in Stadtbezirken einführen, in denen das Parken bisher gratis war.

Manche Szenen muten beinahe anachronistisch an. Straßenhändler gibt es nicht mehr viele in Einkaufsstraßen.

Die Glitzerwelt des Konsum verursacht Dreck. Die Müllabfuhr ist öfter im Einsatz als in Wohngegenden.

Die Kamera hat Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein kleiner Bub posiert vergnügt.

Auch für den Korrespondenten ein Signal, dass das Leben glücklicherweise aus mehr besteht als aus der Analyse des Zustands der Welt und dass er den Rest eines herrlichen Sommertages einfach nur genießen sollte.