Hamed Abdel-Samad hielt ein Plädoyer dafür, auch über die Macht der christlichen Kirchen in der Gesellschaft, der Politik und den Medien zu sprechen. „Wenn wir das nicht schaffen, dann ist die Debatte nutzlos.“ Die gesellschaftliche Lage für die Muslime verglich er mit einem Schiff, dessen Besatzung nach einer Karte aus „dem 7. Jahrhundert“ navigieren wolle. Der Islam, so der Sohn eines Imams, sei somit nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. „Muslime sind Demokraten, nicht weil sie Muslime sind, sondern weil sie vernünftige Menschen sind“, betonte Abdel-Samad.
Tarafa Baghajati warf anschließend Schmidt-Salomon vor, keine Ahnung vom Islam zu haben. Ihm gelang es, das ernsthafte Nachdenken über die tatsächliche Situation in den Ländern mit muslimischen Bevölkerungsmehrheiten durch seine Empörung über eine in Deutschland herrschende „Religionsfeindlichkeit, die längst den Rahmen der Verfassung verlassen hat“ auszusparen.
Er plädierte gegenüber dem deutschen TV-Publikum für ein neues „Wir-Gefühl“, des Miteinanders und nicht des Gegeneinanders. Aufgebracht drückte er seine Hoffnung aus, dass die Debatte über den Islam in Zukunft weniger verspannt und mehr entspannt geführt werden könne.
Hamed Abdel-Samad erinnerte ihn dann an die Tatsache, dass alle Religionen von Männern gemacht wurden, die zu Männern gesprochen haben und wies Baghajati darauf hin, dass dieser nicht die Gelegenheit genutzt habe, um die Probleme in islamischen Religionsgemeinschaften anzusprechen, sondern um eine apologetische Haltung einzunehmen.
Hamed Abdel-Samad: „Ich würde kein Wort schreiben, wenn ich glaubte, dass Muslime nicht sich verändern können. Ich glaube an die Menschen, aber ich glaube nicht an alte Texte, die direkt von Gott zu kommen behaupten und deshalb eine besondere Autorität haben.“
Er schloss mit einem Plädoyer, die Texte zu relativieren, um die Religion politisch zu entmachten. „Solange es als das unverfälschte Wort Gottes gilt, ist das ein Problem“. Daher sei eine apologetische Haltung aufzugeben und von Muslimen selbst Kritik zu üben, anstatt anderen die Kritik an der religiösen Praxis zu überlassen. Schmidt-Salomon sagte schließlich, dass muslimische Gläubige noch hartnäckiger daran arbeiten sollten, dass Sinnvolle von Unsinnigem zu trennen und ihren Glauben tolerant zu leben.
Das kritischere Fernsehpublikum müsste sich jedenfalls in der wenig überraschenden Debatte häufiger gefragt haben, über was dort wirklich diskutiert wurde: Ein bereits durch die Dompteurschule mitteleuropäischer Gesetzgebung und Minderheitenstatus gemäßigter Weichspül-Islam oder ein Islam, wie er bis heute an den Orten seines Ursprungs und größten Verbreitung gelebt wird?
Der Auftakt des neuen 3sat-Formats krankte jedenfalls nicht nur daran, dass Moderator Knoll das Ergebnis bei der abschließenden Meinungsumfrage unter den Studiogästen mit verkehrten Werten verlas und zur Zufriedenheit von Imam Tarafa Baghajati bekannt gab, dass ganze 57 Prozent der Befragten den Islam für vereinbar mit westlichen Werten hielten während 43 Prozent das nicht täten. Aber auch im danach auf der Internetseite veröffentlichten tatsächlichen Ergebnis zeigte sich, dass die Plädoyers jedenfalls die Studiogäste dazu bewegt hatten, den islamischen Glaubenslehren am Ende der Sendung etwas mehr zuzutrauen.
Diese Verwechslung der Umfragewerte war aber nicht der einzige Makel dieses Auftakts der 3sat-Debatte geblieben. Denn spätestens bei einem zweiten Blick fragt sich, welcher Mehrwert in dieser Sendung überhaupt hätte entstehen können. Passt der Islam zu westlichen Werten? Nicht nur die Formulierung solch einer Frage auf Basis der vorgegebenen These bot beste Chancen, die Kontrahenten auf ein sehr fragwürdiges Niveau herab zu geleiten, auf dem sie sich dann mit ihrer Erfahrung fertig zu machen versuchen sollten.
Das gegenseitige Ausspielen funktionierte: So wunderte es wenig, dass vor der deutschen Fernsehnation die Vertreter der Giordano-Bruno-Stiftung zur Projektionsfläche einer in Tarafa Baghjati offensichtlich aufgestauten Abneigung gegen Kritik an seiner Religion werden konnten.
Ein von christlichen Fundamentalisten und Rechtspopulisten jahrelang sorgfältig genährter Islamhass wurde vor der Kamera in den Personen leibhaftig, die im Namen des Humanismus contra einer in unsinniger Weise pointierten These argumentieren sollten, und deren schlichte Antwortmöglichkeiten besonnenere Menschen wohl als Alternativradikalismus einfach schlicht abgelehnt hätten.
Potential zur redlichen und konstruktiven Reflexion hätte diese 3sat-Debatte bieten können: Wenn man nicht nur eine sinnstiftendere Variante der These gewählt hätte, wie etwa die, dass eine orthodoxe Religionspraxis nicht mit den Werten einer offenen Gesellschaft vereinbar ist. Dass der religiöse Missionsanspruch den Frieden stört. Dass Muslime selbst nicht genug für die Aufklärung der eigenen Religionskultur tun.
Und manchmal genügt es schon – wie die ein wenig mit wirklicher Debattenkultur vertrauten Menschen wissen – wenn man die Redner in so einer Sache einfach mal die Plätze tauschen lässt, um einer eingefahrenen Diskussion neuen Schwung zu geben. Also, liebes 3sat-Team: Hier fehlte das alles und so blieb es über weite Strecken beim altbekannten Phrasendreschen. Neu war nur, dass nicht katholische Bischöfe oder CSU-Politiker, sondern prominente Humanisten die Protagonisten der Argumentation gegen die Vereinbarkeit des Islam mit „westlichen Werten“ waren. Ob das ein Gewinn ist, muss sich noch zeigen.
Arik Platzek