(hpd) Der Politikwissenschaftler Sven Jochem legt eine einführende Gesamtdarstellung zu den politischen Systemen Skandinaviens vor. Dabei arbeitet er anschaulich die Erfolgsbedingungen für die dortigen Entwicklungen hin zu Demokratie und Sozialstaatlichkeit heraus.
Betrachtet man das Ranking in internationalen Vergleichen zum Ausmaß der Demokratie in verschiedenen Ländern, so fällt in allen unterschiedlichen Studien die hohe Platzierung der skandinavischen Länder meist auf den ersten Plätzen auf. Wirft man den Blick auf das Ranking in internationalen Vergleichen zum Ausmaß von sozialer Gerechtigkeit, erhält man ähnliche Ergebnisse. Und schließlich gilt dies auch für das Ranking bezogen auf die Gleichstellung von Frauen oder die Herstellung von Vollbeschäftigung. Daher stellt sich die Frage, welche Gründe es für diese Entwicklung gibt, und was andere Länder davon für die eigene Politik lernen können?
Antworten finden sich in einer neuen Einführung, die der Konstanzer Politikwissenschaftler Sven Jochem mit dem schlichten Titel „Die politischen Systeme Skandinaviens“ vorgelegt hat. Er will darin „systematisch die Vorzüge aber auch die Schattenseiten der nordischen Politik analysieren“ und „über die grundlegenden Züge der skandinavischen Demokratien einschließlich ihrer historischen Genese“ (S. 13). informieren.
Zunächst geht Jochem auf die historische Entwicklung der Länder von der ersten Besiedlung über die Wikinger und die Hanse bis zu den Wohlfahrtsstaaten ein. Hierbei schreibt er der Reformation große Bedeutung zu, sei doch die nordische Kultur „geprägt vom lutherischen Glauben und von den Werten der Solidarität, der Gleichheit aber auch des Individualismus, die aus der agrarisch geprägten Geschichte entstanden sind“ (S. 35).
Dem folgend konzentriert sich der Autor ausführlich auf die nordischen Demokratien, die in parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme unterschieden werden. Auch die Parteiensysteme erhalten große Aufmerksamkeit, spielten doch in ihnen jahrzehntelang die sozialdemokratischen Parteien eine herausragende Rolle. In letzter Zeit habe es hier aber Diversifizierungen und Machtverschiebungen gegeben. Die nordischen Demokraten gelten dem Autor als „organisierte Demokratien“, seien doch politische Entscheidungen in intensive Verhandlungen mit gut organisierten Interessenverbänden eingebunden.
Bezogen auf die ökonomische Entwicklung, die einerseits von einer Marktwirtschaft, andererseits aber vom Staat geprägt ist, heißt es: „Die nordischen Länder vereinen ökonomische Merkmale, die im ‚Mainstream’ der Wirtschaftswissenschaften gemeinhin als kaum vereinbar angesehen werden. Der Norden ist eine Region, in welcher dynamische, innovative Volkswirtschaften einen beachtlichen Wohlstand erwirtschaften. Gleichzeitig sind dort die Volkswirtschaften in überdurchschnittlichem Ausmaße ‚gemischt’, d.h. die Rolle des Staates im Wirtschaftsleben ist in vergleichender Perspektive sehr stark ausgeprägt“ (S. 144).
Danach geht es noch um die Außenpolitik mit ihrer stark moralischen Aufladung, die Bildungspolitik mit dem Modell des lebenslangen Lernens und die Sozialpolitik mit der Herausbildung des Wohlfahrtsstaates.
Bei all dem nimmt der Autor immer wieder eine vergleichende Perspektive ein, einerseits bezogen auf die skandinavischen Länder selbst, andererseits hinsichtlich der anderen europäischen Staaten.
Gerade dadurch gelingt es Jochem ausgezeichnet, die Besonderheiten der politischen Systeme in Skandinavien herauszuarbeiten. Angesichts der dortigen politischen und sozialen Errungenschaften lässt sich in der Tat viel vom Norden lernen, „die Bereitschaft, Wandel zu akzeptieren, ihn nicht zu blockieren, sondern ihn vielmehr durch eine aktive Politik und einen aktiven Staat zu flankieren. Im Norden werden die Qualifikationen jedes einzelnen Bürgers als wahre Quelle des gesellschaftlichen Reichtums geschätzt – und entsprechend gehandelt“ (S. 231).
Der Autor verschweigt aber nicht die Schattenseiten, die auch im Abrücken von den erwähnten Errungenschaften und Prinzipien zum Ausdruck kommen. Außerdem macht er deutlich, dass „der hohe Anteil des nordischen Sozialkapitals ... nicht vor zunehmendem Rechtspopulismus“ (S. 105) geschützt habe. Kritikwürdig ist sicherlich die Auffassung über den hohen und zentralen Einfluss des Protestantismus. In der Gesamtschau handelt es sich aber um eine mehr als nur gelungene Einführung zum Thema.
Armin Pfahl-Traughber
Sven Jochem, Die politischen Systeme Skandinaviens, Wiesbaden 2012 (Springer VS), 248 S., EUR 29,95.