Hier wird das Portal einer öffentlichen, staatlichen Einrichtung benutzt, um Luthers Reformation zu ehren, in einem Bundesland, in dem nur etwa 20 % (Ende 2011) der Bevölkerung evangelische Christen sind. Und wenn man sich die Online-Plattform ansieht, ist ersichtlich, dass der Träger das Theologisch-Pädagogische Institut (TPI) in Moritzburg ist. Das Konzept für die Website wurde in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Bildungsinstitut (SBI) erarbeitet. Hier wird nun die enge Verflechtung zwischen Staat und Kirche besonders deutlich. Jungen Leuten werden hier durch ein modernes Medium, mit dem sie gern umgehen, was ihnen Spaß macht, eindeutig religiöse Themen nahegebracht. Ein Schelm, wer dabei an Missionierung denkt.
Kenntnisse der Geschichte verarbeiten und Sichtweisen dazu vermitteln gehört zu den Aufgaben einer Lehranstalt, wobei hier noch nicht mal klar ist, ob es eine kritische Aufarbeitung der Persönlichkeit Luthers geben wird oder nur eine Glorifizierung. Sich aber für Werbezwecke vor den Karren einer Religion spannen zu lassen, gehört nicht zur Funktion einer solchen Schule. Dies hat nichts mit Religionsfreiheit zu tun. Luthers Reformation als christliche Erneuerungsbewegung im 16. Jhd., die in ihrer zentralen Auffassung von einer Erlösung durch den Glauben ausgeht und nicht die Taten der Menschen in den Mittelpunkt stellt, kann mit moderner (Aus-)Bildung nichts zu tun haben.
Der Direktor des St. Augustin-Gymnasiums ist stolz, „dass das Gymnasium seine Bedeutung und seine beachtlichen Möglichkeiten nachweisen kann”. Doch wofür? „Dass sich die Veranstaltung gleichzeitig als Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer Sachsens, aber natürlich auch für kirchliche Mitarbeiter versteht, macht uns stolz. Selbstverständlich sind Schüler unserer Schule aktiv beteiligt. Die Klassen 8/1 und 8/3 werden in Workshops die Leistungsfähigkeit der Schüler in den Fächern Geschichte, Musik und selbstredend auch im Fach Evangelische Religion unter Beweis stellen.“ Recht eigenartig verstandener Lehrauftrag an einem staatlichen Gymnasium!
Klar, dass sich der Landesbischof Jochen Bohl freute, eine solche Bühne gefunden zu haben, auf der besonders junge Leute, die ja der evangelischen Kirche nahezu abhanden gekommen sind, tummeln (jährlich lassen sich nur etwa 0,5 % der Gemeindeglieder konfirmieren). Profilierte Bildungsangebote in den Regionen, Schulen, Gruppen und Kirchgemeinden thematisierten die Auswirkungen der Reformation auf das Leben in Gesellschaft und Kirche, in Geschichte und Gegenwart und hätten auf dem Online-Portal endlich einen Platz, um gesehen zu werden, so Bohl. Kostenlose Werbefläche für die Kirche?
Bohl ist weiterhin der Auffassung, dass „Martin Luther und mit ihm der ‚Lehrer Deutschlands’ Philipp Melanchthon und viele andere im Jahrhundert der Reformation Impulse für die Kirche und den Glauben, aber auch für Gesellschaft und Bildung gesetzt [haben], deren Ergebnisse heute, nach 500 Jahren, kraftvoll inspirierende Wirkungen entfalten“. Hier kommt wieder mal der oft beschworene Mythos von Kirche als Förderer von Bildung und Kultur zum Tragen.
Die Anwesenheit der Staatsministerin für Kultus, Frau Kurth, sowie des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, Herrn Bohl, lässt deutlich werden, dass sich hier die Staatsregierung und das Kultusministerium vor den Religionskarren hat spannen lassen. So sagte Frau Kurth: „Ich bin mir sicher, die Schüler und Lehrer werden die Onlineplattform mit Leben füllen und sie kreativ nutzen. Die Jugendlichen werden zum eigenen recherchieren über Unterricht und Lehrbuch hinaus und zur Zusammenarbeit mit Museen, Kirchgemeinden und Bibliotheken angeregt. Dies können ganz spannende Entdeckertouren werden, bei denen sich – wie einst bei Martin Luther – Weggefährten finden und vernetzen können.“ Auf diese Weise leiste das interaktive Portal einen wichtigen Beitrag zur Medienbildung, will die Ministerin deutlich machen.
Im Anschluss an die offizielle Eröffnung der Plattform gab es einen gemeinsamen Rundgang durch die Schülerworkshops „Reformation und Musik“ im Gymnasium St. Augustin in Grimma. Parallel hatte unter der Überschrift "DenkWege zu Luther – Projekte und Unterricht zur Reformation" eine Lehrerfortbildung für die Fächer Evangelische und Katholische Religion, Ethik, Philosophie, Geschichte, Gemeinschaftskunde und Musik an Mittelschulen und Gymnasien begonnen ...
Und das alles findet nicht an einem evangelischen sondern an einem staatlichen Gymnasium statt!
Schaut man sich die Akteure an, findet man noch mehr Mitstreiter, für die eigentlich die Trennung von Staat und Kirche ureigenstes Interesse sein sollte, wie z. B. das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt, das Sächsische Staatsministerium für Kultus, welches innerhalb der Sächsischen Staatsregierung schwerpunktmäßig für Bildung und Erziehung im vorschulischen, schulischen und berufsbildenden Bereich verantwortlich ist; das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm), das alle Schularten zur Qualitätssteigerung der Bildung in Thüringen zu beraten hat; und das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden. Für sie alle kann und sollte zwar Luther als historische Persönlichkeit nicht außer Acht gelassen werden, aber das übersteigerte Engagement für Luther als Reformator und Religionspersönlichkeit sollte den kirchlichen Einrichtungen überlassen bleiben und hat nichts im staatlichen Unterricht zu suchen. Dies ist ein falsch verstandener Bildungsauftrag.
Das es dabei um rein kirchliche Angelegenheiten geht, wird aus den Erwartungen und Wünschen von Landesbischof Bohl deutlich: „Hatte die Reformation in ihrer Zeit um Glaube, Freiheit und die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerungen, so suchen Heranwachsende und Bildungsakteure heute Antworten auf diese Fragen für unsere Zeit.“ Jochen Bohl hoffe, „dass die Onlineplattform die Vorbereitungen auf das Jahr 2017 verstärkt und neue Impulse bewirkt“ ... und natürlich mehr junge Kirchenmitglieder.