Der Wirtschaftsjournalist Henrik Müller fragt in seinem Buch "Nationaltheater. Wie falsche Patrioten unseren Wohlstand bedrohen" nach den sozialen und wirtschaftlichen Kontexten beim Aufstieg eines neonationalistischen Populismus. Dabei argumentiert er aus der Perspektive eines Anhängers von Freihandel, der insbesondere aus ökonomischen Gründen für die Offenheit der Grenzen votiert.
Ganz allgemein kann von einer Renationalisierung in politischen Diskursen der westlichen Welt gesprochen werden. In Deutschland steht die AfD dafür, in Frankreich der "Front National" und in den USA Donald Trump. Doch was bedeutet diese Entwicklung eigentlich aus ökonomischer Sicht. Dieser Frage geht Henrik Müller in seinem Buch "Nationaltheater. Wie falsche Patrioten unseren Wohlstand bedrohen" nach.
Der Autor ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund und war zuvor stellvertretender Chefredakteur des Manager Magazins. Dieser berufliche Hintergrund prägt Form und Inhalt der Schrift, die sich um fünf Problemstellungen dreht: Warum gibt es gerade in der Gegenwart eine Antiglobalisierung und Renationalisierung? Was haben die Eliten falsch gemacht? Warum gibt es überhaupt Nationalstaaten? Welche Alternativen bestehen zu diesem Ordnungsmodell? Und: Was kann Patriotismus heute bedeuten? Die dabei gewählte primäre Blickrichtung ist die auf die positiv bewertete Globalisierung der Wirtschaft.
Zunächst geht Müller auf vier Sackgassen der internationalen Entwicklung ein, wobei er das Ineinandergreifen von Problemen hervorhebt. Denn es bestehe ein Zusammenhang von demographischen, ökologischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Fehlentwicklungen. Danach fragt der Autor: Warum die Neonationalisten auf dem Vormarsch sind? Er leitet die Antwort aus eine Reaktion auf verschiedene ökonomische und soziale Entwicklungen ab: Allgemein bestehe die Gefahr eines bröckelnden Wohlstandes, international existiere die Gefahr handelspolitischer Scharmützel. Ein schuldengetriebener Kapitalismus erzeuge gefährliche finanzielle, ökonomische und soziale Ungleichgewichte, das Zusammenspiel von Demographie und Globalisierung führe zu immer größeren Spannungen zwischen den ökonomischen Peripherien und Zentren. Dadurch entstehe in der Gesamtschau der Nährboden für populistische Oppositionspolitiker im Westen. Während autoritäre Regenten in den Schwellenländern zunehmend an die Macht kämen.
Dem folgend fragt Müller danach, was die Eliten falsch gemacht hätten und wie sich die zunehmende Abneigung gegen sie erkläre. Der an sie gestellte Anspruch, auch den Lebensstandard der Mehrheit anzuheben, sei enttäuscht worden. Die Einkommen stagnierten inflationsbereinigt seit langem.
Derartige Erfahrungen hätten das Misstrauen und den Pessimismus ansteigen lassen. Populisten nützten derartige Stimmungen aus, wobei sie auf Emotionen und nicht auf Fakten setzten. All dies münde in einer "Anti-Globalisierung". Danach geht es dem Autor um die Grenzen und den Nutzen von Nationalstaaten im 21. Jahrhundert. Deutlich macht er dabei, in welch hohem Maße die Entwicklung nicht nur des "Exportweltmeisters" Deutschland von internationaler Kooperation abhänge. In einer Gegenbewegung mit Protektionismus sieht der Autor eine Gefahr für den Wohlstand. Daher bedürfe es der Entwicklung von einer global governance, welche unter sich die Nationalstaaten noch bestehen lasse, aber eine neue Ordnung für die Welt konzipiere.
Müller präsentiert sich in seiner Schrift als Anhänger eines internationalen freien Handels, welchen er durch den Protektionismus von Populisten gefährdet sieht. Der Autor konzentriert sich bei seinen Beispielen auf deren "reche" Ausprägung, "linke" Varianten nennt er nur kurz. Dabei ignoriert Müller aber die Differenzen in der Hauptkritik beider Seiten. Denn nicht die Globalisierung als solche verstört die TTIP-Kritiker von "links", sondern deren soziale Folgen und Kosten. Demgegenüber will der "Antiglobalismus-Populismus" von "rechts" eben eine Rückkehr zum traditionellen Nationalstaat.
Welche Folgen dies für die Ökonomie in einer wirtschaftlich vernetzten Welt hätte, macht Müller anschaulich deutlich. Er erklärt dabei komplexe ökonomische Sachverhalte mit leichter Hand. Dass er als Autor von Büchern zu wirtschafspolitischen Themen mehrere renommierte Journalistenpreise erhalten hat, kann von daher nicht verwundern. Sein Buch ist auf die ökonomische Sphäre fixiert, es ist damit aber eine beachtenswerte Ergänzung zur bisherigen kritischen Populismus-Literatur.
Henrik Müller, Nationaltheater. Wie falsche Patrioten unseren Wohlstand bedrohen, Frankfurt/M. 2017 (Campus-Verlag), 219 S.,19,95 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Eine Welt, in welcher Humanismus gedeihen kann, bedarf fairen Handels und einer gemeinwohlorientierten Ökonomie. Dies ist jedoch nicht, was die Adepten des Freihandels, zu welchen Henrik Müller gehört, im Sinn haben.
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Mit ihrem ersten Satz gehe ich vollständig d'accord.
Was aber werfen sie Müller vor, wenn es nicht der Freihandel ist?
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Sie haben es schon richtig erahnt, ich halte tatsächlich nicht viel von "global governance" unter den derzeitigen Machtverhältnissen.
Ich war schon vor kurzem auf ein Interview mit Herrn Müller gestoßen: http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/zwoelfzweiundzwanzig/201702/101573.html Mich haben seine Ausführungen wenig überzeugt.
Martin Mair am Permanenter Link
Es geht nicht nur um stagnierende Einkommen, sondern auch um steigende Preise (Mieten), zunehmenden Stress in der Arbeit aber auch in der Freizeit (Auslagerung von Arbeit an die KonsumentInnen durch Selbstbedienung) s