Depression als Chance

(hpd) Unterscheiden sich Frauen und Männer in ihrer Art und den Gründen, depressiv zu sein? Ursula Nuber, stellvertretende Chefredakteurin von Psychologie Heute meint: Ja. In „Wer bin ich ohne dich?“ zeigt sie: Frauen werden aus anderen Gründen depressiv als Männer. Allerdings bemüht die Autorin Vergleiche zwischen den Geschlechtern, die in dieser Form nicht immer nötig wären.

Vorneweg sei klargestellt, dass Ursula Nuber sich auf die Gründe, die Auswirkungen und die Behandlungsmöglichkeiten der Depressionen von Frauen konzentriert. Eingangs zieht die Autorin Daten heran, die auch anders interpretiert werden könnten, als sie es tut. Schließlich wird bei Frauen Depression zwar doppelt so häufig diagnostiziert als bei Männern, aber sie „reden bereitwilliger mit Ärzten über ihre emotionalen Probleme und werden deshalb häufiger als depressiv diagnostiziert“ (S. 7). Zudem übersehen Mediziner entsprechende Symptome bei Männern oder belegen sie mit einer anderen Diagnose (S. 40). Damit wäre das Buch schon wieder überflüssig, wenn Frau Nuber später nicht erläutern würde, dass Frauen aus anderen Gründen depressiv werden als Männer, weil sie Belastungen ausgesetzt sind, denen Männer eben nicht ausgesetzt sind.

Dass die Suizidrate bei Männern in Deutschland, Österreich und der Schweiz fast dreimal so hoch ist wie die der Frauen und dass diesen Suiziden möglicherweise eine Depression vorausgeht, erwähnt Ursula Nuber nicht. An anderen Stellen holpert die Argumentation – die ansonsten sehr flüssig ist – ein bisschen, nämlich wo sie in „Burnout adelt, Depression stigmatisiert“ Burnout mit Depression vergleicht und etliche Frauen (und Männer) anführt, die wegen Burnouts „eine Pause einlegen mussten“ (S. 9). Hier werden die Unterschiede zwischen Frauen und Männern nicht klar, höchstens die Unterschiede zwischen Stars und Allerweltsmenschen. Besonders, da Berufstätigkeit für Frauen anscheinend einen Schutzfaktor in Bezug auf Depressionen darstellt (S. 49).

Diese Ablenkungen vom eigentlichen Thema des Buches sind schade, denn letztlich erweisen sich die Grundthesen sowie deren Erläuterungen als interessant und nachvollziehbar. Die erste These lautet: „Die weibliche Depression ist eine Stresserkrankung: Frauen sind spezifischen Stressoren ausgesetzt, die in einem Männerleben nicht so häufig oder gar nicht vorkommen“ (S. 12). Die zweite These: „Die weibliche Depression ist eine Beziehungsstörung: Die Erfahrungen, die Frauen in und mit Beziehungen machen, können eine Depression verursachen“ (S. 14). Aus den Thesen bildet die Autorin die simple Formel: „Chronischer Stress + Beziehungsenttäuschung = Depression“ (S. 14).

Das Märchen vom „Rumpelstilzchen“ dient zur Erläuterung der Mechanismen von Depression, von der Entstehung bis zur Heilung. Angefangen vom nicht lösbaren Auftrag an die Müllerstochter, aus Stroh Gold zu spinnen, welches sie bei Misslingen das Leben kosten soll, bis zum Deal mit dem knorrigen Zwerg, ihm ihr Kind zu überlassen, wenn er ihr noch einmal hilft. Am Ende des Märchens ist sie Königin, selbstbewusster, und vermag es, sich gegen denjenigen zu wehren, der ihr das Kind (etwas Lebendiges) wegnehmen will.

Frauen-Depression ist Beziehungssache

Depression von Frauen ist laut Ursula Nuber eine Beziehungssache: Frauen sind mehr als Männer auf „harmonische“ Paarbeziehungen angewiesen. Dazu sind sie bereit, ihre eigenen Wünsche hintanzustellen, sich selbst zu vergessen und nur noch für andere da zu sein – in der Hoffnung, es werde ihnen gedankt. Doch sie geben und geben, ohne das zurück zu bekommen, was sie selbst brauchen (auf die Idee, das zu fordern, was sie brauchen, kommen sie aus sozialisatorischen Gründen nicht): „Dennoch haben Männer das bessere Los gezogen: Denn während Frauen oft neben ihren distanzierten Partnern emotional verhungern, geben beziehungsorientierte Frauen meist von sich aus den Männern die Zuwendung, die diese brauchen.“ (S. 161) Das macht sie krank.

Die Entstehung von Depression wird landläufig selten geschlechtsspezifisch gesehen. Und wenn, dann werden soziobiologische Faktoren häufig lapidar als Erklärung angeführt: Hormonelle Schwankungen wie das Prämenstruelle Syndrom, genetische Faktoren und „typische“ Eigenschaften von Frauen, wie Grübeln, mangelndes Selbstvertrauen und ein Selbstwert-undienlicher Attributionsstil. Die Bindungsfähigkeit von Frauen wird üblicherweise abfällig als „Abhängigkeit“ deklariert, ihnen wird eine zu hohe Erwartung an Beziehungen sowie ein Defizit an Autonomie unterstellt. Diese Erklärungen gehen Nuber jedoch nicht weit genug, für sie kommen weitere Faktoren hinzu.

Gesellschaftlich werden die Werte Autonomie und Bindungsfähigkeit unterschiedlich bewertet – und hier zeigt Nuber auf, wie sehr sich die Erziehung von Jungen und Mädchen unterscheidet (unterscheiden muss), da Jungen zwecks Identitätsfindung sehr früh lernen müssen, vor allem keine Frau zu sein, während Mädchen quasi für lange Zeit weiterhin im Schoße der Mutter verweilen und von ihr lernen können, Frau zu werden. Der Schock erfolgt in der Pubertät, wenn klar wird, dass „männliche“ Werte gesellschaftlich höheres Ansehen genießen als „weibliche“ Werte. Ab dieser Entwicklungsphase sinkt, so Nuber, die Selbstzufriedenheit von Mädchen merklich, während die der Jungen steigt.

Jungen lernen früh, autonom zu sein, Selbstwert-günstig zu attribuieren und sich in mehreren Lebensbereichen positive Feedbacks zu sichern, während Frauen, die sich auf Beziehungen konzentrieren, in diesem Konzept die Gelackmeierten sind.

Es müssen somit einige – biologische, psychische und soziale – Faktoren zusammenkommen, damit eine Frau depressiv wird. Doch sind diese gegeben, ist die Depression einmal eingetreten, dann kann diese auch als Chance zur Veränderung wahrgenommen werden. Hier will das Buch Frauen Mut machen, diese Chance als solche zu sehen, sich Hilfe zu holen und die Botschaft der Depression zu erkennen, die als erstes verhindert, dass die Frau weiterhin „unnütz ihre Energie in falsche Projekte oder falsche Menschen investiert“ (S. 181).

Fazit

Ursula Nuber erklärt nach einigen irritationsauslösenden Ablenkungen zu Beginn des Buchs leicht verständlich und nachvollziehbar, dass Frauen anders depressiv werden als Männer, warum das so ist und „wie sie zu sich selbst finden“. Die Argumentationsführung ist gut, auch wenn sie häufiger wiederholt wird, als für die Nachvollziehbarkeit nötig wäre. Alles in allem ist „Wer bin ich ohne dich?“ eine empfehlenswerte Lektüre mit hilfreichen Ausführungen zu Psychopharmaka, der Suche nach der richtigen Therapieform und dem passenden Therapeuten im Anhang.

Fiona Lorenz

 

Ursula Nuber: Wer bin ich ohne dich? Warum Frauen depressiv werden - und wie sie zu sich selbst finden. Erscheinungstermin: 16.08.2012, Hardcover gebunden, 253 Seiten, EAN 9783593395555, € 19,99.