Das „Hutgesetz“

(hpd) In der Süddeutschen Zeitung hat der an katholischen Universitäten ausgebildete Nachwuchsjournalist Frederik Obermaier einen Artikel über das sog. Hutgesetz veröffentlicht. Die in der Türkei geborene Autorin Arzu Toker erwidert ihm in einem Kommentar.

Das „Hutgesetz“ gehört zu den Reformschutzgesetzen, die den laizistischen Charakter der Türkei und ihre Orientierung an den westlichen Demokratien absichern sollten. Die islamistische Regierungspartei AKP möchte das Gesetz möglichst abschaffen.

Hut ab, Frederik Obermaier, in Ihrem Artikel purzeln munter Kopfbedeckungen, Ideologien und historische Tatsachen durcheinander. Denn bei diesem Recht geht es nicht um die Hüte der Männer, sondern um die Befreiung der Frauen und kleinen Mädchen von der Verschleierung. Abgesehen davon waren die abgeschafften Männerkopfbedeckungen Turban und Fez eine Übernahme aus der arabischen Kultur.
Ihre historischen Aussagen sind nicht nur falsch, sie sind auch eindeutig von Islamisten in der Türkei übernommen.

1. Mustafa Kemal hat sich nicht selbst Atatürk genannt, sondern er wurde nach seinem Tod dazu erklärt. Ich würde ihn Atafrauen [„Vater der Frauen“, Anm. hpd-Redaktion] nennen, denn schließlich führte er nach Jahrhunderten endlich die Frauenrechte ein. Er schaffte den Harem ab, er sorgte dafür, dass wir das aktive und passive Wahlrecht noch vor vielen Frauen in europäischen Ländern erhielten. Nur um ein kleines Beispiel zu nennen.

2. Der Besuch in Kastamonu erfolgte deshalb, weil die religiösen, islamistischen Kräfte in vielen Orten Anatoliens das Todesurteil wegen der Einführung der Demokratie für Mustafa Kemal aussprachen. Die Muftis in Kastamonu waren gegen die Todesfatwa – von daher ist Ihre Darstellung der Reaktion der Bevölkerung von Kastamonu gänzlich falsch.

3. Sie reduzieren Kemal Atatürk zum Vorbild nur der Kemalisten. Richtig ist: Er war auch Vorbild für viele Menschen anderer islamischer Länder, um die Demokratie und die Gleichberechtigung der Geschlechter einzuführen.

4. Der Militär ging nicht, wie sie schreiben, gegen Turbanträger vor, sondern gegen die Islamisten, welche die Demokratisierung dem Militär zuschrieben und Offiziere ermordeten.

Es ist doch klar, dass die Islamisten gegen Mustafa Kemal waren und sind, schließlich herrschten sie über 600 Jahre, warum sollten sie friedlich die Macht abgeben, die sie meinten, von Allah erhalten zu haben? Aber was ist bloß mit Ihnen los?

In der gleichen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung gibt es auch einen Artikel, in dem steht, dass die Bundesregierung überlegt, ob sie Soldaten an die syrische Grenze schickt. An Ihrer Stelle würde ich statt Verunglimpfungen über die Modernisierung eines Landes vom Scharia-Imperium (Osmanisches Reich) bzw. dem Rest dessen zur modernen Republik, über den Kriegstreiber Erdogan schreiben, dessen Ideologie Sie verbreiten und der eventuell auch Männern aus Ihrer Umgebung das Leben kosten wird.

An Ihrer Stelle würde ich über den Spendengelder-Skandal in den Moscheen schreiben (Deniz Feneri), dessen Unterlagen zwar der Türkei übergeben wurden, bei dem aber die Ermittlungen im Sande, bzw. in der Umgebung von Erdogan verlaufen sind. An Ihrer Stelle würde ich über die Zahl der Frauen in der Türkei schreiben, die zunehmend Opfer von sogenannten Ehrenmorden werden. An Ihrer Stelle, Herr Frederik Obermaier, würde ich über meine türkischen Journalistenkollegen schreiben, die in den Gefängnissen verschwinden.
 

Arzu Toker