Die Wellen schlugen bis nach Brasilien: Dort in Blumenau nahm der kämpferische Früh-Darwinist und überragende Biologie Fritz Müller dies alles zur Kenntnis und kommentierte in seinem Brief vom 12.1.1883: „Mit wahrer Herzensfreude habe ich Ihre Eisenacher Rede gelesen (wenn auch nur in englischer Übersetzung in „Nature“). Ja wir dürfen uns am Grabe Darwin’s sagen schon jetzt der Sieg vollkommen unser ist; es bedarf keines Kampfes mehr gegen die spärlichen Überbleibsel der alten Schule, die uns das heranwachsende Geschlecht nicht mehr abwendig machen können. Sie haben für uns kaum mehr ein anderes als ein pathologisches-Interesse. … Den Brief Darwin‘s dessen Veröffentlichung, wie ich höre, man Ihnen so übel genommen hat, las ich in portugiesischer Übersetzung in einer hiesigen Zeitung; ich fing an, an dessen Ächtheit zu zweifeln, weil ich meinte, ‚Nature‘ hätte sonst auch dies zur Kennzeichnung unseres großen Todten so wichtige Schriftstück bringen müssen. - Nun, mit diesem Todtschweigen des Briefes werden die Herren Engländer für kommende Geschlechter ihren großen Landsmann nur noch höher stellen; sein heller freier Geist wird um so lichter strahlen in der hochkirchlichen Nacht seines Vaterlandes.“ (zitiert nach dem Original aus dem Ernst-Haeckel-Archiv der Friedrich-Schiller-Universität in Jena)
Es ist erstaunlich, mit welcher Detailgenauigkeit und Schnelligkeit man sich damals in Südbrasilien über Vorgänge und Ereignisse des intellektuellen und wissenschaftlichen Lebens in Europa informieren konnte.
Angesichts dieses Briefes, der eine christliche Weltsicht dezidiert zurückweist – „keine Offenbarung“ – kann man auch mit dem neuen Buch von Michael Blume "Evolution und Gottesfrage" (Herder 2013) nicht ganz einverstanden sein, in dem Darwin ja als anglikanischer Theologe dargestellt wird, um daraus zu konstruieren, dass Wissenschaft und Glaube keine Widersprüche darstellen würden. Dies gilt vielleicht im Sinne eines deistischen Gottesbildes, nicht jedoch im Sinne des christlichen Glaubens und einer christlichen Gottesvorstellung.
Wie dieser und andere Briefe zeigen, war Darwin bei aller Vorsicht und Zurückhaltung in vielen seiner Äußerungen zu Fragen der Religion und der Rücksicht auf seine gläubige Ehefrau dem christlichen Glauben doch sehr fremd geworden. Er trennte zwar Glauben, Biologie und seine große Theorie; persönlich war seine Position – gelang es einmal, ihn aus der Reserve zu locken – doch recht eindeutig. Und das sollte man nicht verwischen und beschönigen. Sonst ist man – siehe die Stellungnahmen Ernst Haeckels und seiner Freunde und Briefpartner aus England und Brasilien – in den letzten 130 Jahren nicht viel weiter gekommen. Der Brief Darwins an Mengden ist innerhalb des „Darwin Correspondence Projektes“ nicht transkribiert …
Stefan Schneckenburger