Säkulare Islam-Diskussion

ASCHAFFENBURG. In den aktuellen Diskussionen über den Islam in Deutschland und

insbesondere die Integrationspolitik der Bundesregierung haben sich im säkularen Spektrum verschiedene Positionen dazu gezeigt.

Nachdem Klaus Hartmann, als Vorsitzender des Deutscher Freidenker Verbandes, sich ablehnend zu Gründung und Zielsetzung des Zentralrats der Ex-Muslime geäußert hat, hat das Libertäre Forum Aschaffenburg nachfolgenden Offenen Brief an die Freidenker verfasst, in dem eine andere Einschätzung, insbesondere was die Bedeutung des Islam für die Regierungspolitik angeht, zum Ausdruck kommt. Der hpd wird diese Diskussion begleiten.

 

OFFENER BRIEF

Liebe Freidenkerinnen & Freidenker,
lieber Klaus Hartmann,

mit wachsender Irritation haben wir seit dem Irak-Krieg eure Äußerungen zum Themenkomplex „Islam" zur Kenntnis genommen. Die von Klaus Hartmann entworfene Position zum Zentralrat der Ex-Muslime in Beiträgen in der Jungen Welt bzw. auf Redglobe können wir nicht mehr nachvollziehen. Wir möchten sie deshalb zum Anlass nehmen, die sich darin niederschlagenden Einschätzungen kritisch zu hinterfragen.

Wie viele von euch sicherlich wissen, beschäftigen wir uns seit Anfang der 1990er Jahre mit Islam und Islamismus, haben eine Reihe von Büchern dazu in dem von uns betriebenen Verlagsprojekt herausgebracht und die Diskussion innerhalb des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) über „importierte Religiosität" und die Stellung säkularer Migranten in Deutschland vorangetrieben. In Vorträgen und Artikeln haben wir uns mit Islamunterricht & Kopftuchverbot, den Vorstellungen von Ehre im Islam, Gewaltpotential und Friedensperspektiven in Koran und Sunna sowie in Texten des politischen Islam, der Abschiebung von Flüchtlingen in den Iran und anderen Aspekten des Themenbereiches auseinandergesetzt. Deshalb meinen wir auch, daß unsere Kritik an der von Klaus Hartmann in seinem Artikel vertretenen Position (die wir als die derzeit im DFV vorherrschend wahrnehmen) nicht leichtfertig und vorschnell erfolgt.

Das Thema Islam in seinen vielen Facetten wird, davon gehen wir aus, auch in den kommenden Jahren intensiv diskutiert werden; ob die säkulare Szene in der Beurteilung dieser Religion, ihrer in Deutschland bestehenden Einrichtungen und der mit dem Themenkomplex „Islam" zusammenhängenden gesellschaftlichen Prozesse stets einer Meinung sein muß, sei dahingestellt. Wichtig erscheint uns jedoch, daß die diversen Auffassungen in einen sachlichen Dialog, gerne auch Streit, miteinander treten, um die unterschiedlichen Einschätzungen klar herauszuarbeiten und auf ihre Stichhaltigkeit hin zu diskutieren.

1. Wir begrüßen die Gründung des Zentralrates der Ex-Muslime als einer Interessenvertretung der säkularen Migrantinnen & Migranten. Daß sie ihre Belange selbst in die Hand nehmen, halten wir für folgerichtig, da die säkularen Verbände hier bislang nicht gerade einen Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit gesehen haben. Daß in einem ersten Schritt nur Menschen aus islamisch geprägten Ländern angesprochen werden, schließt in unseren Augen nicht aus, daß in absehbarer Zeit der Zentralrat eine Organisation für alle säkularen Migranten, unabhängig von ihrem Herkunftsland, sein wird. Daß die Initiative von „Ex-Muslimen" ausging, ist in unseren Augen ebenfalls gut begründet. Zum einen ist für Muslime ein Schritt analog zum Kirchenaustritt nicht möglich, da die muslimischen Gemeinden anders verfaßt sind als die beiden christlichen Großkirchen, auf die das Religionsrecht in Deutschland zugeschnitten ist. Es liegt hier also ein Problem vor, das „Ex-Christen" in unseren Breiten seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr in dieser Schärfe betrifft. Zum anderen wird in der Migrationsdebatte von deutschen Politikern aller Parteien immer wieder die große Bedeutung der Religion betont; dabei gerät völlig aus dem Blick (oder wird bewußt verschwiegen), daß viele der nach Deutschland Eingewanderten, insbesondere unter den politischen Flüchtlingen, sich nie als Muslime verstanden oder sich heute nicht mehr als solche verstehen. Wenn diese Menschen sich mit dem Zentralrat nun eine Stimme geben und vernehmbar fordern, daß es aufhören muß, Migranten automatisch die in ihrem Herkunftsland vorherrschende Religion zuzuschreiben, können wir darin nichts Falsches sehen.

2. Richtig ist, daß Kritik immer zuallererst die Zustände im „eigenen" Land ins Visier nehmen muß und daß gerade Religionskritik sich nicht für antisemitische Propaganda oder, wie von Klaus Hartmann angeführt, rassistische Ausgrenzung und Kriegstreiberei instrumentalisieren lassen darf. Nur können wir diese Vorhaltung bezogen auf den Zentralrat der Ex-Muslime nicht nachvollziehen. Den allermeisten der Mitglieder in diesem Verein wäre es doch an jener Bushaltestelle in Potsdam, Ostern 2006, mutmaßlich nicht anders ergangen als dem seinerzeitigen Opfer. Diese Menschen sind in Deutschland potentielle Opfer rassistischer Gewalt und Ausgrenzung, nicht Täter. Denn Rassismus orientiert sich eben nicht an der (meist „unsichtbaren") Religionszugehörigkeit, sondern am sichtbar „Fremden", z.B. an Haut- und Haarfarbe. Aus der Religionskritik des Zentralrates der Ex-Muslime können Rassisten schon deshalb keinen Honig saugen, weil sich mit seiner Existenz die Identität Türke/in, Araber/in, Iraner/in = Muslim/a, deren Behauptung Grundlage rassistischer Islam-Kritik ist, sichtbar auflöst. Allen, die mittels kulturalistischer Zuschreibungen Menschen klassifizieren wollen, ist damit ein zentrales Werkzeug aus der Hand geschlagen.

3. Der wahrscheinlich grundlegende Unterschied in der Einschätzung des Themenkomplexes „Islam" dürfte jedoch sein, daß wir bestreiten, daß eine „Islamphobie" gegenwärtig die deutsche Innenpolitik prägt. Wir beobachten eine ganz andere Entwicklung: die islamischen Verbände werden vom Staat hofiert, Parteien (und auch Kirchen) richten das Amt von „Islambeauftragten" ein, die Medien planen Sendefenster, der Islamunterricht steht vor der Tür usw. usf. Längst bemüht sich die deutsche Politik, das Disziplinierungspotential des Islam zu nutzen und fördert die einschlägigen Verbände, sofern sie sich in ein Kontrollsystem einbauen lassen. Der Islam wird also keineswegs abgelehnt oder gar bekämpft. Im Gegenteil: Aus der realistischen Einschätzung heraus, daß zahlreiche in Deutschland lebende Muslime wenig Aussicht auf ein „gutes Leben" haben, und mangels Bereitschaft, dies grundlegend zu ändern, wird der Islam für all jene als Idenitätsangebot bereitgehalten, für die es keine sozialen Perspektiven gibt. Wer als Individuum alltäglich Ausgrenzung erfährt, soll sich integriert fühlen, durch eine institutionelle Aufwertung „seiner" Religion. Die Rede von der „Integration des Islam" ist ernst gemeint; sie ersetzt die Integration der Muslime resp. der Menschen, die aus islamisch geprägten Ländern nach Deutschland eingewandert sind.

4. Die Folgen dieser auf kollektive Identität gerichteten Politik treffen nicht nur die Muslime oder Migranten. Sie schlagen auf die gesamte Gesellschaft zurück, wenn Verhaltensweisen, die längst als nicht akzeptabel gebrandmarkt waren, „zurückkehren". Der Fall jener Frankfurter Familienrichterin, die einer muslimischen Deutschen die vorzeitige Scheidung von ihrem prügelnden Ehemann trotz im Raume stehender massiver Drohungen mit dem Hinweis verweigerte, der Islam gestatte die Züchtigung unbotmäßiger Frauen, mag ein bizarrer und medial in übertriebener Weise ausgeschlachteter Einzelfall sein; in unseren Augen bildet er aber genau die Tendenz ab, mit der die Dinge sich entwickeln. Mit dem Islam werden lebensweltlich ausgesprochen konservative und autoritäre Muster gerechtfertigt, nicht nur im Geschlechterverhältnis (wobei es hier tatsächlich besonders augenfällig wird). Ein emanzipatorisches gesellschaftliches Projekt kann darüber nicht hinwegsehen. Es muß die Bedingungen für die Emanzipation der einzelnen Menschen ins Auge fassen. Das von Regierungsseite angelegte Identitätsangebot durch Religionsförderung stützt die reaktionären sozialen Verhaltensweisen anstatt sie aufzulösen; morgen wird der deutsche Spießer für sich beanspruchen, was seinem muslimischen Nachbarn heute zugestanden wird. Ein Schelm, wer denkt, es könnte Methode dahinter stecken.

 

Für uns ist die Kritik am Islam nicht zuletzt auch ein Angriff auf dieses Identitätsangebot und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Visionen. Wir beharren auf der Zielsetzung der Emanzipation des Individuums. Emanzipation kann durchaus auch in kollektiven Zusammenhängen erfolgen; der Islam jedoch gibt in seinen Hauptströmungen keinen für emanzipatorische Prozesse förderlichen Rahmen ab. Solange der Zentralrat der Ex-Muslime hierzu ein glaubhaftes Gegenmodell vertritt, Menschen eine Perspektive auf Freiheit statt auf Einordnung eröffnet, hat er unsere volle Unterstützung. Und, so denken wir weiter, auch aus einem freidenkerischen Blickwinkel müßte der Zentralrat als Projekt erscheinen, das für in Deutschland lebende Muslime und Ex-Muslime mehr Möglichkeiten zur Emanzipation bietet als Anknüpfungspunkte für Gestalten wie Ulfkotte & Co. Deshalb plädieren wir an euch, eure Einschätzung des Zentralrates, dieses „merkwürdigen Spezialvereins", zu überdenken.

viele Grüße
Clara und Paul Reinsdorf

 

Clara und Paul Reinsdorf ist das Pseudonym, das die Aktiven des Libertären Forums Aschaffenburg für ihre gemeinsamen Publikationen gewählt haben. Clara und Paul Reinsdorf haben drei Bücher herausgegeben und eine Reihe von Artikeln und Thesenpapieren verfaßt. Die meisten der Mitglieder des Schreibkollektivs arbeiten zugleich am Verlagsprojekt Alibri mit. Kontakt unter: reinsdorf@alibri.de