Gottes Wort im Ausverkauf

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CVJM-Geschäft / Fotos: Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Österreichs protestantische Fundamentalisten wagen sich verstärkt an die Öffentlichkeit. Sie haben an der europaweiten Missionierungsaktion „Pro Christ“ teilgenommen. Teil waren Veranstaltungen im öffentlichen Raum. hpd-Österreich-Korrespondent Christoph Baumgarten hat zwei der Veranstaltungen besucht.

Zwei ältere Männer stehen vor dem Eingang Ost des EInkaufszentrums Lugner City im 15. Wiener Gemeindebezirk. Sie gehören offensichtlich zu den Organisatoren der Österreich-Aktionen der europaweiten Missionierungsaktion „Pro Christ“. Einer trägt ein Namensschild, der zweite ein T-Shirt mit dem Aktionslogo. Vielleicht warten sie auf Teilnehmer der Veranstaltung. Vielleicht wollen sie eine rauchen.

Wir gehen an ihnen vorbei. Angesprochen werden wir nicht. Das spricht für die zweite These. Sonst ist am Samstagabend dieser Teil des innerstädtischen Einkaufszentrums dicht. Wer heute Abend durch diesen Eingang geht, muss zum mehr oder weniger groß angekündigten Vortrag via Satellitenschaltung auf der Showbühne wollen. Der Eingang fürs angeschlossene Kinozentrum liegt an der nächsten Straßenecke, gleich bei der U-Bahn-Station.

Vielleicht hundert Teilnehmer

Das Holzkreuz wirkt beinahe so, als hätte man es auf die Schnelle aus Baustellenholz zusammengezimmert. Es steht neben der großen Videowall, aus der der deutsche Televangelist Ulrich Parzany seinen Vortrag samt Showeinlagen, nun ja, darbietet. Live aus Stuttgart, wie man uns am Nachmittag aufgeregt versichert hat. Es wirkt wie eine Mischung aus Predigt und 80-er-Jahre-Samstagabend-Show.

Vielleicht hundert Menschen haben sich auf den Plastiksesseln und Bierbänken versammelt und lauschen den Worten Parzanys. An Gesprächen wirken sie nicht sonderlich interessiert. Menschen mit den N4C-Shirts sitzen jeweils am Rand der Sitzgruppen und haben die Teilnehmenden eingekreist. Sie gehören zu den Organisatoren.

Der CVJM ist wieder mit von der Partie

Ein paar weitere Aktivisten in Shirts drücken den spärlichen Neuankömmlingen Willkommensfolder in die Hand. Zwei großgewachsene Asiatinnen winken ab. Sie haben schon. Ab und zu steht jemand auf und geht sich in den noch offenen Lokalen im Einkaufszentrum etwas zu essen oder zu trinken holen. Ein Mann kommt mit Popcorn. Ein Paar um die fünfzig kommt mit zwei Bechern Bubble Tea zurück. Kaum jemand wirkt als ob er oder sie nicht Mitglied einer der freikirchlichen oder baptistischen Gruppen wäre, die den heutigen Abend organisiert haben. Einige der Anwesenden gehören zu den Missionaren, die jeden Mittwochnachmittag am Wiener Westbahnhof stehen. Anders als in der Porsche-Arena in Stuttgart, von wo übertragen wird, kommt hier kein Applaus auf. Nur ein Afrikaner tanzt einmal im Sitzen mit, als eine Sängerin aus Barbados eine soulig klingende Nummer zum Besten gibt.

Stimmung kommt nicht auf

Charismatisches Christentum, wie es Evangelikalen häufig nachgesagt wird, stellt man sich anders vor. Die vereinzelten Zaungäste in den Galerien in den Stockwerken über der Showbühne sehen das ähnlich. Sie schenken dem Treiben oder eher Nicht-Treiben meist nur wenige Minuten ihrer Aufmerksamkeit und gehen weiter.

Schwer zu sagen, woran es liegt, dass kaum Stimmung aufkommt und praktisch niemand ein Wort verliert. Vielleicht fesseln die Worte Parzanys die Fundis. Vielleicht sind die Teilnehmer auch einfach erschöpft. Viele sind seit Mittag in der Lugner City und haben die Nachmittagsveranstaltungen begleitet oder die Satellitenübertragung vorbereitet. Die meisten sind vermutlich seit Montag im Einsatz, seit Beginn der Missionierungswoche „Pro Christ“.

Ist das der Höhepunkt der Missionierungswoche?

Allzu groß scheint das personelle Potential der fünf Baptisten- und Evangelikalengemeinden nicht zu sein, die die Woche in Wien organisiert haben. Eine Woche lang sollte Wien im Zeichen von „Pro Christ“ stehen, wird auf der Homepage suggeriert. Der Satellitenvortrag wurde dem hpd-Korrespondenten am frühen Nachmittag als Höhepunkt der Aktivitäten angekündigt. Möglicherweise wurde auch ein wenig dick aufgetragen, um einen Interessierten hinzulotsen. Man weiß es nicht. Allein, ganze hundert Teilnehmer wirken im Vergleich zum ausverkauften Stuttgarter TV-Studio dann doch ein wenig mager. Dort sitzen sicher ein paar tausend Menschen.

Angesichts der Tatsache, dass die evangelikalen Freikirchen Österreichs beim Kultusamt beantragt haben, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden wirkt das mickrig. Dass sie die gesetzliche Mindestanzahl zu umgehen versuchen, indem sie eine gemeinsame Dachorganisation etwa mit den Baptisten gründen, hilft da wenig. „Pro Christ“ wird in Österreich von zwei Wiener Baptistengemeinden mitgetragen.

In Deutschland Unterstützung von Beckstein und Teufel

Der Unterschied zu Deutschland mag auch daran liegen, dass „Pro Christ“ dort besser vernetzt ist als in Österreich. Mehrere prominente Ex-Politiker unterstützen nach Angaben von Pro Christ die Aktion. Günther Beckstein wird genannt. Der Name Erwin Teufel auf der Unterstützungsliste für eine (frei)kirchliche Veranstaltungsreihe wirkt dann eher wie eine Vorlage für billige Kalauer. Man muss schon außergewöhnlich politisch interessiert sein, um zu wissen, dass das ein ehemaliger christdemokratischer Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist.

Hierzulande geht die öffentliche Unterstützung über den Wiener CVJM kaum hinaus. Und der fungiert als Scharnier für die protestantische Fundi-Szene in Wien und ist kaum als unabhängige Unterstützung zu betrachten. Ein guter Teil der Missionierungswoche wurde in den Räumen des örtlichen Ablegers des YMCA abgewickelt. Der Buchladen des CVJM bespielt auch den Büchertisch der Veranstaltung in der Lugner City. Heute Abend interessiert sich kaum jemand für ihn.

Profitieren vom Einkaufstrubel

Wenige Stunden davor waren wenigstens fallweise Menschen dorthin gekommen. Vielleicht überraschend wenig angesichts der Massen, die Samstagnachmittags durch die Lugner City strömen. Vor allem rund um die Showbühne herum, gleich neben dem einzigen zentral gelegenen Aufzug. Die vereinzelten Interessierten ließen sich fallweise in Gespräche verwickeln. „Großeinkauf?“, fragt mich eine Mittsechzigerin mit schriller Stimme, als ich einen Blick über das Angebot werfe.

Mir sticht sofort das Buch „Warum sind Sie reich, Herr Deichmann“ ins Auge. Der Untertitel „Die Deichmann-Story: Über den Umgang mit Geld und Verantwortung“ lässt vermuten, dass es eine Mystifizierung ist und nicht die einzig mögliche und richtige Antwort: „Ich verkaufe Billig-Schuhe teurer als ich sie einkaufe.“ Zu haben um 14,95 Euro.

Das „Wort Gottes“ im Ausverkauf

In den Augen der Büchertisch-Verantwortlichen sind die gesammelten Weisheiten von Herrn Deichmann um einiges wertvoller als das, was sie für das Wort Gottes halten. Die Bibel in evangelikaler Übersetzung gibt’s um ganze zwei Euro. So billig ist sonst nichts am Büchertisch zu haben. „So viel Information für so wenig Geld“, schwärmt mir die Verkäuferin vor.

Kindermusical und Kinderschminken

Auf der Showbühne führen die Fundis ein Kindermusical auf. Die kindlichen und jugendlichen Darstellerinnen und Darsteller geben in dem, was man offenbar für geschichtstreue Kostüme hält, die Erzählung von Ruth wieder. Dem Genre entsprechend ist das ganze musikalisch, die Kinder der Kunden des Einkaufszentrums mögen es und machen sich auf den Sitzgelegenheiten breit. Es gibt Kinderschminken und einen Porträtzeichner. Die Mütter und vereinzelte Väter sitzen vom Einkauf erschöpft daneben.

Religiöser Hintergrund erschließt sich nicht auf den ersten Blick

Sieht man vom biblischen Inhalt des Musicals ab, der sich in dem Trubel den meisten nicht erschließen dürfte, lässt kaum etwas auf den evangelikalen Hintergrund schließen. Das Banner mit der Botschaft „Zweifeln und Staunen“ ließe Eingeweihte eher auf eine freidenkerische Veranstaltung schließen. Auch der Beginn der Broschüren liest sich eher wie aus einer Eigenpräsentation der Skeptikerbewegung: „Zweifeln ist gesund. Man sagt, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. Aber Ansichten und Verhaltensweisen sind nicht schon deshalb richtig, weil wir uns an sie gewöhnt haben.“

Oder: „Hat Gott die Menschen oder haben die Menschen Gott geschaffen? Zweifeln ist allerdings nur gesund, wenn wir auch das in Frage stellen, was uns lieb und wert ist und woran wir uns gewöhnt haben. Sonst betrügen wir uns selbst.“ Spätestens hier würde ein durchschnittlich interessierter Leser vermutlich aufhören.

Bei Gott hört das Zweifeln auf, sagen die Fundis

Dass das Zweifeln gefälligst bei Gott aufzuhören hat, würde ein mäßig Interessierter höchstwahrscheinlich nicht mehr mitbekommen. Ebensowenig wie das, was die Fundis für Beweisführung gegen die Skeptiker dieser Welt halten. „Jesus hat seine Liebe zu uns bewiesen, als er am Kreuz für uns starb. Und Gott hat ihn vom Tode auferweckt. Damit ist bewiesen, dass das Wort und die Liebe von Jesus stärker sind als der Tod.“

Anti-Evolutionsbroschüre: Schiefe Beweise, Anweisung zum Lügen

Unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle kritischer Eltern dürften auch die Broschüren des Missionswerks Heukelbach geblieben sein, die an die Kinder verteilt wurde. „Thema: Evolution – was ist das?“ heißt die Ausgabe der „Extra-Info mit der wichtigsten Nachricht der Welt“. Wenig überraschend zeigen sich die Fundi-Autoren wenig begeistert von den Entdeckungen von Charles Darwin und seinen Nachfolgern. Kindgerecht formuliert versuchen sie, mit Hilfe des menschlichen Auges die Unmöglichkeit der Evolution zu erläutern. Als Beispiel muss eine Digitalkamera herhalten, die mit dem Auge verglichen wird. „Würdest du es mir glauben, wenn ich behaupte, diese Kamera sei im Laufe vieler Jahre entstanden?“, fragt ein Vater seinen Sohn.

Neben abstrusen Theorien enthält die Broschüre die kaum verhüllte Aufforderung an Kinder, ihre Lehrer zu belügen und ihre Mitschüler zu missionieren. „Lern fleißig deinen Unterrichtsstoff, damit du eine gute Note bekommst. Für dich persönlich glauben solltest du allerdings nicht alles. Wir trauen Gott alles zu – auch, dass er der geniale Schöpfer ist. Wenn du Möglichkeiten hast, bekenne das, zum Beispiel vor deinen Klassenkameraden. Da wird Gott dir schon helfen. Und auch für deinen Lehrer wollen wir gemeinsam beten, o.k.?“

Kein Wort zur Abtreibung

Mit ihren Meinungen zum Schwangerschaftsabbruch halten sich die Fundis nach Erkenntnis des hpd bei den Veranstaltungen zurück. Der Bund Evangelikaler Gemeinden gehört etwa der Initiative „One of Us“ an, die kaum mehr ist als eine harmlos auftretende Frontorganisation radikaler Abtreibungsgegner. Dass man in der Lugner City nicht damit wirbt, mag verschiedene Gründe haben. Unter anderem, dass im Büroflügel des Einkaufszentrums eine Abtreibungsklinik untergebracht ist. Vor der haben vor wenigen Jahren katholische Abtreibungsgegner Demonstrationen abgehalten.

Das wirft auch die Frage auf, warum die Lugner City ausgerechnet Evangelikalen ihre Showbühne zur Verfügung stellt. Außerhalb von Wahlkämpfen treten dort normalerweise keine weltanschaulichen Gruppierungen sein. Nach Auskunft von „Pro Christ“ dürfte die Lugner City schon im Jahr 2009 Schauplatz der evangelikalen Aktivitäten gewesen sein. Der hpd hat der Leitung des Einkaufszentrums per Mail einen Fragenkatalog geschickt, der bis jetzt nicht beantwortet wurde. So bleibt auch ungeklärt, ob die Zentrumsleitung im Vorfeld von den Anti-Evolutionsbroschüren gewusst hat, die dort verteilt werden.

Christoph Baumgarten

 

Fotos während der Veranstaltungen waren leider nicht möglich. In der Lugner City herrscht striktes Fotografieverbot ohne schriftliche Genehmigung. Unserem Korrespondenten war es leider nicht möglich, kurzfristig eine solche Genehmigung zu erhalten. Er hat selbst erst am Samstag erfahren, dass eine Veranstaltung in dem Einkaufszentrum stattfindet. Wir ersuchen um Verständnis.