Die katholische Kirche feiert vier "Märtyrer" gegen das Nazi-Regime in Lübeck

Missbrauchte Märtyrer

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Das Erzbistum Hamburg feiert seine Märtyrer im Kampf gegen das Nazi-Regime. Die weitreichenden Verstrickungen der Kirchenoberen in das Funktionieren des Nazi-Regimes werden hierbei – wie so oft – unter den Tisch gekehrt.

Dass sich auch Christen gegen die Nazi-Herrschaft stellten und bereit waren, ihre Haltung mit dem Tod zu bezahlen, steht außer Frage. Außer Frage steht jedoch auch, dass die christlichen Kirchen, die Kirchenoberen sowie christliches Gedankengut die Nazi-Herrschaft in erheblichem Maße mittrugen und ermöglichten.

Dies jedoch wird von den Kirchen bis heute gern verschwiegen. So auch beim jüngsten Gedenken an christliche Märtyrer gegen das Nazi-Regime Ende Juni in Lübeck. Dort veranstaltete das Erzbistum Hamburg eine Wallfahrt anlässlich des 75. Todestages von vier Lübecker Priestern, die sich gegen das nationalsozialistische Terrorregime aufgelehnt und den Widerstand 1943 mit dem Tod durch das Fallbeil bezahlt hatten: Johannes Prassek, Eduard Müller Hermann Lange, katholische Priester in der Probsteikirche Herz Jesu, sowie Karl Friedrich Stellbrink, Pastor in der Lübecker Lutherkirche.

Gepflegt wird die Erinnerung an die vier Priester von einer erzbischöflichen Stiftung, die Trägerin einer entsprechenden Gedenkstätte in der Herz Jesu Kirche ist und die Gedenkveranstaltung ausrichtete. Eine Veranstaltung, bei der die Möglichkeit bestanden hätte, den Kontrast zwischen den inzwischen umfangreich nachgewiesenen Beziehungen der katholischen Kirche zum Naziregime und dem Handeln der vier christlichen Priester aufzuzeigen. Doch davon konnte nicht die Rede sein. Im Gegenteil. Die Wallfahrt diente ganz offensichtlich der Verknüpfung christlicher bzw. katholischer Glaubensinhalte mit dem Eintreten der Priester gegen das Naziregime und im speziellen z. B. gegen das Euthanasieprogramm der Nazis.

Das Euthanasieprogramm, also die systematische Ermordung von Behinderten und Kranken, wurde zum Anlass genommen, die Verbindung zu Positionen der Kirche von heute zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch deutlich zu machen. So wurde in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass heutzutage Kinder im Mutterleib getötet werden dürften, wenn sie behindert seien. Mit der gleichen Begründung könne auch über den Wert von alten Menschen für die Gesellschaft nachgedacht werden, erklärte der vortragende Pastor dem vorwiegend aus älteren Menschen bestehenden Publikum.

Angesprochen auf die im Vortrag unerwähnte problematische Rolle der katholischen Kirche während der Nazi-Diktatur, erklärte der Geistliche, dass ihm die kritischen Punkte durchaus bekannt seien. Er wies allerdings darauf hin, dass die Forschung noch nicht alles habe durchleuchten können, zum Beispiel seien noch nicht alle Dokumente aus den Archiven zugänglich. Im Übrigen sei es Schwerpunkt der Veranstaltung klarzumachen, was die Menschen von den vier Priestern lernen können, nämlich das Eintreten für die Wahrheit und für die Ökumene.

Aus der Perspektive der erzbischöflichen Stiftung also kein Wunder, dass auch in der begleitenden Ausstellung in den Veranstaltungsräumen keinerlei Hinweis auf die Rolle der Kirche während der Nazidiktatur zu finden war. Lediglich ein Ausstellungsplakat lieferte in einem Absatz eine vorsichtige Andeutung: "Die führenden Vertreter beider christlicher Konfessionen äußern zu Kriegsbeginn die prinzipielle Unterstützung der Kirchen für den Staat und rufen die Gläubigen entsprechend zu Pflichterfüllung und zum Gebet auf. Im Gegensatz zu den Bischöfen äußern sich einzelne Priester in ihren Gemeinden wesentlich kritischer und geraten in den Blick der Gestapo."

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Mittlerweile sind zahlreiche Verstrickungen der katholischen Kirche mit dem Naziregime aufgedeckt worden. Eine kurze knackige Zusammenfassung kann beispielsweise im Buch von Reinhard Schlotz "Von Golgatha nach Auschwitz" nachgelesen werden.

Euphemistischer kann man die weitreichenden Verstrickungen der katholischen Kirche mit dem Nazi-Regime kaum beschreiben. Unerwähnt das Reichskonkordat zwischen dem Vatikan und dem NS-Staat, mit dem sich die katholische Kirche bis heute Privilegien gesichert hat, wie sie keine andere nicht-staatliche Organisation, außer der evangelischen Kirche, in Deutschland genießt. Unerwähnt, dass sich die Fuldaer Bischofskonferenz vom 8. Juni 1933 dem neuen deutschen Staatswesen unterwarf, weil jede menschliche Obrigkeit ein "Abglanz der göttlichen Herrschaft" und eine "Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes" sei. Unerwähnt, dass die christlichen Kirchen in Deutschland den Nazis die Freigabe zur Einsichtnahme in die Hochzeits- und Geburtenregister zur Identifikation von "Halb- und Vierteljuden" erteilten, was mitentscheidend für die Durchführbarkeit der Rassenpolitik und des Holocausts war. Unerwähnt, dass Papst Pius XII. am 2. Juni 1940 vor dem Kardinalskollegium erklärte: "Gott ist mein Zeuge, dass ich mit heißem Herzen dem Kampf der deutschen Heere gegen den gottlosen Kommunismus vollen Erfolg wünsche und täglich im Gebet von Gott, dem Lenker der Schlachten, erflehe." Unerwähnt, dass eben jener Papst nie öffentlich gegen die Vernichtung der nicht getauften Juden oder den Holocaust protestierte (ebensowenig wie irgendein deutscher Bischof), dass er die faschistischen Regime Europas unter Hitler, Mussolini, Salazar, Franco, Pavelic und Tiso unterstützte und nach dem Krieg die katholische Fluchthilfe für Naziverbrecher wie Klaus Barbie, Adolf Eichmann, Ante Pavelic, Erich Priebke, Franz Stangl u. a. hat gewähren lassen. Um nur einige Highlights der Verstrickungen der offiziellen Kirche in das Nazi-Unwesen zu erwähnen.

Statt die Gelegenheit zu nutzen und endlich die Geschichte der eigenen Institution aufzuarbeiten oder selbige auch nur zu erwähnen, ging es stattdessen bei der Gedenkveranstaltung wieder einmal um die Verklärung des Christentums als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus aufgrund der Handlungen einzelner Aufrechter aus den eigenen Reihen. Was die vier Priester wohl dazu sagen würden, wenn sie noch etwas sagen könnten? Ob sie sich missbraucht fühlen würden? Ob sie enttäuscht wären von ihrer Kirche, die dieses unliebsame Kapitel ihrer Geschichte noch immer gern unerwähnt lässt?

Aber wozu sich mit störenden Gedanken wie diesen bei einer Gedenkveranstaltung belasten? Stattdessen verrichtete man in den Gesprächskreisen im Kirchenschiff lieber Missionsarbeit. Unter dem Jesuswort "Ihr werdet meine Zeugen sein" ging es um Themen wie "Zeuge sein, weil sich die Welt gegen Gott auflehnt?", "Zeugnis geben, um sicher in den Himmel zu gelangen?" oder "Geht es bei Glaubenszeugnissen um Erfahrungen oder um Beweise?".

Es ist immer wieder verblüffend, wie die christlichen Kirchen in der Lage sind, sich historische Leistungen zuzurechnen, die hohe Anerkennung in der Bevölkerung genießen, obwohl das Handeln der Kirche diesen Leistungen diametral entgegenstand. Der Fall der vier Priester in Lübeck macht dies einmal mehr transparent.