Die Evolution der Religiosität

(hpd) Der Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas und der Religionswissenschaftler Michael Blume liefern in ihrem Buch „Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt. Die Evolution der Religiosität" einen Überblick zu neueren Forschungen über die biologischen Grundlagen der Religiosität. Obwohl die Wissenschaft hier noch am Anfang steht, machen sie informativ und kenntnisreich deutlich, dass vieles dafür spricht, dass Religiosität einen Selektionsvorteil haben könnte und daher so weit verbreitet ist.

„Der Bann, der in meinen Augen gebrochen werden muss", so der Philosoph Daniel C. Dennett, „ist die Tabuisierung einer offenen und uneingeschränkten wissenschaftlichen Untersuchung von Religion als einem natürlichen Phänomen unter vielen". Und der Soziobiologe Edward O. Wilson meint: „Wir haben die entscheidende Phase in der Geschichte der Biologie erreicht, in der die Religion selbst zum Gegenstand von naturwissenschaftlichen Erklärungen wird." Diese beiden Zitate spielen auf neuere Forschungen an, welche sich den evolutions- oder neurobiologischen Grundlagen der Religiosität widmen. Einen Überblick zu deren Ergebnissen, Grundlagen und Schlussfolgerungen wollen der Religionswissenschaftler Michael Blume und der Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas in ihrem Buch „Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt. Die Evolution der Religiosität" liefern. Es geht darin um eine Bilanz der Forschung zur Frage, inwieweit der Glaube etwas mit Prozessen im Gehirn zu tun hat.

Inhaltlich gliedert sich das Werk in sieben Kapitel, die auf folgende Frage eingehen: „Ist Religiosität ein reines Merkmal der Kultur oder auch ein Nebenprodukt adaptiver Merkmale oder sogar selbst eine in der natürlichen oder sexuellen Evolution selektierte Anpassung?" (S. 219). In den jeweiligen Teilen des Buches referieren die Autoren die Forschungsergebnisse und -kontroversen, die sich in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ausmachen lassen: Zunächst geht es um die anthropologische Perspektive einer Deutung des Menschen als Homo religiosus, um evolutionstheoretische Interpretation der Religion als Ergebnis eines Anpassungsprozesses und die demographische Komponente im Kontext von Kindersegen und Religion. Nur knapp behandeln die Autoren danach die genetische Deutung von Religiosität, dann aber etwas ausführlicher die Interpretation von Religiosität als Anpassungsprozess aus soziobiologischer Sicht sowie die Grundlagen des Glaubens aus der Perspektive der Kognitionspsychologie und der Gehirnvorgänge aus der Wahrnehmung der Neurotheologie.

Bilanzierend betrachtet heißt es dann, dass derartige Forschungen erst am Anfang stünden und entsprechende Aussagen eher Hypothesen-Charakter hätten. Viele Fragen könnten noch nicht beantwortet, viele Theorien noch nicht belegt werden. Gleichwohl habe die Forschung in den genannten Bereichen schon wichtige Erkenntnisse zu den biologischen Grundlagen der Religiosität geliefert. Demnach bestünden Indizien dafür, dass Religiosität signifikant genetisch mitbedingt sei. Auch wäre sehr wahrscheinlich, dass der Glaube kognitive und neuronale Grundlagen habe. Gemeinsame Religiosität fördere offensichtlich die Kooperation in Form von Altruismus und Vertrauen und schütze dabei vor der Ausbeutung durch egoistische Trittbrettfahrer. Vieles deute darauf hin, „dass Religiosität einen Selektionsvorteil haben könnte und daher so weit verbreitet ist" (S. 223). Daraus ergeben sich für die Autoren wichtige Aufschlüsse für das anthropologische und philosophische Bild vom Menschen - auch wenn dies Gläubige als Demütigung oder Provokation auffassten.

Gleichwohl sagen derartige Forschungshypothesen und -resultate nichts über die Richtigkeit von Aussagen über Religion aus. So heißt es: „Es ist also für die naturwissenschaftliche Erforschung der Religiosität unerheblich, ob Gott eine Illusion ist oder ob der Mensch ein ‚Säugetier von Gottes Gnaden' ist ..." (S. 14). Diese Einschätzung steht exemplarisch für die Ausgewogenheit und Sachlichkeit von Blume und Vaas, nutzen sie die Erkenntnisse der bisherigen Forschung doch nicht für oberflächliche Polemik gegen religiöse Auffassungen. Gleichwohl machen die referierten Auffassungen aus dem wissenschaftlichen Bereich deutlich, dass es für die Akzeptanz von Religiosität durchaus auch zahlreiche biologische und soziale Gründe gibt. Insofern leisten sie schon heute einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und Entzauberung des Glaubens. Mitunter hätte man sich gewünscht, dass die entscheidenden Gesichtspunkte inhaltlich klarer herausgearbeitet werden. Aber auch so liegt mit dem Band eine informative und kenntnisreiche Bilanz des aktuellen Forschungsstandes vor.

Armin Pfahl-Traughber

 

Rüdiger Vaas/Michael Blume, Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt. Die Evolution der Religiosität, Stuttgart 2008 (S. Hirzel Verlag), 254 S., 24 €

 
Ein zusammenfassender Essay zum Buch, von Rüdiger Vaas.