BERLIN. (hpd) Der Berliner Senat hat im April dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, demzufolge in Zukunft für einen Austritt aus einer Kirche, die Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist, eine Gebühr von dreißig Euro erhoben werden soll.
In Berlin sind Kirchenaustritte bei den Amtsgerichten zu erklären; wegen der Zunahme von Kirchenaustritten nehmen auch der personelle und sächliche Aufwand für die Bearbeitung solcher Vorgänge zu. In diesem Jahr sind allein in den ersten drei Monaten 4.046 Berliner aus der Kirche ausgetreten. 2012 waren es laut Senatsangaben 12.206. Für das Jahr 2013 wird mit den bisher höchsten Kirchenaustrittszahlen in Berlin gerechnet. Betroffen von dem Schrumpfungsprozeß ist stärker die evangelische als die katholische Kirche.
Ob diese Entwicklung und die Haushaltslage Berlins die Gründe für die jetzige Initiative der Landesregierung sind oder – worauf manche hinweisen – eine kurz vorher stattgefundene Konferenz des Regierenden Bürgermeisters Wowereit mit dem katholischen Berlin Erzbischof Woelki, ist mit letzter Sicherheit nicht zu beurteilen. Und ob eine Gebühr von dreißig Euro auf Dauer jemanden vom Kirchenaustritt abzuhalten vermag, was als Motiv zugunsten der Kirchen gemutmaßt wird, ist eher zu bezweifeln, auch wenn dies bei Personen mit geringem Einkommen durchaus eine Rolle spielen kann.
Fest steht Eines: Bei einem Modell, das überhaupt keine Kostenerstattung für den Aufwand für Kirchenaustritte vorsieht, sind die Steuerzahler Kostenschuldner, und damit auch alle diejenigen, die nicht der jeweiligen Kirche oder überhaupt keiner Kirche angehören. Es ist jedoch unzumutbar für Konfessionsfreie, wenn sie mit ihren Steuern kircheninterne Angelegenheiten mitfinanzieren müssen.
Für das Jahr 2012 ergibt sich in Berlin bei 12.206 Kirchenaustritten und einem (vorgesehenen) Satz von dreißig EURO immerhin ein Jahresbetrag von fast 400.000 Euro, für die Jahre 2005 bis 2010 liegt der Betrag bei etwa 1,6 Mio. Euro allein für dieses Bundesland. Hinzu kommt der personelle und sächliche Aufwand für die Registrierung von Kircheneintritten (insb. durch Taufen bei Kindern) und von Todesfällen von Kirchenangehörigen, der auch von allen Steuerzahlern zu finanzieren ist.
Der Herr nimmt es eben nicht (nur) von den Seinen. Auf die Jahre läppert sich da ein erkleckliches „Sümmchen“ zusammen, welches bessere Verwendung etwa für Kitas und Schulen finden könnte.
Kritik an Gesetzesinitiative
Zur Gesetzesinitiative des Berliner Senats haben die Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten Kritik vorgetragen; auch SPD-Abgeordnete sind vom Senatsvorgehen nicht angetan: Gefordert werden u. a. niedrigere Gebühren, eine Gebührenstaffelung nach sozialen Kriterien, Gebührenbefreiung für sozial Schwache und ähnliches mehr. Nach der ersten Lesung im Abgeordnetenhaus Ende Mai ist der Gesetzesentwurf erst einmal in verschiedene Ausschüsse verwiesen worden. Nach der parlamentarischen Sommerpause aber steht dann die Entscheidung an.
Soweit bislang ersichtlich, wagt sich aber niemand von den Parlamentariern an eine Grundsatzdiskussion heran: Warum kommen die als Körperschaften privilegierten Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht mit eigenen Mitteln für diese staatliche Leistung in ihrem Interesse auf? Auch bei der Beitreibung von Kirchensteuern durch die Finanzverwaltung haben die Kirchen den insoweit entstehenden Aufwand zu entgelten, wobei ein entsprechender Teil der Kirchensteuer vom Staat gleich einbehalten wird.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum dies hinsichtlich der staatlichen Registrierung von Kirchenein- und -austritten anders geregelt sein sollte. Es handelt sich letztlich, da die Registrierungen an die Steuerbehörden weitergegeben werden, um die Vorbereitung der Steuererfassung; ein enger Sachzusammenhang staatlichen Tätigkeit in diesem Fall mit den Kirchensteuern und ihrer Erhebung ist somit gegeben.
Unzulässige Ungleichbehandlung
Einer Abwälzung der Austrittsgebühren auf die austretenden Kirchenmitglieder steht nicht nur entgegen, dass es sich um einen im Interesse der Kirche liegende Registrierungsmaßnahme handelt, die der Staat ausführt, sondern auch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes. Der Kommentator des Religionsverfassungs- und Kirchenrechts in Deutschland, Dr. Gerhard Czermak hat bereits auf eine unzulässige Ungleichbehandlung hingewiesen, wenn bei Kircheneintritt keine, bei Kirchenaustritt aber eine Gebühr von den betroffenen Personen erhoben wird.
Die Angelegenheit stellt sich somit als für die gesamte Bundesrepublik bedeutsam heraus. Das Berliner Vorhaben, eine Austrittsgebühr von dreißig Euro zu verlangen, liegt deutlich unter dem bundesrepublikanischen Spitzenreiter: im Land Baden-Württemberg, dem Bundesland mit den meisten Einschränkungen des Freizeitverhaltens an kirchlichen Feiertagen, beträgt die Gebühr immerhin bis zu sechzig Euro. In vierzehn von sechzehn Bundesländern werden Kirchenaustrittsgebühren, jedoch keine Eintrittsgebühren verlangt, neben Berlin erhebt lediglich Brandenburg keine Gebühr vom jeweiligen Kirchenmitglied.
Zeit für eine Neuregelung
Es ist Zeit für eine Neuregelung, die weder die Allgemeinheit noch die austrittswilligen Kirchenmitglieder belastet, sondern den Kostenersatz von den Kirchen verlangt.
Dem stehen auch keine Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Das BVerfG hat 2007 entschieden, dass jedenfalls eine Gebühr von 30,00 Euro für einen Kirchenaustritt rechtlich in Ordnung sei und nicht gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit verstoße. Es hat an keiner Stelle erklärt, dass eine Kostenerstattung durch die betreffenden Religionsgemeinschaften verfassungswidrig sei.
In Deutschland wird mittlerweile von laizistischen und säkularen Kräften vehement die Änderung des "Religionsverfassungsrechts" mit einer Abschaffung des Kirchensteuereinzugs durch die Finanzbehörden und auch einer Abschaffung des Modells der Körperschaften des Öffentlichen Rechts für die Verfasstheit von Religionsgemeinschaften gefordert. Bis es eines Tages einmal soweit sein wird, muss die staatliche Alimentierung der Registraturen von Kirchenaustritten jedoch nicht fortgesetzt werden.
Walter Otte