Thorben Kösters hat sich in seiner Münsteraner verfassungsrechtlichen Dissertation von 2023 dieses bisher leider vernachlässigten Themas angenommen: eine grundsätzlich verdienstvolle Angelegenheit. Die Frage der Zulässigkeit, insbesondere des Ausmaßes der Integrierung von Religion und nichtreligiöser Weltanschauung in staatlich-öffentliche Gremien ist immer noch und gerade angesichts der heutigen religionssoziologisch-gesellschaftlichen Situation sogar besonders bedeutsam.
Der sehr umfangreiche Band enthält eine weitgehende Vollständigkeit anstrebende Zusammenstellung von Gremien auf Bundes- und Landes-, nicht aber auch der kaum erforschbaren kommunalen Ebene. Die Gremien werden nach ihrer Funktion in Gruppen erfasst und haben teilweise eine rechtliche Grundlage, teilweise beruhen sie auf bloßer Übung. Da größere Zusammenstellungen bisher nicht existieren, stellt die recht aufwändige Ermittlung der Gremien auf Bundes- und Landesebene ein beachtliches Verdienst dar. Das Inhaltsverzeichnis führt über 100 Bereiche auf, in denen solche Gremien bestehen. Neben Rundfunk, politischer Bildung, innerer Führung bei der Bundeswehr, Demokratieförderung und Denkmalschutz geht es auch um das Bibliothekswesen, Erwachsenenbildung, Armutsbekämpfung und den Deutschen Ethikrat, Umweltbildung und Polizeiseelsorge und sogar um recht spezielle Gremien: etwa zur religiösen Betreuung von muslimischen und alevitischen Inhaftierten, zu Härtefallkommissionen, der Sozialberichterstattung, Forstrechtsstellen oder dem Lotto-Toto-Beirat.
Dem Verfasser geht es erklärtermaßen um die verfassungsgerechte Abbildung des gesellschaftlichen Pluralismus im staatlich-öffentlichen Bereich, insbesondere um die Art und Weise der religiös-weltanschaulichen Einbindung in die einschlägigen Gremien in einer Fülle von Lebensbereichen. Als besonderes Problem sieht Kösters zu Recht die angemessene Repräsentation der jeweiligen Bevölkerung bei den Muslimen und noch mehr bei den kaum organisierten Konfessionslosen. Es geht um die Zwecke und Motive der Einbeziehung in die Gremien und die verfassungsrechtliche Bewertung unter dem Aspekt der Gleichbehandlung und Neutralität.
Als Gesichtspunkte für die sehr verschiedenartigen Gremien benennt Kösters im Wesentlichen: Rechtsgrundlage und Statuten, Zusammensetzung, Mitgliederbenennung, Aufgaben des jeweiligen Gremiums, formale Regelung der Berufung, Frage der Weisungsgebundenheit. Hierzu hat der Autor viele Materialien und Auskünfte herangezogen. Circa 20 Seiten befassen sich mit der Frage, wie viele Menschen von den Gruppierungen jeweils repräsentiert werden (Vertretungsgrad). Von den konfessionslosen und freigeistig-humanistischen Organisationen wurden alle bekannteren Gruppierungen1 und etliche weitere sowie die Bürgerrechtsvereinigung Humanistische Union erörtert beziehungsweise wenigstens zur Kenntnis genommen.
Eine wesentliche juristische Substanz der Arbeit betrifft die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen aller Gremien und ist auf lediglich 25 Seiten dargelegt. Warum Kösters dabei zwischen den Abschnitten Neutralität und Gleichbehandlung unterscheidet, wird hier ebenso wenig klar wie sogar in der 3. Ausgabe des voluminösen Handbuchs des Staatskirchenrechts (2020). Es geht stets um die Reihe der religiös-weltanschaulichen Gleichheitsrechte des Grundgesetzes, die das Bundesverfassungsgericht seit 19652 ständig heranzieht. Kösters plädiert in seiner nützlichen Darstellung für ein im Sinn der herrschenden konservativen Gepflogenheit offenes, aber letztlich vages Neutralitätsverständnis, das mehr auf Kooperation als auf die trennenden Aspekte des Grundgesetzes setzt. Wer demgegenüber auch eine kritischere, konsequentere Sichtweise kennenlernen möchte, kann sich leicht auf der Website des Instituts für Weltanschauungsrecht3 komprimiert, aber thematisch breit einschließlich ausgewählter Literatur informieren.
Fallbeispiel: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
Hinsichtlich der Einzelfallbeurteilung der Gremien sei mit dem Abschnitt über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (einschließlich Fernsehen) mit seinen zahlreichen Gremien der vielleicht wichtigste erörtert. Er ist mit 40 Seiten auch der längste (S. 89–128). Hilfreich ist dabei die knappe, aber ansprechende und materialreiche Erörterung der rechtlichen Sicherung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die die Vielfalt der in der Gesellschaft vertretenen Meinungen als Erfordernis der "Grundversorgung" breit und möglichst vollständig gewährleisten sollen. Der – staatsferne – Rundfunk darf nach dem Bundesverfassungsgericht nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert werden. Gefordert wird von ihm sogar, eine politische Instrumentalisierung sei selbst in Form subtiler Einflussnahme auszuschließen4, was wohl entsprechend für den Bereich Religion und Weltanschauung gelten müsste. Besonders wichtig ist für die öffentliche Meinungsbildung die Einbringung eines jeweils repräsentativen Teils der Gesellschaft durch Verbände und Gruppierungen, denen neben den wenigen zulässigen staatlichen beziehungsweise staatsnahen Gremiumsmitgliedern laut Bundesverfassungsgericht ein bestimmender Einfluss einzuräumen sei.

Als Einzelbeispiel sei das ZDF herausgegriffen.5 Sein Fernsehrat besteht aus 60 Mitgliedern, davon zwei von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und zwei von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz benannte, einer vom Zentralrat der Juden und einer aus dem Bereich der Muslime aus Niedersachsen nach den landesrechtlichen Regelungen (DITIB, SCHURA und Aleviten durch gemeinsame oder hilfsweise Losentscheidung). Hinzu kommen als Vertreter der freien Wohlfahrtsverbände je ein Vertreter der Diakonie und des Caritasverbands. Das sind insgesamt sieben Mitglieder aus dem religiösen Bereich6, jedoch keiner aus der 2022 bundesweit etwa 44 Prozent, heute 47 Prozent starken konfessionsfreien Bevölkerung, die weder dem katholischen, noch evangelischen, noch muslimischen oder sonst religiös-konfessionellen Spektrum zuzuordnen ist.
Diese Nichtrepräsentation ist übrigens typisch für fast alle der überaus zahlreichen in dem Band bewerteten Gremien. In seinem knappen Resümee auf den Seiten 567 bis 569 führt Kösters aus: Verfassungsrechtlich sei es häufig unnötig, wenn auch gegebenenfalls sinnvoll, zivilgesellschaftliche Organisationen in seine Willensbildung einzubeziehen. Bei fehlenden quantifizierbaren Maßstäben sei eine verfassungsrechtliche Kontrolle schwierig. Der Entscheidungsspielraum sei sehr groß. Angesichts der zunehmenden Pluralisierung sei die erfolgte Beteiligung der Religionen zunehmend problematisch, aber den einen Ansprechpartner gebe es weder im muslimischen noch konfessionslosen Spektrum. Das heißt wohl, die jeweilige Nichtberücksichtigung sei vielleicht nicht mehr ganz angemessen, aber noch verfassungsgerecht. Großzügig will der Verfasser trotz der starken Beteiligung der beiden großen Kirchen im Rundfunkrat zusätzlich auch die christliche Orthodoxie berücksichtigen. Jedenfalls müsse "die Einbindung einzelner und die Außerachtlassung anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften stets sachlich plausibel bleiben".
Wie Kösters damit die gegenwärtige Situation fast vollständig rechtfertigen will, ist unverständlich. Denn, wie er aufzeigt, sind – soweit ersichtlich – katholische und evangelische Kirche in allen Gremien vertreten, das Judentum in den allermeisten, der Islam in einigen und die auch bei konservativer Schätzung jedenfalls über 40 Prozent Konfessionsfreien so gut wie nicht. Ausgenommen davon ist lediglich, sei hier ergänzt, das Spektrum der Konfessionslosen im Rundfunkrat von Bremen, vertreten durch die Humanistische Union, und seit 2016, aber nur bis 2021, im WDR. Dort konnte ein Sitz gemeinsam von drei Organisationen wahrgenommen werden.7 Selbst dieser Sitz ist im Zuge einer Verkleinerung der Mitgliederzahl wieder entfallen.
Dabei sollen nach BVerfGE 83, 238 (332 ff.) auch kleinere Gruppierungen ohne Medienzugang Berücksichtigung finden. Der Verfasser legt im Rahmen längerer Ausführungen unter Registrierung der bekannteren freigeistig-humanistischen Verbände (S. 59 f.) dar, dass jedenfalls der Humanismus zahlenmäßig hinreichend relevant sei (S. 56). Der Staat dürfe nicht neutralitätswidrig darüber entscheiden, welcher dieser Verbände die Repräsentation übernehmen solle (S. 124). Diesbezügliche Lösungsversuche wurden aber gar nicht unternommen, obwohl diese Verbände in zentralen Punkten weitgehend übereinstimmen: Naturalismus, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat, Kirchenkritik. Ihre ethischen Werte entsprechen weithin der klaren Mehrheit der Gesamtbevölkerung.
Bei der Vertretung des stark unterschiedlichen Islam hingegen lässt Kösters sogar das Losverfahren genügen. Das ist insofern plausibel, als die innerislamischen Differenzen oft unüberwindlich sind. Dass selbst verfassungsferne Islamisten als Rundfunkräte hingenommen werden, die besonders verfassungsaffinen säkularen Humanisten jedoch nicht zugelassen werden, ignoriert Kösters. Eine vergleichende Einbeziehung freigeistig-humanistisch-säkularer Literatur8 beziehungsweise entsprechenden Gedankenguts (Internetveröffentlichungen)9 hat Kösters nicht ins Auge gefasst (ausgenommen die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union mit ihrer Zeitschrift vorgänge). So ist ihm auch die starke weltanschauliche Konvergenz in Grundsatzfragen entgangen.
Insgesamt stark defizitär
Die Erörterung der Problematik der Konfessionsfreien ist daher insgesamt stark defizitär.
Zusammenfassend bescheinigt Kösters den Gremien in fast jeder Rechtsbewertung, auch außerhalb des Rundfunkbereichs, sie seien wegen des weiten Gestaltungsspielraums mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität vereinbar. Das hat aber regelmäßig keinen Erkenntnisgewinn zur Folge. Die häufige bloße Pauschalverweisung auf das Kapitel über Neutralität/Gleichheit ist auch deswegen bedauerlich, weil so keinerlei konkrete Argumentation beziehungsweise Prüfung möglich ist.
Der Band ist in verschiedener Hinsicht nützlich, bietet aber gerade in wichtigen Bereichen (Rundfunkrat, Deutscher Ethikrat u.a.) keine hinreichende Problematisierung und keine konkreten soliden Lösungsvorschläge. Er gibt aber gute Anregungen für eine weitere und kritische Befassung mit der Problematik der Einbindung der Zivilgesellschaft in die staatliche Willensbildung.
Thorben Kösters: Einbindung der Zivilgesellschaft in die staatliche Willensbildung. Zur Verfassungsmäßigkeit der Beteiligung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an öffentlichen Gremien. Schriften zum Religionsrecht 16. Baden-Baden 2024, Nomos-Verlag, 613 Seiten, 194 Euro, ISBN 978-3-7560-1792-8
Erstveröffentlichung auf der Website des Instituts für Weltanschauungsrecht.
1HVD (Humanistischer Verband Deutschlands), gbs (Giordano-Bruno-Stiftung), IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten), bfg Bayern (Bund für Geistesfreiheit), Zentralrat der Konfessionsfreien.
2 BVerfGE 19, 206 (216).
3https://weltanschauungsrecht.de/neutralitaet; s. auch G. Czermak/E. Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, 2. A. 2018, S. 91-104 und G. Czermak, Religiös-weltanschauliche Neutralität – ein unverstandener Schlüsselbegriff, DÖV 2024, 511-518.
4 BVerfGE 121, 30 (52 f.)
5 Dass die diesbezügliche Wahrnehmung des Autors wohl etwas wirklichkeitsfremd ist, zeigt sich ergänzend in der bemerkenswerten Darstellung zur christlich geprägten Gesamtsituation beim ZDF in https://hpd.de/artikel/ard-und-zdf-kirchliche-moralwaechter-sind-immer-d... (2016). – Siehe auch: https://hpd.de/artikel/nuhr-nicht-senden-13863 (2016) mit Podcast.
6 Dabei problematisiert Kösters nicht, dass mit offiziösen Mitgliedern der Gremien eine spezielle Form der Repräsentierung der Gläubigen privilegiert wird, die mit der Mehrheitstendenz der jeweiligen Verbandsmitglieder oft nicht im Einklang steht, was ja soziologisch festgestellt werden kann (z.B. über fowid).
7 Ein gemeinsamer Sitz für HVD, gbs und IBKA. – Wie wichtig selbst eine einzelne Vertretung im Rundfunkrat sein kann oder könnte, zeigt der Bericht https://hpd.de/artikel/sind-ueber-1-700-religioese-verkuendigungssendung... (2018).
8 Insbesondere die philosophische Zeitschrift Aufklärung und Kritik (auch Internet) sowie die Online-Zeitschrift diesseits des HVD und Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ)
9 Zu nennen sind vor allem der Humanistische Pressedienst (hpd) und die oft sehr umfangreichen Webseiten der Verbände (insbesondere des Humanistischen Verbands Deutschlands, HVD), der Giordano-Bruno-Stiftung, gbs [mit Institut für Weltanschauungsrecht – ifw, Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland – fowid, Hans-Albert-Institut, HAI], Zentralrat der Konfessionsfreien, Bund für Geistesfreiheit Bayern, Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).






