Analyse

Scharia in Österreich? – Wenn Schlagzeilen die Realität fressen

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Koran
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Es rauscht durch Österreichs Medienlandschaft: Schiedsspruch nach Scharia in Österreich gültig. Ein paar Worte, die reichen, um Boulevardblätter in Ekstase, Politiker:innen in Rage und Stammtische in Aufruhr zu versetzen. Doch wer genauer hinsieht, merkt schnell: Hier wird weniger Rechtswirklichkeit berichtet, als vielmehr ein kulturkämpferisches Gespenst beschworen. Die Panik hat Methode, und das ist das eigentliche Problem.

Was wirklich passiert ist

Der Fall ist juristisch banal. Zwei Geschäftspartner einigen sich auf ein Schiedsgericht, das bei Streitigkeiten entscheiden soll. Dieses Schiedsgericht orientiert sich an Normen des islamischen Rechts. Das Wiener Landesgericht musste nur eine Frage beantworten: Ist so ein Schiedsspruch in Österreich grundsätzlich vollstreckbar? Und die Antwort lautet: Ja, solange er nicht gegen fundamentale Prinzipien der Rechtsordnung verstößt.

Das ist keine Sensation, sondern geltendes Recht. Die Zivilprozessordnung (§ 603 ff. ZPO) erlaubt Schiedsgerichte und lässt sogar die Wahl fremder Rechtsordnungen zu. Ob das kanonisches Kirchenrecht, jüdisches Halacha-Recht oder eben islamisches Recht ist, spielt keine Rolle. Entscheidend bleibt: Kein Schiedsspruch darf den ordre public verletzen. Das ist die rote Linie, die dafür sorgt, dass Menschenrechte, Gleichberechtigung und Rechtsstaat nicht unterlaufen werden.

Der ordre public als Schutzwall

Das Internationale Privatrecht (IPR-Gesetz) und die Zivilprozessordnung (ZPO) enthalten einen klaren Vorbehalt: Fremdes Recht darf angewandt werden, sofern es nicht fundamentale Grundwerte verletzt. Diese Schranke verhindert, dass Polygamie, einseitige Verstoßungsscheidungen oder Diskriminierungen gegen Frauen und Kinder jemals in Österreichs Rechtsordnung Fuß fassen könnten.

Dass Boulevardzeitungen und Populist:innen dieses Detail gern verschweigen, überrascht nicht. Die Schlagzeile "Scharia in Österreich" verkauft sich besser als "ZPO regelt Schiedsgerichtsbarkeit im Einklang mit ordre public". Das eine heizt Ängste an, das andere erklärt nüchtern die Realität.

Panikmache als Geschäftsmodell

Was wir hier erleben, ist nicht Aufklärung, sondern Inszenierung. Boulevardmedien leben von Empörung. Da wird so getan, als stünde Österreich kurz vor der Unterwerfung unter fremdes Recht. Dass die gleichen Regeln auch katholischen Schiedsgerichten zugutekommen könnten, etwa bei Ehenichtigkeitsverfahren oder kirchlichen Vertragsstreitigkeiten, bleibt dabei seltsam unerwähnt.

Diese selektive Aufregung folgt einem Muster: Der Islam wird nicht als Religion unter vielen, sondern als Bedrohung inszeniert. Jeder Anlass wird genutzt, um den Politischen Islam zum Schreckgespenst aufzublasen. Die nüchterne juristische Analyse ist dabei nur hinderlich.

Politische Reflexe statt Rechtsklarheit

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. FPÖ-Politiker:innen schrien sofort "Skandal" und "schleichende Islamisierung". Die ÖVP kündigte eilfertig Gesetzesverschärfungen an, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert. Und die Türkische Kulturgemeinde sprach von einem Parallelrechtssystem.

Alle drei Reaktionen zeigen mehr über die politische Stimmung als über die Rechtslage. Denn: Das System funktioniert. Der ordre public steht wie ein Bollwerk. Österreichs Gerichte sind nicht wehrlos, sondern prüfen jeden Schiedsspruch auf seine Vereinbarkeit mit Grundrechten. Wer dennoch Panik verbreitet, zeigt damit vor allem eines – dass es nicht um juristische Präzision, sondern um politisches Kapital geht.

Ein Blick nach Europa

Auch auf europäischer Ebene ist die Lage klar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Griechenland verurteilt, weil dort Scharia-Regeln bei Erbschaften diskriminierend angewandt wurden. Dieses Urteil zeigt: Europa zieht klare Grenzen. Wer Grundrechte verletzt, fliegt raus – egal, ob er sich auf Scharia, Bibel oder sonstige Normen beruft.

Österreich steht also nicht vor einem Dammbruch. Im Gegenteil: Der Rechtsstaat zeigt, dass er mit solchen Fragen umgehen kann.

Die eigentliche Gefahr: Demagogie statt Fakten

Die wahre Bedrohung liegt nicht in ein paar Paragraphen, die den Parteien Wahlfreiheit lassen, sondern in einer Öffentlichkeit, die Fakten kaum noch von Schlagworten unterscheidet. Wenn Medien Schlagzeilen drucken, die juristisch irreführend sind, und Politiker:innen darauf mit populistischen Reflexen reagieren, leidet das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Wer den Eindruck vermittelt, Österreich sei im Begriff, die Scharia einzuführen, treibt die Gesellschaft bewusst in die Irre. Der Effekt: Angst, Misstrauen, Polarisierung. Die Logik dahinter: Mit Panik lassen sich Klicks, Stimmen und Macht generieren. Mit Fakten eher selten.

Humanistische Perspektive

Aus humanistischer Sicht ist klar: Ein Rechtsstaat muss pluralistische Lebensformen aushalten können – ohne dabei seine Grundwerte preiszugeben. Schiedsgerichte, die religiöse Regeln anwenden, sind per se kein Problem, solange die Menschenrechte gewahrt bleiben. Genau dafür sorgt der ordre public.

Das, was wir jetzt erleben, ist also keine Islamisierung, sondern eine Panikinszenierung. Sie lenkt ab von den echten Herausforderungen: soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung, säkulare Bildungspolitik. Wer stattdessen über die angebliche Scharia-Invasion phantasiert, betreibt politischen Klamauk auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Fazit: Keine Scharia, sondern Schlagzeilen

Der Fall zeigt eines sehr deutlich: Es gibt keine Einführung der Scharia in Österreich. Es gibt eine funktionierende Rechtsordnung, die die Freiheit von Verträgen respektiert und zugleich Grundwerte schützt. Es gibt Medien, die diese Feinheiten ignorieren, um Panik zu erzeugen. Und es gibt Politiker:innen, die diese Panik dankbar aufgreifen.

Die Lektion daraus ist einfach: Nicht jeder Skandaltitel ist ein Skandal. Wer Freiheit und Menschenrechte ernst nimmt, sollte sich weniger vor angeblichen Scharia-Schlupflöchern fürchten, sondern vor jenen, die mit Schlagzeilen Politik machen.

Erstveröffentlichung auf der Website des Humanistischen Verbands Österreich.

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