Esoterik statt Beratung?

Eine Heerschar selbsternannter Berater maßt sich an, Beratungsarbeit zu leisten, im Einzelfalle ohne auch nur eine einzige Stunde ernstzunehmender Ausbildung hierzu absolviert zu haben. Es spielt dabei keine Rolle, ob sie ihre Dienste unentgeltlich oder gegen Bezahlung feilbieten.

Viele dieser Berater - sofern sie sich nicht gleich selbst bestallt haben - können als Qualifikation allenfalls auf einen absolvierten Fernlehr- oder Wochenendkurs verweisen, wie sie an den zahllosen, staatlich weder anerkannten noch überprüften Heilpraktikerschulen oder an sonstigen, ebenso unüberprüften Einrichtungen der Szene angeboten werden.

Diese „Schulen“ sind durchwegs reine Privatunternehmen und insofern völlig willkürlich und nach Gutdünken der jeweiligen Betreiber strukturiert; die Rahmenbedingungen unterliegen ebensowenig einer öffentlichen Kontrolle wie die Qualifikation der Dozenten und/oder die jeweiligen Lehrinhalte. Konsequenterweise kann man sich an vielen dieser Schulen nicht nur zum „Berater“, sondern gleichzeitig auch zum „Astrologen“ bzw. „Astro-Therapeuten“ ausbilden lassen; von anderen höchst zweifelhaften Angeboten, die sich in den jeweiligen Programmen vorfinden – Geistheilung, Kinesiologie, Reiki und dergleichen mehr –, gar nicht zu sprechen. 

Vielfach treten besagte Einrichtungen unter Begriffen in Erscheinung, wie sie im Hochschulbereich üblich sind: sie nennen sich „Akademien“ oder „Institute“, bieten „Seminare“ und „Studiengänge“ an, bezeichnen ihre Teilnehmer als „Studenten“ und verleihen „Diplome“. Es lässt sich indes aus diesen Bezeichnungen weder auf ein höheres Niveau der Ausbildungsangebote schließen noch darauf, dass die einzelnen Einrichtungen irgendetwas mit wissenschaftlicher oder wissenschaftsähnlicher Arbeit zu tun hätten. Die Verwendung dieser (gesetzlich nicht geschützten) Begriffe dient vor allem der Absicht, Seriosität und abgesicherte Lehrinhalte zu suggerieren.

Das Angebot variiert von von ein paar photokopierten Seiten im Fernkursus über Wochenendseminare hin zu „Vollzeitschulungen“, die sich über immerhin zwei Wochen erstrecken. Tatsächlich kann keiner der an Heilpraktikerschulen oder vergleichbaren Szeneeinrichtungen angebotenen Kurse den Erfordernissen einer seriösen Beratertätigkeit Genüge leisten.

Nicht wenige dieser Einrichtungen verleihen den Absolventen ihrer Lehrgänge schulinterne Diplome, was diesen die Möglichkeit eröffnet, auf Briefköpfen und Visitenkarten als „diplomierter Berater“ und insofern unter dem Signet vorgeblich akademischer Qualifikation zu firmieren. Der Trick, mit dem „Diplom“ irgendeiner Privatlehranstalt oder eines Fernlehrinstituts einen akademischen Abschluss vorzugaukeln, ist in der (esoterischen) Beraterszene weit verbreitet.  Tatsächlich haben nicht wenige der unter einem „Diplom“ ordinierenden Berater (der Esoterikszene) nie eine Hochschule von innen gesehen. Sie bauen auf die verbreitete Unkenntnis, dass es keine geregelte Ausbildung für diese – in strengem Rechtssinne gar nicht existente – Tätigkeit gibt.

(...) Die Esoterikszene ist durchsetzt von Figuren, die, selbst dem Laien erkennbar, persönliche Störungen dadurch zu kompensieren suchen, dass sie sich zu „Beratern“ und „Lebenslehrern“ aufspielen. Die vermeintlich paranormalen Fähigkeiten, derer viele dieser Berater sich rühmen  - Auralesen, Channeling, Hellsehen und dergleichen -, sind, sofern sie ihre paranormalen Fähigkeiten nicht einfach vorgeben (und damit ihre Klientel betrügen), als Symptome eines deliranten Syndroms und/oder (zumindest latenten) psychotischen Wahngeschehens zu werten.

Neben teils hochgradig Gestörten treiben auch zynische Geschäftemacher ihr Unwesen, die die Problemlage ihrer Kundschaft – auch deren Gutgläubigkeit, Unaufgeklärtheit und damit Wehrlosigkeit – gnadenlos ausbeuten. Viele Klienten esoterischer Berater erhalten nicht nur nicht die erwünschte Hilfe, sondern werden finanziell massiv übervorteilt; ganz abgesehen davon, dass sich die Probleme, deretwegen sie sich um Hilfe bemüht hatten, allein durch die zeitliche Verzögerung bis zum Einsatz ernstzunehmender Hilfestellung erheblich verschärfen können. Auch die eingesetzten Verfahren selbst können, wie bereits erwähnt, in der Hand inkompetenter Praktiker fatale Folgen zeitigen.

Das graue Psychogeschäft übt immense Anziehungskraft aus auf zweifelhafte Geschäftemacher, die sich ohne großen Aufwand – vor allem ohne Studium und Berufsausbildung – eine lukrative Erwerbsquelle zu eröffnen suchen. Vielfach, zumal die Grenzlinien fließend verlaufen, ist nicht auf Anhieb erkenntlich, ob bei dem einzelnen Praktiker eher die psychische Störung überwiegt oder die kriminelle Energie: ob es sich also mehr um einen Fall für die Psychiatrie handelt oder für die Staatsanwaltschaft.

Selbstredend weist die Szene auch eine Reihe akademisch qualifizierter Praktiker auf, die zumindest ein gewisses Maß an einschlägiger Vorbildung mitbringen. Von beraterischer Qualifikation kann indes auch bei diesem Personenkreis nicht notwendigerweise ausgegangen werden. Erst nach abgeschlossener (mehrjähriger) Zusatzausbildung an einer anerkannten Einrichtung könnte davon die Rede sein. Von solcher Ausbildung ist allerdings nur in den wenigsten Fällen etwas bekannt, in der Regel verfügen auch die Akademiker der Szene über keine ernstzunehmende beraterische Qualifikation. Allein der Abschluß eines Studiums befähigt in beraterischer Hinsicht noch zu gar nichts (ist aber als Grundlage für eine entsprechende Ausbildung unverzichtbar). Eine gesetzliche Regelung der Eingangsvoraussetzungen zur Ausübung einer Beratertätigkeit ist, im Interesse der rat- und hilfesuchenden Menschen, die tagtäglich irgendwelchen nicht oder nur unzureichend qualifizierten Beratern zum Opfer fallen, dringend vonnöten (Goldner, 2000).

(...) Für professionelle Berater ist es unabdingbar, sich mit den Bedürfnissen ratsuchender Menschen auseinanderzusetzen, die sich, anstatt seriöse Hilfestellung in Anspruch zu nehmen, einem der Quacksalber der Esoterikszene anvertrauen. Hierzu sind profunde Kenntnisse dieser Szene vonnöten, insbesondere auch der Techniken und Tricks, die dort eingesetzt werden, um Kundschaft zu rekrutieren und bei der Stange zu halten. Sie müssen wissen, was es auf sich hat mit Aura-Healing, Bioresonanz oder Channeling, was darunter zu verstehen ist, wenn Ratsuchende von I-Ging oder Karmadiagnose berichten.

Solche Kenntnis scheint unter professionellen Beratern allerdings nicht sehr ausgeprägt zu sein. Vielfach ist ausgeprägter Widerstand zu erleben, wenn es darum geht, sich mit den (esoterischen) Randbereichen der eigenen Profession  zu befassen, gleichwohl diese zunehmend den Markt erobern (oder bereits erobert haben) und die seriöse Beratertätigkeit ihrerseits zum Randphänomen degradieren.

Auch die Beratungswissenschaft muss sich vorwerfen lassen, in der Auseinandersetzung mit dem Geschehen an ihren Rändern bislang heillos versagt zu haben. Beratend tätige Psychologen, Sozialwissenschaftler usw. und ihre Standesvertretungen halten es nur sehr vereinzelt für angezeigt, sich kritisch dazu zu äußern. Man würde die Esoterikszene samt ihren unwissenschaftlichen Methoden nur ungebührlich aufwerten, so die gängige Argumentation, wollte man sich ernsthaft damit befassen. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist mithin dieser weitgehenden Ignoranz des akademischen Establishments zuzuschreiben, dass sich die Scharlatane, Beutelschneider und Volksverdummer im Gewande der Beratung so ungehindert ausbreiten konnten. (Goldner, 2010)

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Nestmann, Frank/Engel, Frank/Sickendiek, Ursel (Hrsg.): Das Handbuch der Beratung: Band 3: Neue Beratungswelten: Fortschritte und Kontroversen. dgtv-Verlag, Tübingen, 2013. 1840 Seiten, 39,00 €.