OSNABRÜCK. (hpd) Mit dem Initiator des Rats-Beschlusses von Osnabrück, dem Grünen-Ratsherrn Felix W. Wurm, führte der hpd ein Gespräch über das Zustandekommen der in der bundesrepublikanischen Landschaft bislang einzigartigen Kommunalentscheidung und die Erwartungen an das Verhalten anderer Kommunalparlamente.
Felix W. Wurm ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer eines wissenschaftlichen Fachverbandes; seit November 2011 ist er Mitglied im Rat der Stadt Osnabrück in der Fraktion Bündnis90/Die Grünen.
hpd: Herr Wurm, der Rat der Stadt Osnabrück hat am Dienstag dieser Woche mit großer Mehrheit einen Beschluss gefasst, mit dem "Gleiche Rechte für MitarbeiterInnen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen" gefordert werden. In einer Pressemitteilung der Osnabrücker Grünen werden Sie als Initiator des Beschlusses bezeichnet. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg. Damit ist Osnabrück bundesweit Vorreiter auf kommunaler Ebene zum Kirchlichen Arbeitsrecht. Warum diese Initiative auf kommunaler Ebene, obwohl doch der Bundesgesetzgeber für eine gesetzliche Änderung zuständig ist?
Felix W. Wurm: Wir haben diese Initiative gestartet, weil wir als Ratsmitglieder ganz direkt Verantwortung tragen für die vielen Beschäftigten in den kirchlichen Einrichtungen, die wir als Stadt Osnabrück finanzieren oder zu großen Teilen mitfinanzieren. Dazu gehören eine ganze Reihe von konfessionsgebundenen Kindergärten, Kitas, Einrichtungen der Jugendhilfe, Schuldnerberatungen, Suchtberatungen und viele weitere soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft.
Darüber hinaus finden wir es untragbar, dass in den von der Stadt finanzierten kirchlichen Einrichtungen das konfessionsfreie bzw. andersgläubige Drittel der Osnabrücker Bürger/innen sozusagen ein Berufsverbot hat – und das nur, weil sie nicht der "richtigen", nämlich einer christlichen Konfession angehören. Für die Stadt muss die Qualität der Arbeit der von ihr finanzierten Beschäftigten im Vordergrund stehen und nicht deren Religionszugehörigkeit. Konfessionsfreie, Muslime, Buddhisten und andere pflegen, beraten und betreuen ja nicht schlechter als Christen.
Zudem wollten wir mit dem Beschluss auch ein Zeichen setzen, dass sich beim kirchlichen Arbeitsrecht sehr bald etwas ändern muss. Wir können nicht einfach abwarten, bis der Bundesgesetzgeber eines Tages vielleicht einmal aktiv wird.
Es war doch sicherlich nicht einfach, diese Mehrheit (Grüne, SPD, UWG/Piraten, Linke) zu organisieren?
Es gab anfangs auch bei einigen wenigen meiner Kolleg/innen aus der GRÜNEN Ratsfraktion und bei der SPD eine gewisse Skepsis gegenüber meinem Vorschlag. Es gab die Sorge, dass wir das Verhältnis zu den Kirchen, das in Osnabrück ein sehr gutes ist, mit diesem Antrag zu sehr trüben würden.
Wurden denn auch Gespräche mit den Kirchen geführt?
Ja, wir haben bereits vor Monaten Gespräche mit dem Generalvikar der katholischen und dem Superintendenten der evangelischen Kirche in Osnabrück geführt und unsere Positionen ausgetauscht. Danach waren alle Mitglieder der rot-grünen Zählgemeinschaft bereit, den Antrag zu unterstützen. Es war dabei wichtig, deutlich zu machen, dass sich dieser Antrag nicht gegen die Kirchen richtet, sondern im Sinne der Beschäftigten der kirchlichen Einrichtungen und der, die dies vielleicht noch werden wollen, gedacht ist. Nachdem die Mehrheit der rot-grünen Zählgemeinschaft feststand, haben wir auch noch die Ratsmitglieder von UWG/Piraten und von der Linken als Mitantragsteller gewinnen können.
Wie stellen Sie sich die Umsetzung auf kommunaler Ebene vor? Wer wird für die Gespräche mit den Kirchen und kirchlichen Trägern zuständig sein?
Ich stelle mir vor, dass die Kirchen auf freiwilliger Basis vermehrt Andersgläubige und Konfessionsfreie einstellen und dies auch offen so mitteilen. Zudem wünsche ich mir, dass die katholische Kirche ihren geschiedenen Wiederverheirateten und auch den homosexuellen Beschäftigen gestattet, ganz offen zu ihren jeweiligen Partnern zu stehen – auch wenn dies nicht den Moralvorstellungen der Kirche entspricht. Zuständig für die vorgesehenen Gespräche ist jetzt die Verwaltung, d.h. der Oberbürgermeister.
Gibt es schon Reaktionen seitens der Kirchen und kirchlichen Trägern?
Es gab schon nach der Ankündigung, dass der Antrag im Rat verabschiedet werden würde, Kritik von Seiten der evangelischen Kirche und der Diakonie. Unser Antrag zeuge von wenig Kenntnis des kirchlichen Arbeitsrechtes und zudem würden wir zum Bruch von Gesetzen aufrufen, hieß es. Ich kann allerdings nicht erkennen, warum durch den freiwilligen Verzicht auf die Diskriminierung von geschiedenen Wiederverheirateten sowie von Lesben und Schwulen bzw. durch die freiwillige Einstellung von Andersgläubigen und Konfessionsfreien irgendwelche Gesetze verletzt würden. Die Kirchen sind ja zur Umsetzung ihres bürgerrechtsverletzenden Arbeitsrechtes nicht verpflichtet.
Seit heute liegt außerdem ein offener Brief der Diakonie Osnabrück an alle Ratsfraktionen vor, in dem die Diakoniegeschäftsführung die bereits vor unserer Beschlussfassung geäußerte Kritik noch einmal zum Ausdruck bringt. Eine Stellungnahme von Seiten der katholischen Kirche ist mir bisher noch nicht bekannt.
Vorigen Monat wurde in einer Stichwahl ein CDU-Politiker zum Oberbürgermeister Osnabrücks gewählt. Wird er in die Umsetzung des Beschlusses einbezogen sein? Und vor allem: Ist mit einem loyalen Verhalten zu rechnen?
Der neue OB Wolfgang Griesert muss nun die Beschlüsse des Rates umsetzen. Er muss zunächst den Bundesgesetzgeber über unseren Beschluss informieren und dann Gespräche mit den Kirchen führen. Zudem hat das Rechtsamt der Stadt einen Prüfauftrag durch den Rat erhalten. Dies alles muss der OB umsetzen, auch wenn er als CDU-Mitglied zusammen mit der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion unseren Antrag abgelehnt hat. Wir werden sein Vorgehen jedenfalls ganz genau im Auge behalten und ihn Rechenschaft über sein Vorgehen ablegen lassen.
Halten Sie einen konstruktiven Dialog mit den Kirchen und kirchlichen Einrichtungen in Osnabrück für möglich?
Ich denke schon, dass das geht. Das vorhin schon erwähnte Gespräch unserer Fraktion mit der Leitung der evangelischen und der katholischen Kirche in Osnabrück fand in einer sehr angenehmen Atmosphäre und mit gegenseitigem Respekt – trotz der recht unterschiedlichen Ansichten – statt. Ich gehe davon aus, dass dies auch weiter so möglich ist.
Haben Sie Informationen, ob andere deutsche Großstädte dem Beispiel Osnabrücks folgen werden?
Dazu habe ich noch keine Erkenntnis. Wir werden aber unseren Beschluss nun über viele Kanäle bekannt machen und hoffen, dass eine ganze Reihe von Kommunalparlamenten einen ähnlich lautenden Beschluss fassen wird. Ich rechne natürlich dabei vor allem mit den GRÜNEN-Kommunalpolitiker/innen und hoffe, dass sie unsere Initiative übernehmen. Durch Beschlüsse weiterer Kommunalparlamente soll deutlich werden, dass die Bevölkerung das völlig veraltete Sonderrecht der Kirchen verändern möchte. Dies gilt ja auch und insbesondere für viele Mitarbeiter/innen der Kirche und auch für viele Kirchenmitglieder, die kein Verständnis für die absurden Regelungen mehr haben.
Gibt es eigentlich auch einen spezifischen Bezug zu Traditionen der Stadt Osnabrück bei diesem Antrag?
Ja eindeutig. Osnabrück ist – zusammen mit Münster – die Stadt des Westfälischen Friedens von 1648, der ja das Ende eines Religionskrieges besiegelte. Insofern wird bei uns die Frage von religiöser Toleranz als besonders wichtig erachtet. Der Beschluss fiel übrigens im historischen Rathaus zu Osnabrück – zwar nicht im Friedenssaal, aber im Ratssitzungsaal, der sich im selben Gebäude der damaligen Friedensverhandlungen befindet. Es passt also sehr gut, dass diese Initiative zur Abschaffung der religiös bedingten Diskriminierung von Beschäftigten von Kommunalpolitiker/innen in Osnabrück ausgeht.
Für mich ist jedenfalls eines völlig klar: Solange das kirchliche Arbeitsrecht gilt, gibt es auch in der Stadt des Westfälischen (Religions-) Friedens keine echte Religionsfreiheit!
Vielen Dank für dieses Gespräch und einen guten Erfolg bei der Umsetzung des Ratsbeschlusses.
Das Interview führte Walter Otte für den hpd.