Kirchen ohne Argumente

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Foto: © Dennis Merbach

FRANKFURT. (hpd/gbs) Gottes Lohn war nicht das Thema im Saalbau Bornheim in Frankfurt am Main. Die gbs Rhein-Main hatte in Kooperation mit dem HVD Hessen und der Frankfurter Rundschau zu einer Podiumsdiskussion geladen, bei der es ums Eingemachte ging – unser Geld. Kirchenvertreter waren nicht bereit, daran teilzunehmen.

Eine Designerbadewanne und ein Bischof, der jedes Maß verloren zu haben schien, mögen der Anlass gewesen sein, doch etwa 50 Besucher im Clubraum 1 wollten mehr über das undurchsichtige finanzielle Gebaren der Kirchen in Deutschland hören - und über die Gründe, warum der Staat ihnen dabei keinen Einhalt gebietet. Es ging um die Frage: Was leisten, was kosten die Kirchen?

Dazu waren der Autor und Journalist Dr. Carsten Frerk, unbestrittener Experte für Kirchenfinanzen („Violettbuch Kirchenfinanzen“), die Rechtanwältin Sybille Mattfeldt-Kloth, u. a. Sprecherin der Bundes-AG Christinnen und Christen bei den Grünen sowie der Politologe Michael Bauer, Vorstand des HVD Bayern K.d.ö.R., in die Mainmetropole gekommen. Peter Menne (gbs Rhein-Main) und Peter Hanack (Frankfurter Rundschau) moderierten den Abend, der spannende, unerwartete Positionen versammelte. So argumentierte die evangelische Vertreterin des Bonhoeffer-Vereins schärfer gegen die Kirchensteuer als der Atheist vom HVD.

Kirchenvertreter wollen keine Diskussion

Bei allen unerwarteten Konstellationen fehlte doch eine Position: Kirchenvertreter aus drei Bistümern waren angefragt worden, wollten sich aber nicht der Diskussion stellen. So blieb ein Platz auf dem Podium leer - im Gegensatz zu prall gefüllten bischöflichen Stühlen.

Carsten Frerk erläuterte zunächst, dass bereits 1919 in der Weimarer Verfassung eine strikte Trennung von Staat und Kirche beschlossen wurde und dass die Kirchen den Staat zur Finanzierung nicht mehr brauchten. Im Gegenteil, dass alle aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 abgeleiteten Ansprüche abgelöst werden sollten. Warum ist dies bis heute, nach immerhin 94 Jahren, noch nicht geschehen, obwohl dieser Verfassungsauftrag in unser Grundgesetz übernommen wurde?

Carsten Frerk: „Wie mir mal ein Bundestagsabgeordneter sagte: ‚Es sind ja keine Sanktionen damit verbunden, wenn man es nicht tut.‘ So geht man also mit Verfassungsaufträgen um.“

Die Leistung des Staates aus dem allgemeinen Steueraufkommen, nicht etwa der Kirchensteuer, an die Kirchen betrage zurzeit 480 Millionen Euro. Nach Meinung von Dr. Frerk sei dies verfassungswidrig, weil diese Leistungen nach 1919 nicht mehr neu begründet werden können. Auch der Limburger Skandalbischof Franz-Peter Tebartz-van Elst würde aus diesen Dotationen wie ein Staatbediensteter besoldet. Die Idee der Kirchen zur Ablösung ihrer Forderungen mit einer Einmalzahlung des 20- bis 40-fachen einer Jahresdotation (also ca. 10 bis 20 Milliarden Euro) sei laut Dr. Frerk nichts anderes, als eine Verlagerung des Kapitalstocks aus der staatlichen in die kirchliche Sphäre. „Das wäre eine Ewigkeitsrente, die niemals so formuliert worden ist“, meinte der Kirchenfinanzexperte mit Nachdruck.

Danach stellte Sybille Matthfedt-Kloth heraus, dass sich in diesem Punkt die großen Parteien – SPD und CDU – keinen Schritt bewegen würden. Im niedersächsischen Landtag habe ihre Fraktion Bündnis 90 DIE GRÜNEN ihren Koalitionspartner SPD gefragt, ob man hier einen Vorstoß unternehmen könne. Dies habe die SPD abgelehnt und zum Privatvergnügen der Grünen erklärt. Dann legte die Rechtsanwältin ihren Fokus sogar auf die Abschaffung der Kirchensteuer und machte deutlich, dass es ihrer Meinung nach wichtig sei, hierbei auch innerkirchlich Unterstützung zu erhalten.

Religionsfreiheit als Individualrecht

Die Landeskirchen und Bischöfe würden dies natürlich nicht machen, jedoch gäbe es z.B. „Kirche von unten“ oder „Wir sind Kirche“ auf der katholischen und den „Dietrich-Bonhoeffer-Verein“ auf der evangelischen Seite. Diese Gruppen seien viel weiter als die politische Diskussion, und fordern Bewegung von Seiten der Politik. Diese Gruppen würden Religionsfreiheit als Individualrecht sehen. Darüber stehe der weltanschauungsneutrale Staat.

Für die Rechtsanwältin sei es ein unzulässiger Eingriff in die Religionsfreiheit des Einzelnen, dass mit der rein religiösen Taufe gleichzeitig die Aufnahme in eine öffentlich-rechtliche Organisation verbunden sei, mit der Verpflichtung zur Zahlung der Kirchensteuer. Umgekehrt sei es ebenfalls untragbar, wenn man mit der Erklärung, keine Kirchensteuer mehr bezahlen zu wollen, gleichzeitig aus der Religionsgemeinschaft ausgestoßen würde.

Selbstverständlich dürften die Religionsgemeinschaften von ihren Mitgliedern finanzielle Unterstützung einfordern, doch diese dürfe nicht durch den Staat eingetrieben werden. Dies widerspräche dem Grundrecht der Religionsfreiheit des Einzelnen. Sie präsentierte einen alternativen Vorschlag zur Kirchenfinanzierung anstelle der Kirchensteuer: Das Drei-Säulen-Modell des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins: 1. Kollekten und Spenden, 2. Mitgliedsbeiträge und 3. Bürgergutscheine aus einem Bürgerhaushalt. Letzteres sei etwas Neues, was in der Abgabenverordnung noch zu implementieren sei.

Michael Bauer ergänzte Carsten Frerks Ausführungen zum Reichdeputationshauptschluss mit pikanten Details, wie z. B. dem 1803 konfiszierten kirchlichen Recht, am Rhein Zollstellen zu unterhalten, um von der Rheinschifffahrt Zollzahlungen zu erhalten. Dies sei heute obsolet. Warum solle es also abgelöst werden? Es ging damals um den Abbau kirchlicher Macht zugunsten weltlicher Macht. Heute handele es sich bei den Dotationen nur noch um eine Alimentierung der Kirchen, „weil man‘s eben so macht“.

Weltanschauliche Vielfalt notwendig

Der Politologe vertrat die Meinung, jeder Mensch habe eine Weltanschauung, nicht nur der Gläubige. Religionsgemeinschaften hätten nur einen jahrhundertelangen Vorsprung mit ihrer Version davon und seien deshalb in praktisch allen gesellschaftlichen Ebenen vertreten. Das allein hebe sie aber nicht über andere Weltanschauungen, zumal alle von einem neutralen Staat gleich behandelt werden müssten.

Natürlich hat ein Gemeinwesen das verständliche Interesse, dass sich jemand um Werte kümmert. Michael Bauer: „Das kann nicht sein, dass nur eine bestimmte Weltanschauung privilegiert wird, sowohl im öffentlichen Diskurs, wie auch im finanziellen Sektor, und dadurch wieder Macht ausübt. Denn das ist das, was rauskommt.“ Wegen dieser Ungleichbehandlung sei der Zugang humanistischer Kräfte z.B. zu den Medien erschwert.

Auch bei der Wahl eines Krankenhauses solle die weltanschauliche Vielfalt der Gesellschaft ermöglichen, dass niemand gezwungen wird, in eine Klinik in kirchlicher Trägerschaft gehen zu müssen, in dem Mitarbeiter gezwungen würden, nach einem bestimmten moralischen Kodex zu leben. Oder in dem bestimmte Behandlungen wegen angeblicher Aussagen ominöser Wesenheiten nicht stattfinden.

„Deswegen ist meine Forderung eine Veränderung des Systems in die Richtung, dass der Wertepluralismus der demokratischen Republik tatsächlich auch zur Geltung kommt.“ Dies habe seiner Einschätzung nach auch Vorteile für eine Integrationsgesellschaft.

Carsten Frerk führte aus, dass die Kirchenfinanzierung auf unterschiedlichsten Rechtsbeziehungen und Rechtsbegründungen beruhe. In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigten die Kirchen "Gemeindekrankenschwestern", die tatsächlich Pflegeleistungen erbrachte. Heute hat sich das zur "Caritas-Legende" gewandelt - denn deren Etat von 45 Milliarden Euro pro Jahr wird überwiegend von Beitragszahlern und Krankenkassen erbracht. Die Kirchen steuern da lediglich 800 Millionen aus eigenen Mitteln bei - gerademal 1,8 Prozent

Als weiteres Beispiel nannte der Kirchenfinanzexperte die mangelnde Transparenz beim Vermögen der bischöflichen Stühle. Dort wurde nach dem Skandal um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst von einigen – längst nicht allen - Bistümern nur das bilanzierte Vermögen veröffentlicht. Die tatsächlichen Vermögen seien etwa 70-mal so hoch, wie man im Einzelfall genau belegen könne, so Frerk. Dieses Kapital würde teilweise für die Aufrechterhaltung ihrer eigenen personalintensiven Struktur aufgewendet, die sich noch immer an den Bedürfnissen der 50er- und 60er-Jahre messe. Heute wären z.B. die meisten Kirchengebäude schlicht überflüssig, weil sie nicht annähernd ausgelastet seien.

„Pflanzstätte der Demokratie“

Michael Bauer führte aus, dass der 1848 gegründete HVD Bayern K.d.ö.R. bereits 1851 auch auf Betreiben der Kirchen verboten wurde. Unter anderen hatte der evangelische Stadtdekan damals die Gründung eines Nürnberger Kindergartens durch den Träger HVD zum Anlass genommen, an die Regierung von Mittelfranken zu schreiben, „das müsse umgehend beendet werden, dass diese merkwürdigen Menschen sich da so betätigen, denn es handele sich um eine Pflanzstätte der Demokratie“. Daraufhin wurde der Kindergarten geschlossen.

Heute seien die Widerstände nicht viel geringer, auch wenn sich der HVD bemühe, laufend weitere Kitas und Schulen in seiner Trägerschaft zu eröffnen. Die staatlichen Zuschüsse seien dabei unter Umständen gar nicht geringer. Es sei viel mehr die Frage, ob man überhaupt als humanistischer Verband die Gelegenheit erhalte, sich gegen einen kirchlichen Träger durchzusetzen. Deshalb gäbe es in vielen Regionen keine Alternative zur religiösen Früherziehung von Kleinkindern.

Dass die Kirchen hierbei ihr religiöses Konzept vermitteln, sei nicht das Hauptproblem, so Bauer, sondern dass sie in weiter Flur konkurrenzlos seien und den Eltern keine Wahlfreiheit ließen.

Auf Nachfrage erklärte Michael Bauer, seiner Meinung nach könne nur der Markt diesen Missstand regulieren. Doch böten die Kirchen Widerstände wo es nur ginge, teilweise mit hanebüchenen Begründungen. Trotz des Schwundes der Kirchenmitglieder seien die Religionsgemeinschaften ein harter Konkurrent, weil sie personell wie finanziell bestens ausgestattet seien. Ein vergleichsweise kleiner humanistischer Verband habe da schwer zu kämpfen. Und daher seien trotz wachsender Nachfrage nach humanistischer Ausbildung kaum entsprechende Angebote zu finden.

Politischer Wille zur Veränderung nicht vorhanden

Sybille Mattfeldt-Kloth warf in einer lebhaften Diskussion, auch mit dem wissbegierigen Publikum, ein, dass sie für eine Entflechtung von Kirche und Staat eintrete, also gegen dieses Monopolangebot. Aber solange die Kirchen als Anbieter agierten, müssten eben andere auch Geld bekommen.

Doch der politische Wille zur Veränderung in diesem Feld der Kirchenfinanzierung sei gerade bei den großen Volksparteien nicht vorhanden. Sie hätten Angst vor den Kirchen, vor deren Macht und Marktposition – also vor dem Staat im Staate. Carsten Frerk erinnerte sich an die Aussage eines hohen Kirchenfunktionärs: „Wenn die Parteien nur beginnen darüber nachzudenken, das bewährte Verhältnis von Staat und Kirche in einen anderen Status bringen zu wollen, dann wird das eher auf die Partei zurückschlagen, bevor es die Kirche erreicht.“

Das scheint des Pudels Kern zu sein: Die Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen, weil die Kirchen Stimmung gegen die Partei machen könnten, die deren finanziellen Status antasten. Daher die wachsweichen Formulierungen auch im aktuellen Koalitionsvertrag bezüglich des Umgangs mit den Kirchen, die Lobeshymnen auf ihre kulturellen und sozialen Leistungen.

Zitat aus dem Koalitionsvertrag: „Eine offene Gesellschaft bietet im Rahmen der Verfassungsordnung allen Religion den Freiraum zur Entfaltung ihres Glaubens. Das bewährte Staatskirchenrecht in unseren Land ist eine geeignete Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften.“

Also alles wie gehabt. So bleibt uns nur, wie Michael Bauer an die Zuhörer appellierte, die Eigeninitiative, sich als Säkulare zu organisieren.

Bernd P. Kammermeier

Foto: © Dennis Merbach

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Foto: Joachim Grebe

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Foto: © Evelin Frerk

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