(hpd) Der Historiker Frank-Lothar Kroll und die Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig legen mit "Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich" einen Sammelband zum Thema vor, worin zwölf Beiträge unterschiedlichste Aspekte des Themas behandeln. Darin geht es um durchaus interessante Fallstudien zu Einzelphänomenen, wobei es aber an allgemeiner gefassten Betrachtungen zum Thema eben auch in der angekündigten vergleichenden Perspektive mangelt.
Im Nationalsozialismus und Stalinismus fanden Millionen von Menschen den Tod. Bei beiden totalitären Systemen handelte es sich um Weltanschauungsdiktaturen. Doch was hatte die jeweilige politische Ideologie und die jeweiligen politischen Wirkungen miteinander zu tun? Um diese Frage besteht sowohl gesondert für den Nationalsozialismus wie den Stalinismus, als auch für den Vergleich beider Systeme eine Kontroverse in Öffentlichkeit und Wissenschaft.
Beiträge zu dieser Debatte liefern wollen die Texte in dem Sammelband "Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich", der von dem Historiker Frank-Lothar Kroll und der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig herausgegeben wurde. Die zwölf Fallstudien der darin schreibenden Historiker und Politikwissenschaftler leitet nach den Ausführungen der Herausgeber "das Bestreben, bei der Analyse der beiden totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts die geistige Dimension stärker ins Spiel zu bringen, als dies üblicherweise geschieht" (S. 7).
Die Texte sind in drei große Kapitel eingeteilt: Zunächst geht es ganz allgemein um das ideologische Denken, wobei Rolf Zimmermann die totalitäre Ideologie und Praxis als Problem der Moralphilosophie deutet, Hendrik Hansen Karl Marx als Ideologen im Namen der Ideologiekritik interpretiert und Barbara Zehnpfennig nach der Systematik in Hitlers Weltanschauung fragt. Dem folgen Beiträge zum direkten Kontext von Ideologie und Verbrechen: Lothar Fritze verweist auf Bestandteile der kommunistischen Ideologie zur Rechtfertigung von Gewalt und Zwang. Antisemitismus und Rassismus in der nationalsozialistischen Ideologie als Bestandteile des Weges in den Holocaust untersucht Frank-Lothar Kroll; Wolfgang Bialas beschäftigt sich mit Biopolitik, Holocaust und Rassenkrieg als Utopien der Vernichtung, und die Nähe von Ideologie und Verbrechen im Totalitarismus stehen als Problem demokratischer Existenz und Theorie bei Eckhard Jesse und Sebastian Liebold im Zentrum des Interesses.
Erst im dritten Kapitel geht es um eine komparative Betrachtung von Kommunismus und Nationalsozialismus: Friedrich Pohlmann fragt nach Zusammenhängen zwischen beiden Ideologien, Bogdan Musial geht dem Verhältnis von NS-Staat und Sowjetunion zwischen Kampf und Kooperation nach, Manuel Becker erörtert das geschichtsdogmatisch begründete Ausgrenzungsdenken im Nationalsozialismus und SED-Staat, Michael Stolleis widmet sich den Nachwirkungen der Rechtskulturen des Dritten Reichs und der DDR im vereinten Deutschland, und Jochen Staadt erörtert die Funktion des Antifaschismus in der DDR. Die beiden letztgenannten Beiträge passen thematisch gar nicht in den Sammelband, berühren sie doch ganz andere Fragen als den Kontext von Ideologie und Verbrechen von Nationalsozialismus und Stalinismus. Ansonsten geht es allen Beiträgen um die Erörterung eines Sachverhaltes, der von den Herausgebern wie folgt formuliert wird: "Entscheidend ist ..., welche logischen Konsequenzen sich aus dessen Denken ergeben" (S. 8).
Dies geschieht aber meist nur in Form von Fallstudien, also Beiträgen zu sehr speziellen Fragen, wodurch es an allgemeinen und übergreifenden Erörterungen zum Thema mangelt. Gleichwohl können die Aufsätze des Sammelbandes dazu Anregungen liefern. Die meisten Autoren erweisen sich als gute Kenner der Materie, somit kann die Lektüre ihrer Texte weitere Forschungen und Reflexionen anregen.
Hansen nimmt etwa eine interessante Analyse von Marx als ideologischem Ideologiekritiker vor und fragt nach den totalitären Dimensionen in dessen Denken und Theorie. Auch Becker bringt mit dem Verweis auf das geschichtsdogmatisch begründete Ausgrenzungsdenken in vergleichender Betrachtung eine erkenntnisfördernde Perspektive zum Ausdruck. Pohlmann nennt zwar mit dem Anspruch auf Universalerklärung und der Zweiteilung von Gut und Böse formale Gemeinsamkeiten von nationalsozialistischer und stalinistischer Ideologie, wobei es diese aber auch bei anderen Ideologien gibt, was wiederum gegen die Trennschärfe dieser Merkmale spricht.
Frank-Lothar Kroll/Barbara Zehnpfennig (Hrsg.), Ideologie und Verbrechen. Kommunismus und Nationalsozialismus im Vergleich, München 2014 (Wilhelm Fink-Verlag), 306 S., 39,90 €