Kampfgruppe gegen die Kirchen?

Ihr wertet also den Nachlass des VdF aus?

Schön wäre es gewesen, wenn wir gewusst hätten, wo der ist. Der DFV (Sitz Dortmund) sagte mir, sie haben nichts. Der VdF ist damit die einzige Organisation der DDR, deren Aktenbestände nicht ins Bundesarchiv eingingen. Niemand weiß warum. Es ist dies letztlich ein Gesetzesverstoß.

 

... und was sind dann eure Quellen?

Eckhard Müller ist im Bundesarchiv, besonders im SAPMO3, systematisch durch die Aktenbestände der SED gegangen, ihres Apparates, so weit erschlossen und zugänglich, der Regierung, der FDJ usw. Hier breiten wir aus, was gefunden wurde. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen hat den Vorgang beobachtet und Kirchenreaktionen gesammelt. Auch das publizieren wir. Und ich habe mein Privatarchiv geöffnet, etwa die Zeitungsausschnittsammlung, und z. B. Reden im Original mit späteren Abdrucken verglichen.

 

Was habt ihr herausgefunden?

Da zitiere ich mal aus dem Vorwort: "Uns Autoren offenbarte sich eine mehrdeutige Quellenlage. Wir unterbreiten Material zu einer Historie des Hochmuts einer abgehobenen und lebensfernen Partei- und Staatsführung, die bis zuletzt meinte, per Knopfdruck den Gang der Ereignisse samt der handelnden Personen dirigieren zu können...".

 

Gab es überraschende Befunde?

Irgendwie alles. Die "Vorwende" wird so an einem besonderen Stoff noch einmal "wiederbelebt". Die "Wende" wird am hilflosen Agieren einer überforderten Verbandsführung plastisch. Sie hatte noch immer Angst frei zu denken, siehe ihre Verlautbarungen, als dies schon "erlaubt" war. Wir deuten die "Nachwende" an, vom "Rette sich wer kann" bis zu den Versuchen, unterstützt von den Freien Humanisten Niedersachsen, die Körperschaftsrechte zu bekommen (von der Regierung Lothar de Maizière), und dem letzten (vergeblichen) Bittbrief an den "Herrn Minister Reichenbach" Ende Juli 1990, dem VdF nicht die Mittel zu streichen.

 

War der VdF kirchenfeindlich?

Tatsächlich ist der Verband in dieser Richtung benutzt worden, obwohl aus ihm selbst heraus keine solche Äußerungen gefunden werden konnten, schon gar keine religionsfeindlichen.

 

Wie entstand dann dieses Urteil?

Die Kirchen in der DDR, das legen die Quellen offen, haben zunächst vorsichtig gehandelt, sich jedenfalls öffentlich zurückhaltend geäußert. Diesen Stellungnahmen kann man aber entnehmen, dass die SED-Parteiführung wohl nicht mit den Überlegungen gerechnet hat, die von pfiffigen Kirchenfunktionären aus dem Eingriff des Politbüros in wohlgefügte, historisch gewachsene Strukturen gefolgert wurden – von einem christlichen Jugendverband (also nicht mehr eine einheitliche FDJ für alle Jugendlichen) über die Jugendweihe (nicht mehr deren halbstaatliche Organisation durch den Zentralen Ausschuss) und den Kircheneinfluss im Bildungswesen (der eliminiert war) bis zur Sitzverteilung in der Volkskammer (wenn der VdF in die Nationale Front gekommen wäre, hätte dies neu geregelt werden müssen, doch auf wessen Kosten?).

 

Änderte sich diese abwartende Haltung?

Ja. Die evangelische Kirche geriet im Frühjahr 1989 unter Druck, zum einen, weil sich die Opposition, auch die atheistische, in den Kirchen versammelte; weil zum zweiten eine neue Generation von Pfarrern ernst machte mit "Kirche im Sozialismus"; und weil, drittens, sei es mit Absicht oder aus Dummheit, Verrat oder Profilierungssucht, aus der FDJ heraus – und immer diskutiert als ein Papier der FDJ – der streng geheime Brief der SED-Parteiführung an die 1. Bezirkssekretäre mit den wahren Gründungsabsichten publik wurde durch Fritz W. Rabe in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung vom 27. Mai 1989.

 

Wie hat der VdF, der ja wenige Tage später, am 7. Juni 1989, offiziell gegründet wurde, darauf reagiert?

Der designierte Verbandsvorsitzende, Prof. Dr. Helmut Klein, mein ehemaliger Universitätsrektor, gab dem Ganzen noch eine hübsche Pointe. Er versicherte der gleichen Kirchenzeitung einen Tag später, am 28. Mai 1989, die "in gewissen westlichen Medien" behaupteten antikirchlichen Aktivitäten des VdF der DDR seien "völlig aus der Luft gegriffen".

Solche Meldungen "stammen offenkundig aus trüben Quellen" – doch dieser dunkle Ursprung lag in der SED-Parteiführung. Für diese sprach dann abends nach der Gründungsversammlung Günter Schabowski Klartext. Seit ich nun diesen besagten Brief kenne, erinnere ich mich, dass er wohl davon für seine Rede, die per Lautsprecher beim anschließenden Brötchen-Bankett von den Delegierten eher nebenbei zu hören war, ausführlich abgeschrieben hatte.

 

Warum sollten auch konfessionslose Wessis euer Buch lesen?

Durchaus auch wegen des Geschichtsbildes von der DDR, um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen – aber nicht nur aus historischem Interesse. Es wird keine maßgebliche Freidenkerei in Deutschland, besonders in dessen Osten geben können, egal was darunter verstanden wird, ohne diese Geschichtsaufarbeitung – wozu auch gehört, denen ihre Ehre wieder zu geben, die hier aus gutem Wollen Wichtiges geleistet haben, z. B. bei der Innovation einer humanistischen Lebenshilfe, bevor Diakonie und Caritas das Terrain eroberten. Wir Autoren plädieren zudem für deutsch-deutsche Vergleiche. Wir hoffen, dass sich der Nachlass des VdF doch noch findet, oder sich Teilfunde ergeben, und dass es endlich ein wissenschaftlich arbeitendes Archiv der säkularen Verbände gibt, in das persönliche Sammlungen und Erinnerungen dann eingehen können.

 

Das Interview wurde geführt für Ausgabe 4/13 der Zeitschrift MIZ, die Ende Januar erscheint.

  1. Horst Groschopp: Der ganze Mensch. Die DDR und der Humanismus. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte. Marburg: Tectum Verlag 2013.
  2. Horst Groschopp / Eckhard Müller: Letzter Versuch einer Offensive. Der Verband der Freidenker der DDR (1988-1990). Ein dokumentarisches Lesebuch. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2013 (Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 8).
  3. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv.