Kampfgruppe gegen die Kirchen?

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Horst Groschopp
Horst Groschopp

EISENACH. (hpd/miz) Jahrzehntelang gab es in der DDR keine organisierten Freidenker, die SED hatte alle Wünsche, einen entsprechenden Verband zu gründen, abschlägig beschieden. Dann plötzlich, Anfang 1989, wurde die beabsichtigte Gründung eines Verbandes der Freidenker der DDR angekündigt. Die Organisation überlebte die DDR nur kurz – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie schnell als "Stasi-Gründung" galt.

Nun ist in der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Branden­burg ein Band mit Dokumenten erschienen, der es erstmals ermöglicht, ein differenziertes Bild des Verbandes zu gewinnen, einschließlich der Interessen, die seine Gründung herbeiführten, aber auch der inhaltlichen Ansätze, die in den wenigen Monaten entwickelt wurden und sich sehr deutlich von den Konzepten westdeutscher Freidenker- oder Atheisten-Vereinigungen unterschieden. MIZ sprach mit Horst Groschopp, der selbst Zeitzeuge war und das Buch zusammen mit Eckhard Müller zusammengestellt hat.

 

MIZ: Nach deinem im Sommer erschienenen Buch über den Humanismus in der DDR [1] erscheint nun, diesmal mit dem Co-Autor Dr. Eckhard Müller, ein Buch über den DDR-Freidenkerverband.[2] Lässt dies auf eine neue Liebe zur verblichenen DDR schließen?

Horst Groschopp: Einige Kritiker werden das sicher so sehen. Man kann das sogar zuspitzen, denn einige Dokumente in dem Band sind aus meinem Privatarchiv und zeigen meinen Beitrag an der Gründung dieses Verbandes, inklusive Illusionen. Aber wer, wenn nicht Leute aus "teilnehmender Beobachtung", können diese letzte (wie wir heute wissen) innenpolitische Offensive (wie Erich Honecker hoffte und sagte) der SED authentisch darstellen.

 

Wieso soll das wichtig sein?

Die Freidenkerei hat sich in Ostdeutschland, ob nun mehr atheistisch oder klarer humanistisch orientiert, nicht mehr von den drei Vorwürfen erholt, besonders nach dem Zentralen Runden Tisch vom März 1990. Es traf alle Aktiven gleichermaßen: Freidenker, von der SED geschaffen und von der Staatssicherheit gesteuert zu sein.

 

War denn dies nicht der Fall?

Nichts in der DDR geschah ohne "big brother", auch nicht die Anfänge der Opposition, eine bis heute traumatische Erfahrung der Betroffenen. Doch was sagt das über den guten Willen derer, die sich engagierten? Bis heute wird von interessierten Kräften aus der konservativen kirchlichen Ecke immer wieder – und oft mit Erfolg – der Holzhammer herausgeholt, sobald sich eine freidenkerische Initiative zeigt. Auch der HVD kann ein Lied davon singen.

 

... und was leistet euer Buch?

Wir lassen über siebzig, wenn man die Zitate mitrechnet, an die hundert Dokumente selbst sachlich sprechen, interpretieren sie vorsichtig, lassen andere Deutungen offen und bauen Dokumente wie Erklärungstexte in die kurze Geschichte des Verbandes der Freidenker der DDR ein, die vom Herbst 1988 bis zum Sommer 1990 reichte. Die Vorgeschichte ist wichtig. In den Gefangenenlagern der Sowjetunion für deutsche Offiziere, darunter hohe Militärseelsorger, verwarf die KPD ihre bisherige Kirchenpolitik, sagte zu, nie wieder Freidenker zu unterstützen. Die neue Haltung übernahm die SED – um sie dann am Nikolaustag 1988 aufzugeben. Sie "erfand" den VdF und baute ihn von oben nach unten auf.

Wir machen auch Anmerkungen zur Nachgeschichte, weil z. B. damals starke, soziale Dienstleistungen anbietende ostdeutsche Freidenkerverbände (Sachsen-Anhalt, Brandenburg) den HVD mit ins Leben riefen – aber erst, nachdem sie gegenüber dem VdF (der dann in den West-DFV einging) oppositionell geworden waren, sich ausgründeten oder, wie in Berlin, sich als Landesverband auflöste und wo dann Einzelmitglieder in den DFV Berlin (West) gingen.

 

Was war am 6. Dezember 1988?

Horst Groschopp: An jenem Tag vor 25 Jahren beschloss das Politbüro des ZK der SED ohne Diskussion die Gründung des Verbandes bis in alle Einzelheiten, einschließlich Personalausstattung und Benzinkontingent. Die Regierung übernahm bis Weihnachten diesen Beschluss wörtlich. Die Staatssicherheit war ein Ministerium. Wir stellen, was die Mo­tive von Honecker und den Seinen betrifft, an Dokumenten begründete Vermutungen an.

 

Ihr wertet also den Nachlass des VdF aus?

Schön wäre es gewesen, wenn wir gewusst hätten, wo der ist. Der DFV (Sitz Dortmund) sagte mir, sie haben nichts. Der VdF ist damit die einzige Organisation der DDR, deren Aktenbestände nicht ins Bundesarchiv eingingen. Niemand weiß warum. Es ist dies letztlich ein Gesetzesverstoß.

 

... und was sind dann eure Quellen?

Eckhard Müller ist im Bundesarchiv, besonders im SAPMO3, systematisch durch die Aktenbestände der SED gegangen, ihres Apparates, so weit erschlossen und zugänglich, der Regierung, der FDJ usw. Hier breiten wir aus, was gefunden wurde. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen hat den Vorgang beobachtet und Kirchenreaktionen gesammelt. Auch das publizieren wir. Und ich habe mein Privatarchiv geöffnet, etwa die Zeitungsausschnittsammlung, und z. B. Reden im Original mit späteren Abdrucken verglichen.

 

Was habt ihr herausgefunden?

Da zitiere ich mal aus dem Vorwort: "Uns Autoren offenbarte sich eine mehrdeutige Quellenlage. Wir unterbreiten Material zu einer Historie des Hochmuts einer abgehobenen und lebensfernen Partei- und Staatsführung, die bis zuletzt meinte, per Knopfdruck den Gang der Ereignisse samt der handelnden Personen dirigieren zu können...".

 

Gab es überraschende Befunde?

Irgendwie alles. Die "Vorwende" wird so an einem besonderen Stoff noch einmal "wiederbelebt". Die "Wende" wird am hilflosen Agieren einer überforderten Verbandsführung plastisch. Sie hatte noch immer Angst frei zu denken, siehe ihre Verlautbarungen, als dies schon "erlaubt" war. Wir deuten die "Nachwende" an, vom "Rette sich wer kann" bis zu den Versuchen, unterstützt von den Freien Humanisten Niedersachsen, die Körperschaftsrechte zu bekommen (von der Regierung Lothar de Maizière), und dem letzten (vergeblichen) Bittbrief an den "Herrn Minister Reichenbach" Ende Juli 1990, dem VdF nicht die Mittel zu streichen.

 

War der VdF kirchenfeindlich?

Tatsächlich ist der Verband in dieser Richtung benutzt worden, obwohl aus ihm selbst heraus keine solche Äußerungen gefunden werden konnten, schon gar keine religionsfeindlichen.

 

Wie entstand dann dieses Urteil?

Die Kirchen in der DDR, das legen die Quellen offen, haben zunächst vorsichtig gehandelt, sich jedenfalls öffentlich zurückhaltend geäußert. Diesen Stellungnahmen kann man aber entnehmen, dass die SED-Parteiführung wohl nicht mit den Überlegungen gerechnet hat, die von pfiffigen Kirchenfunktionären aus dem Eingriff des Politbüros in wohlgefügte, historisch gewachsene Strukturen gefolgert wurden – von einem christlichen Jugendverband (also nicht mehr eine einheitliche FDJ für alle Jugendlichen) über die Jugendweihe (nicht mehr deren halbstaatliche Organisation durch den Zentralen Ausschuss) und den Kircheneinfluss im Bildungswesen (der eliminiert war) bis zur Sitzverteilung in der Volkskammer (wenn der VdF in die Nationale Front gekommen wäre, hätte dies neu geregelt werden müssen, doch auf wessen Kosten?).

 

Änderte sich diese abwartende Haltung?

Ja. Die evangelische Kirche geriet im Frühjahr 1989 unter Druck, zum einen, weil sich die Opposition, auch die atheistische, in den Kirchen versammelte; weil zum zweiten eine neue Generation von Pfarrern ernst machte mit "Kirche im Sozialismus"; und weil, drittens, sei es mit Absicht oder aus Dummheit, Verrat oder Profilierungssucht, aus der FDJ heraus – und immer diskutiert als ein Papier der FDJ – der streng geheime Brief der SED-Parteiführung an die 1. Bezirkssekretäre mit den wahren Gründungsabsichten publik wurde durch Fritz W. Rabe in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung vom 27. Mai 1989.

 

Wie hat der VdF, der ja wenige Tage später, am 7. Juni 1989, offiziell gegründet wurde, darauf reagiert?

Der designierte Verbandsvorsitzende, Prof. Dr. Helmut Klein, mein ehemaliger Universitätsrektor, gab dem Ganzen noch eine hübsche Pointe. Er versicherte der gleichen Kirchenzeitung einen Tag später, am 28. Mai 1989, die "in gewissen westlichen Medien" behaupteten antikirchlichen Aktivitäten des VdF der DDR seien "völlig aus der Luft gegriffen".

Solche Meldungen "stammen offenkundig aus trüben Quellen" – doch dieser dunkle Ursprung lag in der SED-Parteiführung. Für diese sprach dann abends nach der Gründungsversammlung Günter Schabowski Klartext. Seit ich nun diesen besagten Brief kenne, erinnere ich mich, dass er wohl davon für seine Rede, die per Lautsprecher beim anschließenden Brötchen-Bankett von den Delegierten eher nebenbei zu hören war, ausführlich abgeschrieben hatte.

 

Warum sollten auch konfessionslose Wessis euer Buch lesen?

Durchaus auch wegen des Geschichtsbildes von der DDR, um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen – aber nicht nur aus historischem Interesse. Es wird keine maßgebliche Freidenkerei in Deutschland, besonders in dessen Osten geben können, egal was darunter verstanden wird, ohne diese Geschichtsaufarbeitung – wozu auch gehört, denen ihre Ehre wieder zu geben, die hier aus gutem Wollen Wichtiges geleistet haben, z. B. bei der Innovation einer humanistischen Lebenshilfe, bevor Diakonie und Caritas das Terrain eroberten. Wir Autoren plädieren zudem für deutsch-deutsche Vergleiche. Wir hoffen, dass sich der Nachlass des VdF doch noch findet, oder sich Teilfunde ergeben, und dass es endlich ein wissenschaftlich arbeitendes Archiv der säkularen Verbände gibt, in das persönliche Sammlungen und Erinnerungen dann eingehen können.

 

Das Interview wurde geführt für Ausgabe 4/13 der Zeitschrift MIZ, die Ende Januar erscheint.

  1. Horst Groschopp: Der ganze Mensch. Die DDR und der Humanismus. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte. Marburg: Tectum Verlag 2013.
  2. Horst Groschopp / Eckhard Müller: Letzter Versuch einer Offensive. Der Verband der Freidenker der DDR (1988-1990). Ein dokumentarisches Lesebuch. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2013 (Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin, Bd. 8).
  3. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv.